SZ-Serie: Sommer-Atelier, Teil 4:Zu Füßen der Bäume

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Einige Künstler im Landkreis haben sich für die Ferien allerhand vorgenommen: Die Forstinninger Aquarell-Malerin Eugenie Meyden zum Beispiel erkundet im Ebersberger Forst gerade den geheimnisvollen Waldboden

Von Rita Baedeker, Ebersberg

Die Sommersonne vergoldet die Natur, lässt Mooskissen glänzen, Steine glühen, Spinnfäden glitzern. Das ist sie, die von Dichtern und Malern der Romantik beschworene Waldeinsamkeit. "Du grünes Revier, wie liegt so weit die Welt von hier!", dichtete zum Beispiel Joseph von Eichendorff.

Stimmt. Die Welt ist gerade ziemlich weit weg hier in Eugenie Meydens Malerwinkel. Aber einsam? Ringsum summt und brummt es in allen Tonlagen. Libellen gleiten vorüber, angezogen von Pfützen, in denen das Regenwasser steht. Vögel zwitschern, im Geäst raunt der Wind. Und dann dringt ein lang gezogener Ton durch die Stille, hoch, schrill, fast klagend. "Das ist der Schwarzspecht", sagt Eugenie Meyden. "Den höre ich hier immer wieder."

Sie sitzt im Schatten auf einem Stück Teppichboden am Fuße eines Baums und hat ihr Werkzeug ausgebreitet: Block, Aquarellstifte, Malkasten, Sprühflasche, Küchenrolle, ein Töpfchen mit Wasser, Pinsel, Zahnbürste, Lupe, Messer, Tüte, Klammern, Sonnenhut. Meyden trägt Jeans und feste Schuhe. Um sie herum ragen hohe Fichtenstämme in den föhnblauen Himmel, dazwischen junger Laubwald, knorrige Wurzeln und von Moospolstern bedeckte Baumstümpfe.

Wieder einmal hat Eugenie Meyden, Mitglied im Kunstverein Ebersberg, ihr Atelier im Wald aufgeschlagen, mitten im Ebersberger Forst. Die Forstinninger Aquarellmalerin liebt es, en plein air zu arbeiten, Aug' in Aug' mit Pilz und Farn. "Bisher galt mein Interesse immer den Kronen der Bäume", berichtet Meyden, "doch jetzt wurde es auf deren Füße gelenkt", sagt sie und lacht. Inspiriert zu der bodenständigen Motivsuche wurde sie von einem Buch, das in den vergangenen Monaten Furore machte: "Das geheime Leben der Bäume" von Peter Wohlleben, einem Förster und Autor aus der Eifel. "Seine Beobachtungen und Forschungen haben mich fasziniert, zum Beispiel, dass die Wurzeln ihre Bäume auch dann weiter versorgen und am Leben erhalten, wenn diese abgesägt oder abgestorben sind", sagt Meyden.

Für sie gibt es daher in diesem Sommer nur eines: runter auf den Waldboden und die ganze Sippschaft aus Pilzen, Flechten, Käfern, Zapfen, Moosen, Keimlingen und Wurzeln aus der Nähe betrachten. Eine Wunderwelt hat sich aufgetan für die Malerin, die nebenbei auch Jägerin ist und zum Wald ein inniges Verhältnis hat.

Wildtiere sieht sie abgesehen von Hasen und Mäusen nie. Durch den vielen Regen sei das Unterholz so dicht, dass sich die Tiere hervorragend verstecken können. Und die Wildschweine? "Auch die bleiben in der Deckung, womöglich beobachten sie mich. Wenn man so dahockt wie ich jetzt, könnten sie mich ja für einen Jäger beim Ansitzen halten", ist Meyden überzeugt, "bei Spaziergängern sind die Tiere weniger misstrauisch."

Seit der Lektüre von Peter Wohllebens "Das geheime Leben der Bäume" gilt Eugenie Meydens künstlerisches Interesse dem Waldboden mit seinen Pflanzen und Lebewesen. (Foto: Christian Endt)

Menschen trifft sie selten, auch Mobilfunk gibt es nicht. Dennoch fehlt es ihr in der selbst gewählten Einsamkeit an nichts. Furcht verspürt sie niemals. "Der Wald wirkt auf uns von alters her ebenso unheimlich wie faszinierend", sagt Meyden. Für sie ist er vertrautes Terrain, eine Fundgrube der Inspiration. "Das Leben auf dem Boden wird meist nicht beachtet", sagt sie. Dabei gebe es so viel zu entdecken. "Ich schau mir jede Pflanze, jedes Lebewesen genau an, zum Beispiel die charakteristisch gezackten, an der Spitze gebogenen Farnwedel", erklärt sie. "Denn wenn ich etwas nicht kenne und verstehe, bin ich auch nicht in der Lage zu abstrahieren."

