Steinhöring:Mitten im Leben

In der Korbinianschule in Steinhöring findet Inklusion auf verschiedenen Wegen statt. Vor allem soll sie ohne Zwang funktionieren und dem einzelnen Menschen gerecht werden

Von Lea Weinberg, Steinhöring

Große Holzklötze stehen in einem gemütlichen Raum. Die Kindergartenkinder des Montessori Kindergartens der Korbinianschule Steinhöring bauen heute Garagen aus den Klötzen. Es ist ein friedliches Miteinander. "Darf ich mal deine Rakete haben?", fragt ein kleiner Bub ein Mädchen, das etwas am Rand sitzt und gerade an einer bunten Raketenkonstruktion aus zusammensteckbaren Plastikteilen bastelt. Schüchtern blickt die Kleine auf und ist sich offensichtlich nicht ganz sicher, ob sie ihr Kunstwerk weitergeben soll. Doch das Problem löst sich schnell, der Junge wendet sich ab, seine Hilfe wird bei den Garagen benötigt.

Es wirkt wie eine Szene aus einer normalen Kindertagesstätte, doch im Montessori Kindergarten in Steinhöring passiert mehr, er folgt dem inklusiven Ansatz. Unter dem Leitsatz von Maria Montessori "Hilf mir, es selbst zu tun" spielen hier Kinder mit und ohne sonderpädagogischem Förderbedarf täglich zusammen, lernen einander kennen und achten. Damit sich die Kleinkinder nicht in Grüppchen voneinander fernhalten, müsse man die Inklusion im Kindergarten allerdings anleiten, erklärt Markus Schmidt, Leiter der Korbinianschule. So werden die Sitzplätze der Kinder vor allem beim Essen bunt gemischt. Seit 24 Jahren existiert das Projekt schon, am Anfang wurde der inklusive Kindergarten von den Trägerverbänden jedoch nicht gern gesehen, erzählt Schmidt. "Wir mussten da ganz leise sein", sagt er. Inzwischen habe sich das Projekt aber gut etabliert in Steinhöring.

Steinhöring: Im Raum für sensorische Integration lässt sich alles bewegen - die Kinder genießen das sichtlich.

Im Raum für sensorische Integration lässt sich alles bewegen - die Kinder genießen das sichtlich.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

In zwei Kindergruppen wird der Nachwuchs betreut. Es gibt eine große und eine kleinere Gruppe, die sich jeweils den Bedürfnissen der Kinder anpassen, denn "nicht alle Kinder vertragen eine große Gruppe", erklärt Schmidt. Der Montessori-Kindergarten liegt im Keller der Schule, die an einen Hang gebaut wurde. So kann man aus jeder Etage in den Garten gehen. Seit 43 Jahren gibt es die Schule schon und seit 1985 ist der Heilige Korbinian Namenspatron. Dass die Hauptschulstufe und die Berufsschulstufe, die die restlichen Stockwerke des Hauses belegen, auch von Kindern und Jugendlichen ohne Behinderung besucht werden könne, so wie im Kindergarten, das sei noch Zukunftsmusik, erklärt Schmidt, Anfragen aus dem Ort gebe es aber schon. Aber inklusive Prozesse in der Schule sollen Schritt für Schritt angestoßen werden, um das gemeinsame Lernen in Zukunft weiter auszubauen.

Die Schule gehört zu den ersten 16 Förderschulen in Bayern, denen die Auszeichnung "Schulprofil Inklusion" durch das Kultusministerium verliehen wurde. Das Interesse an der Schule sei nach der Auszeichnung deutlich gestiegen, erklärt der Schulleiter. Dass die Leute über das Thema reden, sei ihm besonders wichtig. Bisher wurden nur Regelschulen ausgezeichnet, im gesamten Landkreis Ebersberg nur die Mittelschule in Ebersberg, in Bayern sind es momentan 180 Schulen. Die Auszeichnung erhielten, so das Kultusministerium, solche Einrichtungen, an denen vielfältige inklusive Angebote existieren und damit Erfahrungen für alle bayerischen Schulen gesammelt werden würden. "Für uns bedeutet das Profil vor allem der Auftrag weiterzuarbeiten, denn wir gehören auch zur Gesellschaft", sagt Schmidt und ist sichtlich stolz auf die Anerkennung für seine Schule und seine Mitarbeiter.

