SZ-Adventskalender:Mama Merkel und eine Automarke

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Junge Flüchtlinge müssen sich ohne Eltern in einer Welt zurecht finden, von der sie so gut wie gar nichts wissen

Von Alexandra Leuthner, Ebersberg

Hätten sie Eltern, wäre es deren Aufgabe, sie zu behüten, ihnen Erziehung, Bildung und Sozialkompetenz beizubringen. Haben sie aber nicht. Zumindest nicht hier - manche der jungen Flüchtlinge auch dort nicht mehr, wo sie her kommen. Für das Ebersberger Jugendamt tut es wenig zur Sache, wo die Eltern sind. Hier zählt nur eins: Da steht ein junger Mensch vor der Tür, der allein ist. Wer ohne Eltern hierher kommt, hat nach deutschem Recht einen Anspruch auf die so genannte "Inobhutnahme als vorläufige Schutzmaßnahme der Kinder- und Jugendhilfe".

118 unbegleitete junge Flüchtlinge haben bis Anfang November den Weg in den Landkreis gefunden. Manche von ihnen werden irgendwann über ihre Erfahrungen sprechen, vielleicht sogar über ihre Gefühle, manche werden das nie können - oder auch nicht wollen. Christian Salberg, Leiter des Ebersberger Jugendamts, ist zuständig für die sogenannten "umF". Es sind überwiegend Jungen, um die sich die Mitarbeiter des Ebersberger Jugendamts kümmern, die meisten kommen aus Afghanistan, Eritrea, Pakistan und Somalia. Nur fünf Mädchen sind auf ihrer Flucht in einer Einrichtung des Landkreises gelandet. Die Schlagzahl, in der wieder eine Wohnung oder ein kleines Haus gefunden werden muss, habe sich seit 2013 enorm erhöht, berichten Salberg und sein Stellvertreter Florian Robida. Zumal junge Flüchtlinge bis zum 1.November 2015 dort in Obhut genommen werden mussten, wo sie erfasst wurden, also entlang der Hauptfluchtrouten. Nun aber werden auch die Minderjährigen, ebenso wie die erwachsenen Flüchtlinge nach dem so genannten Königsteiner Schlüssel über die Republik verteilt - was dem Ebersberger Jugendamt ein wenig Luft verschafft hat.

"Diese Menge hätten wir so nicht mehr weiter bewältigen können", sagt Robida. Ein Satz mit Aussagekraft von einem Mann, der in den vergangenen Monaten nicht nur einmal am Wochenende die Ärmel hochgekrempelt hat, wenn wieder einmal eine neue Unterkunft geweißelt werden musste, ein Kühlschrank eingebaut, Betten oder Regale zusammen geschraubt. Der Genehmigungsweg für eine den Vorgaben der Jugendhilfe entsprechende Unterkunft sei lang, erklärt er. "Aber wenn es heißt, da kommt wieder eine Gruppe zu euch, dann muss es schnell gehen." Also legen die Mitarbeiter im Jugendamt schon seit Monaten selbst mit Hand an. In neun landkreiseigene Unterkünfte sind die jungen Flüchtlinge aufgeteilt, drei größere Einrichtungen in Ebersberg, Steinhöring und Glonn, und sechs weitere, in denen kleinere Gruppen von drei bis fünf jungen Leuten zusammen wohnen. Dazu kommen noch die Unterkünfte freier sozialer Träger.

Wer von den 16- oder 17-Jährigen bewiesen hat, dass er mit den durchaus strengen Regeln zurecht kommt, auf deren Einhaltung Jugendamtsleiter und Betreuer bestehen, darf umziehen in eine der kleineren Wohngemeinschaften. Dort sind nicht nur die Betten schöner, aus Holz statt aus Metall, auch das Zusammenleben mit den Schicksalsgenossen ist familiärer. "Wir möchten die Jugendlichen auf ein Leben in Deutschland vorbereiten", sagt Salberg. Und dazu gehört neben der Einhaltung der Vorschriften und Gebräuche für die jungen Leute eine möglichst gute Ausbildung. In Kooperation mit den Berufsschulen in Wasserburg und Erding konnten Außenklassen im Landkreis eingerichtet werden, in denen sie unterrichtet werden. Daneben lernen sie Deutsch. Bei einigen Sportvereinen im Landkreis können sie im Training mitkicken - aber das Lernen steht immer an erster Stelle. "Wir bieten ihnen etwas, aber wir erwarten auch etwas von ihnen", sagt Robida. Im Rahmen eines Pilotprojekts der für den Landkreis zuständigen Arbeitsagentur Freising können 18 junge Flüchtlinge jetzt eine assistierte Ausbildung machen. Wenn man den jungen Leuten eine Chance auf Integration geben wolle, dann dürfe man sie nicht in Hilfsarbeiterjobs auf der Baustelle drängen. "Wir können ihnen ja kein Vermögen mitgeben, aber wenigstens eine gute Ausbildung."

Das alles kostet natürlich Geld, und da kommt das Jugendamt mit den Zuwendungen der Regierung doch oft an seine Grenzen, etwa bei Unterrichtsmaterialien zum Deutschlernen oder Turnschuhen für den Sportunterricht. Auch sehe man es als wichtige Aufgabe an, erklärt Salberg, den jungen Menschen ein gewisses Maß an kultureller Teilhabe zu ermöglichen. "Die kennen von Deutschland, bevor sie hierher kommen, vielleicht eine Automarke und dann noch Mama Merkel. Den Rest hat ihnen der Schleuser erzählt", sagt er. "Und da herrschen manchmal krude Vorstellungen." Aber das sei, sagt er, als wenn unsereins plötzlich in Usbekistan säßen. "Da wüssten wir auch nichts. Und so geht es vielen jungen Flüchtlingen hier."

Also packe man die jungen Männer schon mal in einen Bus, um ihnen ein wenig von ihrer neuen Heimat zu zeigen. So sei eine Gruppe vor kurzem in Frauenchiemsee gewesen, erzählt Robida, wo er ihnen beim Besuch der Kirche klar gemacht habe, dass sie hier das Käppi abnehmen müssen. "Sie sollen schließlich wissen, wo sie leben, und zu wertvollen Mitgliedern unserer Gesellschaft werden."

Die ganz großen Erwartungen wollen Salberg und Robida bei ihren Schützlingen nicht wecken. Den Traum vom Ferrari habe er schon manch einem nehmen müssen, sagt Salberg. "Aber für einen Golf", habe ich dann gesagt, "könnte es schon reichen." Eine Spende aus dem SZ-Adventskalender für gute Deutschbücher und Schulausstattung könnte dazu beitragen, dass die jungen Flüchtlinge hier ihren Weg gehen können.

© SZ vom 12.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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