Als Künstlerin ist sie davon beeindruckt, mit wie wenig Farben die Natur so viele unterschiedliche Eindrücke und Strukturen zaubert. "Was muss ich dagegen alles anstellen, um auch nur annähernd einen ähnlichen Effekt zu erzielen", sagt sie und schaut auf ihren Malblock, auf den die Blätter einer Buche gerade ihre Schatten werfen. Mit Aquarellstift umrandet Meyden die Silhouetten, sie wird das Motiv, das die Natur ihr da überraschenderweise zum Geschenk gemacht hat, in das entstehende Bild einarbeiten. "So etwas kann man sich zu Hause im Atelier gar nicht ausdenken. Das ist das Tolle beim Malen in der freien Natur. Es geschieht andauernd etwas Neues, gibt immer wieder Situationen, die den Blick in eine neue Richtung lenken, neue Möglichkeiten eröffnen."

Ein Aquarell zu malen kostet viel Zeit. Sie mischt Farben, taucht den Pinsel ein, bringt eine Struktur aufs Papier, dann sprüht sie Wasser drauf und lässt das Blatt erst mal trocknen. Dazu hängt sie es an einen Ast und befestigt es mit einer Klammer. "Aquarellieren, das ist Zerstören und Wiederaufbauen", sagt sie. Wichtig sei, das richtige Gefühl dafür zu entwickeln, wie lange eine Fläche trocknen muss und wie man weiter arbeitet. Ungeduld ist da fehl am Platz. "Die Technik des Aquarellierens zwingt mich dazu, die Seele baumeln zu lassen", sagt sie. "Das ist sehr erholsam, denn man hat dadurch Gelegenheit, sich vom Alltag zurück zu ziehen." Kann auch sein, dass sie die Wartezeit hier im Wald für ein Nickerchen nutzt. Irgendwann, nach ein paar Arbeitsschritten und einer Brotzeit, packt sie das Bild dann ein, um es daheim in Ruhe zu vollenden. Doch weil sie auch da auf das unmittelbare Naturerlebnis nicht verzichten möchte, sammelt sie Moose, legt die Pflanzen in eine Tiefkühltasche und nimmt sie mit in ihr Atelier. "Mein Mann nennt diesen Raum immer 'Rübezahls Wohnzimmer'", berichtet sie und lacht herzhaft.

Im reichen Farbenspektrum des Waldbodens dominiert naturgemäß das Grün in allen Facetten. Genau drei Sorten der Farbe hat sie, aus denen sie ihre vielen Töne mischt, darunter Mai- und Saftgrün. "Grün ist eine gscherte Farbe", findet Meyden, "irgendwie billig und unedel." Dennoch hat das Grün seinen Zauber, es gilt als Farbe der Fruchtbarkeit, der Erneuerung und Unsterblichkeit. Um die flirrende Lichtstimmung, die zu der Jahreszeit im Wald herrscht, in Malerei auszudrücken, nimmt sie die Zahnbürste und tupft helles Gelb auf das Blatt.

Fünf Bilder sind bisher im Sommer-Atelier zu Füßen der Bäume entstanden, zehn sollen es werden. Aus allen Motiven wolle sie später eine großformatige Arbeit kreieren, berichtet Meyden und greift nach dem Blatt mit den Blattumrissen, das allmählich trocknet. Die Veränderung ist jetzt deutlich sichtbar, Strukturen sind entstanden. "Das Wasser hat für mich gearbeitet", erklärt Meyden mit einem Lächeln. "Nun geht es darum, was ich daraus bauen kann", sagt sie beim Zusammenräumen der Malsachen und entdeckt zwischen den Wurzeln eines Baums ein paar Pfifferlinge. Deren Duft ist ein paar Meter entfernt noch zu spüren. "Die lasse ich stehen, die sind noch so klein", sagt die Malerin und hebt behutsam ein besonders schönes Moospolster auf, Anschauungsobjekt für daheim. Doch dann legt sie es zurück. Denn darunter wimmeln zahllose Ameisenlarven. Ob Baum oder Ameise, der Respekt vor dem Leben, er ist Teil ihres künstlerischen Schaffens im Wald.

© SZ vom 31.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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