Steinhöring: Im "Pränatalraum" wummern Bässe durch ein Wasserbett und fördern Tiefenentspannung.

Im "Pränatalraum" wummern Bässe durch ein Wasserbett und fördern Tiefenentspannung.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Welche Förderung die Schule nach der Verleihung erwarten kann, wird noch vom Kultusministerium entschieden. "Inklusion erfordert natürlich auch Ressourcen", merkt der Schulleiter an. Für die Bewerbung musste die Schule einen dicken Fragenkatalog beantworten, in dem sie ihr Schulprofil darlegte. Vor allem die Zusammenarbeite mit Gymnasien sei etwas Außergewöhnliches, sagt Schmidt. Denn die Korbinianschule arbeitet eng mit Regelschulklassen verschiedener Schularten zusammen. Bis hin zu intensiv kooperierenden Klassen gibt es verschiedene Möglichkeiten des gemeinsamen Lernens. Am Gymnasium in Grafing gibt es zwei, am Gymnasium in Kirchseeon und an der Grundschule in Steinhöring weitere Partnerklassen. Je nach Möglichkeit werden gemeinsame Projekte und gemeinsamer Unterricht gestaltet oder Ausflüge gemacht. Viele Regelschüler würden ihren eigenen Wert ja immer nur an ihren Noten bemessen, im Vergleich mit den Schülern aus der Korbinianschule könnten sie jedoch echten Wert erkennen. "Unsere Schüler brechen den Leistungsdruck", so Markus Schmidt. An sich sei die Förderschule aber momentan noch eher exkludierend, sagt er, doch mit anderen Schülern und Klassen im Haus werde viel zur Inklusion beigetragen. Laut Markus Schmidt ist in Steinhöring an der Grundschule eine gemischte Klasse geplant. "Das wäre dann richtige Inklusion", so der Schulleiter, da alle Schüler ständig zusammen und in derselben Schule unterrichtet werden würden.

Inklusion müsse aber vor allem dem Individuum gerecht und immer den Bedürfnissen des Einzelnen angepasst werden. "Inklusion muss nicht für jeden gut sein", sagt Markus Schmidt. Die Schüler, die nur in der Korbinianschule unterrichtet werden, hätten so einen geschützten Raum, in dem sie alle ihre Möglichkeiten ausschöpfen können und optimal gefördert werden - ohne Ausgrenzung und an individuell auf jeden Schüler zugeschnitten. Die Schüler werden auch nicht in Standardklassenräumen unterrichtet. So wird beispielsweise ein Raum für sensorische Integration, entwickelt von der amerikanischen Entwicklungspsychologin Jean Ayres, in kleinen Gruppen genutzt. Auf dem Boden liegen blaue Matten, in einer Ecke steht ein buntes Bällebad und an der Decke sind Halterungen befestigt, an denen Mattenschaukeln hängen. Alles lässt sich bewegen und neu anordnen. Durch den Raum ist eine breite, große Hängematte gespannt, in die drei Kinder jauchzend und kichernd springen. Das Ziel der sensorischen Integration ist es, ein erhöhtes Reizangebot in einer Spielsituation sinnvoll zu verarbeiten und es scheint als ob diese Therapieform besonders viel Spaß mache, wenn man in die strahlenden Gesichter der Kinder sieht.

Steinhöring: Im integrativen Kindergarten spielen alle Kinder gemeinsam.

Im integrativen Kindergarten spielen alle Kinder gemeinsam.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Schüler, die nicht oder nur wenig sprechen können, haben in der Korbinianschule auch die Möglichkeit eine Gebärdensprache zu lernen und zu nutzen, die an die offizielle deutsche Gebärdensprache angelehnt ist. Das erleichtert die Kommunikation mit Lehrern und Mitschülern. Plakate mit praktischen Gebärden und dazugehörigen Symbolfotos hängen überall in der Schule verteilt an den Wänden. Die Gebärde des Monats ist "allein", eine horizontale Kreisbewegung mit dem Daumen.

