SZ-Serie: Sagen und Mythen, Folge 4:Freveltaten und Wunder-Holunder

Sagen rund um Kirchen und Wallfahrtsorte machen einen nicht kleinen Teil der über Jahrhunderte tradierten Geschichten aus. Übernatürliches ist bei religiösen Legenden das Natürlichste auf der Welt

Von Florian Tempel, Landkreis

Die am Erdinger Stadtpark gelegene Kirche Heilig Blut ist eine der ältesten der nicht wenigen Wallfahrtskirchen im Landkreis Erding. Ihre Entstehungslegende findet sich gedruckt bereits in Michael Wenings um 1700 entstandener "Historico-Topographica Descriptio", im 1852 erschienenen "Sagenbuch der Bayerischen Lande" von Alexander Schöppner und natürlich auch in Hans Wimmers "Sagen, Legenden, Anekdoten und Erzählungen" aus dem Erdinger Land von 2004.

Dort, wo 1675 das barocke Kirchengebäude errichtet wurde, stand schon mindestens seit dem 14. Jahrhundert eine gotische Gnadenkapelle. Dieser Bau, von dem noch Tuffsteinreste in der Krypta erhalten sind, hat wohl zudem noch einen Vorgänger gehabt, eine ganz alte Kapelle aus Holz, die einst nach einer wundersamen Begebenheit gestiftet worden sein soll. Allerdings nicht etwa nach einer positiven Erscheinung, sondern, um eine besondere Art des Frevels zu sühnen.

SZ-Serie: Sagen und Mythen, Folge 4: Eine wundersame Hostie war der Ursprung der Wallfahrtskirche Heilig Blut in Erding - hier zu sehen auf einem alten Votivbild.

Eine wundersame Hostie war der Ursprung der Wallfahrtskirche Heilig Blut in Erding - hier zu sehen auf einem alten Votivbild.

(Foto: Peter Bauersachs)

Die Geschichte ist auf drei Bildern in der Kirche dargestellt: Es soll der Gründonnerstag 1417 gewesen sein. Zwei Bauern aus dem ehemaligen Dorf und heutigem Erdinger Stadtteil Klettham gingen zur Messe in die nah gelegene Pfarrkirche in Altenerding. Der eine Bauer war sehr reich und der andere war dagegen sehr arm. Der arme Bauer fragte auf dem Weg zur Kirche den wohlhabenden aus, wie er denn zu seinem Reichtum gelangt sei. Der reiche Bauer gab sein angebliches Geheimnis preis: Er habe vor vielen Jahren nach dem Kirchgang eine Hostie mit zu sich nach Hause genommen und bewahre sie dort seitdem sorgfältig auf. Dieser heilige Talisman habe eine glücksbringende Wirkung entfaltet und ihm zu seinem Wohlstand verholfen.

Das wollte der arme Bauer auch. Und so behielt er nach der Kommunion die Hostie im Mund unter der Zunge, statt sie herunterzuschlucken. Auf dem Heimweg aber muss er wohl gestolpert sein oder hat husten müssen. Jedenfalls entwich ihm die Hostie kaum einen Kilometer von der Kirche entfernt aus dem Mund. Wundersamerweise sei sie noch einige Zeit in der Luft geschwebt, als ob sie nichts wöge, bevor sie zu Boden fiel. Dort blieb sie dann jedoch fest und unverrückbar liegen, als sei sie schwerer als irgendetwas auf der Welt. Weder dem beschämt herbeigerufenen Altenerdinger Pfarrer noch dem damals amtierenden Bischof von Freising sei es gelungen, die Hostie wieder vom Boden aufzuheben. Sie war nicht mehr zu bewegen und versank schließlich im Erdboden.

SZ-Serie: Sagen und Mythen, Folge 4: Ein Holunderbusch begründete die Wallfahrt nach Maria Thalheim.

Ein Holunderbusch begründete die Wallfahrt nach Maria Thalheim.

(Foto: Renate Schmidt)

Unter dem Altar in der heutigen Krypta ist eine kleine Grube an der Stelle, wo die Hostie einst versunken sein soll. Früher nahmen die Wallfahrer dort eine Handvoll der Erde mit, um sie später als Heilmittel für Mensch und Tier zu nutzen.

Die Legende vom Ursprung der Wallfahrt nach Maria Thalheim findet sich ebenfalls in Wimmers Sammlung und in Schöppners Sagenbuch, wobei dieser sie in Karl Röckls 1832 erschienenem Buch über die Wallfahrt abgeschrieben hat.

Ein Holunder, der heute noch an der Nordseite der Kirche steht, trug in keinem Frühjahr die doch eigentlich so unübersehbaren weißen Blütendolden - und dennoch am Ende jedes Sommers Beeren. Wenngleich auch keine dunkelblauen, sondern stets grüne, unreife Früchte. Den Gläubigen war der Thalheimer Holunder seit jeher mehr als nur ein Naturschauspiel. Er erschien ihnen als lebendige Allegorie der Gottesmutter Maria: Die war zwar auf natürliche Weise von ihren Eltern Anna und Joachim gezeugt, empfangen und geboren worden, blieb dabei aber von der Erbsünde frei. Nur weil Maria immaculata, "ohne Makel" war, konnte sie als Jungfrau Gottes Sohn zur Welt bringen - so ist es katholisches Dogma seit 1854. Unumstritten war das freilich nie. Im Mittelalter kritisierten zum Beispiel katholische Geistesgröße wie Thomas von Aquin und Albertus Magnus die Immaculata-These als unhaltbar. Andererseits lässt sich die leibliche Himmelfahrt - die Kirche in Thalheim ist Mariä Himmelfahrt geweiht - als geradezu logisch Folge aus der Makellosigkeit Marias ableiten: Im Gegensatz zu allen anderen Menschen bedurfte die von der Erbsünde freie Gottesmutter nach dem Ende ihres irdischen Lebens keiner Läuterung im Fegefeuer. Für Maria verlief die Aufnahme in den Himmel nahtlos. Das glauben Katholiken schon seit vielen Jahrhunderten, Dogma ist das aber erst seit 1950.

