SZ-Kapellenserie:Göttlicher Lauschangriff

Ein Grundriss in Form eines Ohrs und ein frisch gebackener Heiliger zeichnen die Kapelle von Rottmoos bei Wasserburg aus

Von Georg Reinthaler

Im Betreuungshof Rottmoos bei Wasserburg leben und arbeiten seit knapp 60 Jahren Menschen mit Hör- und Sprachstörungen. Für viele von ihnen stellen der Kontakt zur Religion sowie die ganz eigene Kommunikation mit dem Herrgott ein zentrales wie intimes Bedürfnis dar. Um den Bewohnern nach dem Abriss eines maroden Gotteshauses diesen Wunsch erfüllen zu können, ist auf dem Einrichtungsgelände eine neue Kapelle entstanden.

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Um auf ihre ganz eigene Art mit dem Herrgott kommunizieren zu können, bauten gehörlosen Bewohner des Betreuungshofes von Rottmoos eine Kapelle, im Jahr 2011 wurde sie geweiht.

Doch bei dem faszinierenden Gebäude handelt es sich nicht einfach nur um eine klassische Kapelle: Mit einem Grundriss in der Form eines Ohrs, einem hellen Innenraum durch gläserne Wandelemente, einem Glockenturm mit speziell angefertigten Sonnenuhren und insbesondere einem ungewöhnlichen Namenspatron stellt sie ein liebevoll gestaltetes Kleinod dar.

"Die Bewohner wollten unbedingt eine neue Kapelle und herausgekommen ist schließlich ein neues Gotteshaus für eine sich stetig erneuernde Einrichtung, was einen passenden Zusammenhang herstellt", berichtet Doris Müller, Vorsitzende des Vereins zur Förderung des Betreuungshofes Rottmoos. Es gehe darum, den Menschen mit ihren Beeinträchtigungen beim Hören und Sprechen einen geschützten Rahmen zum Leben und Arbeiten zu bieten, ohne sie von der Gesellschaft zu isolieren. Offenheit sei das oberste Gebot, welches sich in der 2011 eingeweihten neuen Kapelle für jedermann sichtbar und ganz selbstverständlich wiederspiegle.

Dabei hat die Errichtung des an sich kleinen Hauses große Herausforderungen hervorgebracht: Selbst eine erfahrene Baufirma aus der Region hatte viel Arbeit und Vorplanung für ein Gebäude mit dem Grundriss in Form eines Ohrs zu erbringen. Es mussten Spendenmittel von Privatpersonen, Unternehmern oder Institutionen gesammelt werden. Und auch für die Frage nach dem passenden Namenspatron gab es keine spontane Antwort.

Erst nach längerem Suchen sind die Verantwortlichen auf Filippo Smaldone (1848 bis 1923) aus Italien, dem Schutzpatron der Gehörlosen, gestoßen. "Unsere Kapelle in Rottmoos ist daher auch die erste im gesamten deutschsprachigen Raum, die diesem erst vor wenigen Jahren heiliggesprochenen Patron gewidmet ist", erklärt Doris Müller stolz. Man sei eigens zum entsprechenden Salesianerinnen-Orden nach Lecce gereist, um dort hochoffiziell die Pläne für die Kapelle in Oberbayern vorzustellen. Beim anschließenden Ortsbesuch der Schwestern hätten diese dann zur großen Überraschung aller am Kapellenbau Beteiligten sogar eine echte Reliquie von Smaldone, nämlich ein Fingerknöchelchen, mitgebracht, welche nun im Innenraum des Gebäudes aufbewahrt werde.

Dieser ist aufgrund der großzügigen Glasfassade stets freundlich hell erleuchtet, die Decke ist blau gestrichen und kleine Lämpchen lassen den Eindruck eines Sternenhimmels entstehen. Schlichte Holzhocker bieten Platz für jeweils eine der vier betreuten Gruppen der Einrichtung. Bei Bedarf wird einfach der gläserne Teil der Wand aufgemacht, so öffnet sich das Kirchenohr nicht nur symbolisch nach außen hin zum barrierefrei und naturbetont gestalteten Vorplatz. Das kleine bunte Kirchenfenster mit fröhlichen Motiven ist von gehörlosen Kindern bemalt worden. "Es ist jedes Mal wieder rührend zu sehen, wie die Bewohner auf ihre tagsüber stets geöffnete Kapelle aufpassen und wie groß der Zuspruch für dieses mit unglaublich hohem ehrenamtlichen und finanziellen Aufwand realisierte Gebäude ist", berichtet Doris Müller.

Der nicht mit der Kapelle verbundene, leicht abseits stehende Glockenturm verstärkt den ungewöhnlichen und deshalb so interessanten Charakter der sakralen Anlage. Jeweils an ihren Geburtstagen dürfen die Einrichtungsbewohner selbst die Glocke läuten. Und die beiden vom Mathematiker Willy Bachmann eigens für die Rottmooser Kapelle konstruierten sowie gestalteten Sonnenuhren, die am Turm angebracht sind, sollen alle Besucher daran erinnern, sich im Zeitalter von Hektik und Stress an das Leben im Einklang mit der Natur zu erinnern. Die Unikate zeigen nicht die gesetzlich festgelegte Zeit an, sondern stellen einen Bezug zum natürlichen Tagesablauf her und stehen bewusst auch für Vergänglichkeit und thematisieren unter anderem das Ende des Lebens.

Charakteristisch für die direkt am landschaftlich reizvollen Wasserburger Radrundweg gelegene Kapelle mit ihrer für alle Konfessionen offenen Gestaltung stehen Toleranz, Offenheit, Fröhlichkeit und nicht zuletzt Menschlichkeit. Die Bewohner mit ihren Handicaps erhalten Zugang zu Gott und zur Religion, finden einen Ort der Geborgenheit, und auch ihre Betreuer nutzen das religiöse Haus in den Pausen gerne für einen andächtigen Moment der Ruhe. Mittlerweile hat sogar schon eine Hochzeit von zwei evangelischen gehörlosen Bewohnern aus Rottmoos in der Kapelle stattgefunden und auch Ministrantengruppen aus der Region nutzen sie vermehrt für religiöse Veranstaltungen.

Für alle Interessierten bietet der Verein zur Förderung des Betreuungshofes Rottmoos immer am ersten Freitag im Monat eine etwa einstündige Führung an. Treffpunkt ist jeweils um 15 Uhr in Rottmoos 4, Wasserburg am Inn, direkt an der Bundesstraße 304. Anmeldungen nimmt Doris Müller telefonisch unter (0 80 71) 58 80 entgegen.

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