Nicht nur die Kommunikation durch gesprochene Worte oder Gebärden ist in der Korbinianschule Thema. Auch eine subtile, körperliche Kommunikation, mit der oft junge Erwachsene ein Problem haben. wird gefördert. Dazu gibt es in der Schule einen ganz in Gelb gehaltenen Raum mit einem Wasserklangbett und allerlei bunten Lichtspielen, Sitzgelegenheiten, Spiegeln und einer sprudelnden Wassersäule. Über eine Disco-Kugel können die Lichtreflexionen eines bunten Scheinwerfers in verschiedenen Geschwindigkeiten durch den Raum gleiten, während durch eine andere Lichtquelle Meeresfische auf die Wand projiziert werden können. Unter dem Wasserbett sind Musikboxen eingebaut, die vor allem die Bässe durch das Wasserbett zum Körper leiten. Das Konzept wird auch Pränatalraum genannt, weil durch die Boxen auch der eigene Herzschlag oder Geräusche aus einer Gebärmutter gespielt werden können, was beruhigend wirkt. So tiefenentspannt würden sich sogar einige eher abweisende Korbinianschüler die Füße massieren lassen, was im normalen Schulalltag nicht vorstellbar wäre, so Schmidt. Nicht immer muss Kommunikation also gesprochen sein, oder gezeigt werden, auch durch den Körper kann ein Mensch sich ausdrücken.

Steinhöring: Sebi trainiert am Tablet die Geschicklichkeit seiner Finger.

Sebi trainiert am Tablet die Geschicklichkeit seiner Finger.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Neben einem Klassenraum, in dem gerade Kunstunterricht stattfindet sitzt Sebi, ein Schüler der Korbinianschule. Er benutzt ein Tablet um Geschicklichkeitsspiele zu spielen. Dabei muss er gezielt mit einem Finger Figuren zuordnen und wird dabei von einer Schulbegleiterin unterstützt. Mit ihr gemeinsam strukturiert er seinen gesamten Tag. Dazu hängen in den Klassenräumen Klettverschlussleisten mit kleinen Bildern. Ohne Worte, nur mit laminierten Symbolbildern von Tätigkeiten, werden die Tagesabläufe dargestellt. Sebi braucht zusätzlich einen Timer, damit er sich darauf einstellen kann, wie lange er eine Tätigkeit ausführen soll. Sein Blick wandert immer wieder auf die rot markierte Zeit, ohne den Timer würde er unruhig werden, erklärt seine Schulbegleiterin.

Es sei besonders wichtig, dass Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf schon früh Struktur lernen, erklärt Schulleiter Schmidt, das erleichtere ihnen auch später den Alltag in der Gesellschaft. Durch die teilweise von den Schülern selbst eingeteilten Tagesabläufe, die in den Klassenräumen bildlich an den Leisten dargestellt sind, sollen die Kinder und Jugendlichen vor allem Selbstwirksamkeit lernen. Eine Lehrerin erzählt davon, wie ein Junge das Trampolinbild aus seinem Bilderordner gezeigt habe, als er das kleine Trampolin im Klassenzimmer nicht alleine aufstellen konnte. Sich selbst Hilfe holen und "merken, dass ich mit dem, was ich mache, etwas bewege und sogar eigene Interessen zeigen kann", sagt Markus Schmidt, das sei für diesen Schüler eine wichtige Erfahrung und ein großer Fortschritt gewesen.

So kann Inklusion auch aussehen, als eine möglichst umfassende Hilfe zur Teilhabe am Leben und die Möglichkeit, sich im eigenen Lebensumfeld auszudrücken, erklärt Schmidt. Denn es gehöre zur Lebenswirklichkeit von Menschen mit einer Behinderung, dass in an mancher Stelle der Zugang verwehrt ist. Letztendlich gehe es bei Inklusion um eine intensive Auseinandersetzung mit Andersartigkeit. "Wir wollen mit Begeisterung anstecken", so Schmidt. Durch Freiwilligkeit und Mitbestimmung will er mit seinen Mitarbeitern und Schülern ein Konzept der Offenheit und Vielfalt schaffen. Es ist wie in einer Beziehung, sagt der Schulleiter, "man muss sich miteinander treffen."

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