SZ-Serie: Sagen und Mythen, Folge 4: Die Folgen eines dummen Spruchs sind in der Lindumer Kirche zu sehen.

Die Folgen eines dummen Spruchs sind in der Lindumer Kirche zu sehen.

(Foto: Renate Schmidt)

Schon vor mehr als 600 Jahren stand in dem wundersamen Thalheimer Hollerbusch auch eine Statue der Mutter Gottes. In welcher Form das Bildnis Maria darstellte, ist nicht mehr bekannt. Es ist aber stark anzunehmen, dass es bereits eine Darstellung der Madonna als Maria Immaculata gewesen sein sollte, so wie das heutige Madonnen-Bildnis am Hollerbusch von 1884.

Mit dem ersten Gnadenbild im Thalheimer Hollerbusch ist eine zweite wundersame Geschichte verbunden, die den Bau der Kirche an diesem Platz erklären und bekräftigen soll. Irgendwann sollte, so geht die jahrhundertealte Überlieferung, in Thalheim die Kirche auf einer Anhöhe errichtet werden. Kirchen stehen ja in vielen Orten am höchsten Punkt eines Dorfes. Doch Thalheim, das zeigt schon der Ortsname, hat eine Tallage. Gegen das Vorhaben, die topografische Besonderheit des Dorfes zu ignorieren und nur, um lieber der andernorts üblichen Gepflogenheit zu folgen, eine Kirche auf einem Bergerl zu errichten, habe sich seinerzeit das Marienbild mit eigener Kraft gewehrt. Es heißt, die Mariendarstellung sei mehrmals zu dem für den Kirchenbau ausgewählten Platz oberhalb des Dorfes gebracht worden. Doch jedes Mal sei es über Nacht, ganz von selbst, an seinen angestammten Standplatz im Hollerbusch zurückgekehrt. Legendenforscher nennen das eine Wandersage, die auch an anderen Wallfahrtsorten in ähnlicher Weise vorkommt.

Die Thalheimer Legende von einer selbst zurückwandernden Marienstatue mutet sehr naiv an. Das macht einen stutzig. Die Plumpheit der Geschichte wird allerdings verständlich, wenn man darin eine nachträgliche Rechtfertigungslegende der Obrigkeit erkennt. Die damaligen Entscheidungsträger brachten die Legende in Umlauf, weil sie den Willen der Thalheimer Bevölkerung ignoriert und übergangen hatten, dass aber auf gar keinen Fall eingestehen wollten - das kennt man ja nach wie vor so. Die Wahrheit war also diese: Der einfache Thalheimer wollte im Gegensatz zur Obrigkeit keine Kirche am Berg, sondern die Kirche im Dorf lassen, und somit auch da, wo die hilfreiche und wunderbare Maria schon immer oder zumindest schon sehr lange stand - am Hollerbusch. Also leisteten einige Thalheimer heimlich, zäh und schlau Widerstand gegen eine falsche Entscheidung von oben. Sie brachten das Gnadenbild immer wieder dahin zurück, wo es hingehört. Die Obrigkeit gab letztlich klein bei, vertuschte aber die Revision ihres Beschlusses durch Verweis auf höhere, ja allerhöchste Gewalt und wahrte so ihr Gesicht. Für den wundersamen Hollerbusch gibt es übrigens auch eine profane Erklärung: Es handelt sich, naturwissenschaftlich gesehen, um die botanische Besonderheit eines sogenannten Verstecktblühers, was auch im illustrierten Kirchenführer, der in der Kirche ausliegt, nicht verschwiegen wird.

SZ-Serie: Sagen und Mythen, Folge 4: SZ-Grafik

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Mit der arroganten Lebenshaltung der Oberschicht hat auch die mit dem Lindumer Kircherl verbundene Sage vom Kind mit dem Schweinskopf zu tun. Wimmer hat sie bei Schöppner gefunden, der sie vom Oberdorfener Lehrer Bernhard Zöpf hat, der sie dem Zeilhofener Benefiziaten Johann Baptist Schmuderer verdankt, welcher die Geschichte in einer alten Isener Handschrift entdeckt haben soll.

Im 15. Jahrhundert hatten zwei lokale Edelmänner, ein gewisser Plieml und der Herr von Herrnberg, Streit. Die beiden Noblen beanspruchten jeweils das Recht, als einziger rund um Lindum Wildscheine jagen zu dürfen. Beim Edlen Plieml waren die Gier und die Missgunst seinem Nachbarn gegenüber besonders groß. Er soll einmal wutentbrannt gebrüllt haben, er wolle lieber selbst zur Wildsau werden als seinem Nachbarn das Jagdrecht auf Wildschweine zu lassen. Kurze Zeit darauf brachte Pliemls Frau einen missgestalteten Sohn mit einem Schweinskopf zu Welt. Klarer Fall: Plieml hatte das Maul zu voll genommen, was sich rächte. Er wurde auf der Stelle fromm und ließ ein Kirchlein bauen, in dem noch heute ein Glasbild den Schweinskopf-Sohn zeigt.

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