Steinhöringer Werkstätten:Düstere Geschichte mit Happy End

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Die Steinhöringer Werkstätten feiern in diesem Jahr ihr 45-jähriges Bestehen. Insgesamt 1600 Menschen mit Behinderung leben und arbeiten dort, wo einst die Nazis ein Lebensbornheim betrieben haben. Am Sonntag lädt der Einrichtungsverbund zu einem Tag der offenen Tür ein

Von Johanna Feckl, Steinhöring

Eine Einrichtung für geistig und psychisch beeinträchtigte Menschen am selben Ort, an dem einst Nationalsozialisten eine Zuchtanstalt mit dem Ziel der "Rassenhygiene" betrieben: "Das ist unser Treppenwitz der Geschichte", sagt Thomas Bacher, Leiter der Förderstätten des Einrichtungsverbunds Steinhöring (EVS). 80 Jahre sind seit der Gründung dieses Lebensbornheimes vergangen. In diesem Jahr feiern die Steinhöringer Werkstätten ihr 45-jähriges Bestehen. Zu diesem Anlass lädt der EVS am kommenden Sonntag zu einem Tag der offenen Tür.

Neben dem funktionslosen Turm an der Münchener Straße und dem Häuschen bei der betriebseigenen Gärtnerei ist das Gebäude, in dem heute die Förderstätten ihren Platz haben, noch ein Relikt aus Zeiten des Lebensbornheims. Bis heute kehren regelmäßig ehemalige Lebensbornkinder oder deren Angehörige aus der ganzen Welt hierher zurück, zu dem Ort ihrer Wurzeln. Erst vor zwei Wochen sei eine Frau aus Peru angereist, deren Vater hier geboren wurde, erzählt Bacher. "Diese Menschen arbeiten durch ihren Besuch ihre Lebensgeschichte auf", ist sich der Leiter des Kultur- und Ehrenamtbereiches Franz Wallner sicher. Wenn sie dann auch noch sähen, was aus der ehemaligen Nazianstalt geworden ist, zeigten sie mehr als freudige Reaktionen.

Heute sind die Steinhöringer Werkstätten eine Einrichtung für geistig und psychisch beeinträchtigte Menschen. (Foto: Einrichtungsverbund)

Nach der Nazizeit war auf dem Gelände zuletzt seit 1950 ein Kinderkrankenhaus untergebracht, bevor 1971 die Steinhöringer Werkstätten gegründet wurden. Das primäre Ziel hat sich während all der Jahre nicht verändert: Menschen mit Beeinträchtigungen soll die Perspektive geboten werden, einer Arbeit nachzugehen und damit ein möglichst eigenständiges Leben zu führen. Mit drei behinderten Menschen nahm damals alles seinen Lauf, erzählt Sebastian Gruber, der Leiter der Werkstätten. Schnell wuchs mit dem Bekanntheitskreis der Einrichtung auch die Zahl derer, die in den Werkstätten arbeiteten. Ein Jahr nach Gründung seien es bereits 30 Menschen gewesen, erinnert sich Franz Wallner, der seitdem in Steinhöring arbeitet. 1978 lag die Zahl bei 118.

Während der Anfangsjahre gab es drei verschiedene Arbeitsbereiche: eine Metallwerkstatt, eine Schreinerei und die industrielle Fertigung, in der sortiert, montiert, zusammengeschraubt und verpackt wird. Schrittweise kamen dann Gärtnerei, Druckerei, Malerei und Lackiererei, Hauswirtschaft sowie mit der Standorteröffnung in Fendsbach 1985 ein landwirtschaftlicher Bereich, 2000 eine Wäscherei in Eglharting und 2008 eine Werkstätte für Menschen mit seelischer Behinderung in Ebersberg hinzu. Seit jeher können die Angestellten ihren Arbeitsbereich frei wählen. Mittlerweile übernehme das Arbeitsamt die Kosten der ersten zwei Beschäftigungsjahre, sagt Sebastian Gruber.

Gegründet als Lebensbornheim der Nazis war das heuige Betreuungszentrum nach dem Krieg zunächst ein Kinderkrankenhaus. (Foto: Einrichtungsverbund)

Die Produktionsabläufe sind an die Menschen angepasst, nicht umgekehrt

m ersten Jahr lernen die Menschen alle Arbeitsbereiche kennen, bevor sie sich für das zweite Jahr das Gebiet aussuchen, in dem sie dauerhaft arbeiten möchten. "Bei uns wird der Produktionsablauf an den Menschen angepasst", sagt Gruber. "Wir beginnen immer beim Menschen, was und wie viel er leisten kann." Denn jeder sei ein wichtiges Glied sowohl in der Gesellschaft als auch in der Produktion, ergänzt Thomas Bacher. So könne der eine nicht an einer lauten Maschine stehen, dafür besitze er aber den notwendig genauen Blick für die Qualitätskontrolle. Bei anderen sei es genau umgekehrt. Für jeden beeinträchtigten Menschen findet man in den Werkstätten einen Arbeitsbereich, der seinen Neigungen und Interessen entspricht.

Erst seit 1987 ist die Förderstätte neben den Werkstätten, der Frühförderstelle, den Kinderhäusern, Schulen und Tagesstätten sowie der Wohneinrichtung und der Seniorentagesstätte ein eigenständiger Bereich des EVS. Der Unterschied zwischen Werk- und Förderstätte sei die Gewichtung der Inhalte, erklärt Thomas Bacher: In den Werkstätten liegt der Fokus auf der Arbeit und die persönliche Förderung geschieht durch zusätzliche Kursangebote, wie in den Bereichen Verkehr, Tanz oder Ernährung. In den Förderstätten ist es genau andersherum.

Seit 45 Jahren leben und arbeiten dort Menschen mit Behinderungen. (Foto: Einrichtungsverbund)

Mittlerweile finden beim EVS insgesamt 1600 Menschen mit Behinderung ein breites Angebot an Unterstützung. Mehr als 400 von ihnen gehen in den Werkstätten einer Arbeit nach und etwa 20 arbeiten in Betrieben außerhalb des EVS. 800 Mitarbeiter, wie Psychologen, Sozialpädagogen, Heilerziehungspfleger, Verwaltungskräfte sowie Handwerksmeister und Gesellen für die Werkstätten sorgen zusammen mit den beeinträchtigten Menschen für einen reibungslosen Betriebsablauf. Auch FSJler und Bundes-Freiwilligendienstleistende stellt der EVS in jedem Jahr neu ein.

Zum Tag der offenen Tür stellt der EVS alle Arbeitsbereiche der Werk- und Förderstätte vor, zum Teil übernimmt dies die Belegschaft auf freiwilliger Basis selbst, zum Teil stehen aber auch die jeweiligen Gruppenleiter für Gespräche zur Verfügung. Daneben wird ein Kinderprogramm organisiert und auch für das leibliche Wohl gesorgt. Als Höhepunkt winkt der Hauptpreis eines Quiz: eine Gartenbank, die die Belegschaft der Steinhöringer Werkstätten gebaut hat.

Der Tag der offenen Tür im Einrichtungsverbund in Steinhöring findet statt am Sonntag, den 24. April, von 10 bis 16 Uhr.

© SZ vom 22.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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