Streit im Grafinger Stadtrat:Warum das Aus des Weihnachtsmarktes etwas mit einer Metzgerei zu tun hat

Streit im Grafinger Stadtrat: Grafinger Bürger kämpfen um ihren Weihnachtsmarkt. Doch auch im Stadtrat ist das Thema umstritten.

Grafinger Bürger kämpfen um ihren Weihnachtsmarkt. Doch auch im Stadtrat ist das Thema umstritten.

(Foto: Christian Endt, Fotografie & Lic)
  • Der Grafinger Weihnachtsmarkt und die Frage, ob er weitergeführt wird, sorgt für Unmut und Unruhe im Stadtrat, aber auch der Bevölkerung.
  • Die Debatte zeigt aber auch, dass die Frage nach der persönlichen Betroffenheit von Stadträten nicht immer eindeutig zu beantworten ist.

Von Thorsten Rienth, Grafing

Unterm Strich machte Franz Saißreiner nur das, wofür ihn die Grafinger wählten: Er diskutierte über Fragen der Stadtpolitik und hob die Hand. Das Problem an den leidenschaftlichen Wortmeldungen und seiner anschließenden Abstimmung, die das vorläufige Ende des Grafinger Weihnachtsmarkts besiegelte: Der CSU-Stadtrat betreibt am Marktplatz eine Metzgerei. Der Weihnachtsmarkt ist ihm wegen einiger wegfallender Parkplätze seit Jahren ein Dorn im Auge. Saißreiner sagt, der Markt bedeute für sein Unternehmen erhebliche Umsatzeinbußen und solle deshalb anderswo stattfinden.

"Das hätte so nicht laufen dürfen", wird Bürgermeisterin Angelika Obermayr (Grüne) später über die Kulturausschusssitzung vom 17. April sagen. Dabei schwingt ein selbstkritischer Tonfall mit. Schließlich hätte die Stadtverwaltung auch schon während der Sitzung auf die Idee kommen können, dass Saißreiners Breitseiten gegen den Markt aus persönlichen Betroffenheitsgründen problematisch sein könnten.

Allerdings, und das muss fairerweise dazugesagt werden, hatte die Verwaltung auch etwas Pech. Der im Grafinger Rathaus fürs Kommunalrecht zuständige Mitarbeiter Stephan Meyerhofer fehlte in der Sitzung. Als Knochenmarkspender lag er am 17. April im Krankenhaus.

Stadtrat Saißreiner jedenfalls, so stellt sich bald heraus, hätte in der Sitzung weder mitdiskutieren noch abstimmen dürfen. Anstatt einem sechs zu sechs Patt, der, weil Anträge im Stadtrat erst bei einer Mehrheit der Stimmen als angenommen gelten, wären sechs Voten für den Markt und fünf dagegen gezählt worden. Das Votum hätte die Genehmigung für den Weihnachtsmarkt bedeutet.

Dass es anders kam, hatte schon am nächsten Morgen gewaltige Auswirkungen. "Dann sagt als Stadt Grafing gleich Weihnachten ab!!!", spottete jemand auf Facebook. Schnell folgten deutlich derbere Sätze, bald gar Boykott-Aufrufe gegen einzelne Geschäftsleute. Dabei kursieren auch Namen, die bei den Debatten um den Weihnachtsmarkt noch überhaupt nicht in Erscheinung getreten waren.

Prompt folgten die politischen Reaktionen. Stadträte der Grünen, des "Bündnis für Grafing" und der SPD stellten einen Nachprüfungsantrag. Weil zusammen mehr als ein Drittel der Kulturausschussmitglieder unterschrieben, hätte der Stadtrat über den Weihnachtsmarkt final abstimmen müssen.

Gleichzeitig beantragte der Bayernpartei-Ortsverband förmlich die Annullierung des Kulturausschuss-Beschlusses. Dass Saißreiner als persönlich betroffener Stadtrat mit über den Markt abstimmte, verstoße gegen den Artikel 49 der bayerischen Gemeindeordnung, schrieb Vorsitzender Walter Schmidtke.

Zu eben dieser Bewertung kommen wenig später auch das Grafinger Rathaus und die Rechtsaufsicht im Landratsamt. Das Rathaus wendet den Absatz 4 des Artikels 49 an: Es erklärt den Beschluss - Saißreiners Votum war für das knappe Abstimmungsergebnis schließlich entscheidend - gegen den Weihnachtsmarkt für unwirksam. Deshalb beginnt an diesem Dienstagabend, 8. Mai, um 19 Uhr, im Stadtrat alles von vorne.

Wo aber liegt die Betroffenheitsgrenze?

Die Grafinger Überprüfung der Vorgänge vom 17. April münden in einem erstaunlich klaren Ergebnis: Saißreiners "persönlicher Nachteil legt die Besorgnis nahe, dass er nicht mehr uneigennützig und gemeinwohlorientiert abstimmen würde", formuliert das Rathaus in der Beschlussvorlage zum 8. Mai. Konkret nennt der Artikel 49 einen "unmittelbaren Vorteil oder Nachteil" als Ausschlussgrund. Ob der Vor- oder Nachteil objektiv messbar ist, sei unerheblich, erklärt Meyerhofer. "Alleine die Möglichkeit reicht", verweist er auf erläuternde Gesetzeskommentare.

Wo aber liegt die Betroffenheitsgrenze nun genau? Nicht immer verläuft sie so eindeutig wie etwa bei Christian Einhellig (Freie Wähler). Einhellig darf bei Baugenehmigungen nicht mit diskutieren und abstimmen, wenn er an dem Hausbau als Architekt beteiligt ist. Wie sähe es jedoch aus, wenn zum Beispiel Grünen-Stadtrat Johannes Oswald über den Bau einer neuen Turnhalle votierte, die den Grafinger Volleyballern den Start in der 1. Liga ermöglicht - aber Oswald als Manager der Grafinger Volleyballer arbeitet? "Das ist oft eine Grauzone, bei der Sensibilität gefragt ist", sagt Meyerhofer.

Ein Blick in die Grafinger Geschäftsordnung zeigt, dass dabei vor allem die Stadträte selbst gefragt sind: "Mitglieder des Stadtrats, die nach den Umständen annehmen müssen (. . .), wegen persönlicher Beteiligung ausgeschlossen zu sein, haben dies vor Beginn der Beratung der Vorsitzenden unaufgefordert mitzuteilen." Daraufhin würde das Gremium mehrheitlich entscheiden, ob die Bedenken einen Ausschluss rechtfertigen oder nicht.

Gut möglich, dass die Causa um den Weihnachtsmarkt genau jene Sensibilität zur Folge hat, die Meyerhofer anspricht. Wenn dem so ist, dürften die Auswirkungen auf künftige Debatten und Abstimmungen spürbar werden. Denn offensichtlich sind die Befangenheitsgrenzen vom Gesetzgeber strenger gefasst, als sie in der Grafinger politischen Praxis zuletzt gehandhabt wurden.

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