Steinhöring:"Den anderen als Mensch kennenlernen"

Steinhöring: Ein Bild von Steinhöring haben sich Flüchtlinge im Rahmen eines Fotoprojekts mit Andrea Tretner gemacht.

Ein Bild von Steinhöring haben sich Flüchtlinge im Rahmen eines Fotoprojekts mit Andrea Tretner gemacht.

(Foto: Christian Endt)

Mit einem Fotoprojekt will Andrea Tretner helfen, Flüchtlinge in Steinhöring zu integrieren und Werte zu vermitteln

Von Sandra Langmann, Steinhöring

Von außen erscheint das alte Raiffeisengebäude am Bahnhof in Steinhöring wenig einladend. Öffnet man jedoch die schwere dunkle Holztür, sprüht es im Inneren vor Leben. An diesem kalten Dezemberabend wurde ordentlich eingeheizt, damit keiner frieren muss. Die Fenster sind mit Tannenzweigen und Kerzen dekoriert, und auch der lange Tisch am Ende des Raumes ist passend mit Reisig, Mandarinen, Nüssen und Schokolade-Nikoläusen geschmückt, schließlich sollen sich hier alle wohl und willkommen fühlen.

Im Herbst hat Andrea Tretner zusammen mit dem Helferkreis Steinhöring ein Fotoprojekt mit Flüchtlingen ins Leben gerufen. Die Heilpraktikerin für Psychotherapie sah die Zeit gekommen, etwas zu unternehmen, denn schließlich befinden sich mittlerweile viele Flüchtlinge im Landkreis. "Sie sind jetzt da, und nun müssen wir sie integrieren," ist Tretner überzeugt. Die Integration steht daher beim Fotoprojekt ganz klar im Vordergrund. Die jüngste Aufgabe der Flüchtlinge bestand darin, mit Fotoapparaten und Handykameras abzubilden, was sie in Steinhöring als schön oder auch als nicht schön empfinden. Diese Fotos liegen nun verteilt auf einer Tischtennisplatte und sollen ihren Besitzer wiederfinden.

Knapp 20 Teilnehmer haben sich um den Tisch versammelt. Andrea Tretner greift nach einem Bild, auf dem einige junge Männer abgebildet sind. "Was ist das Schöne daran?", möchte sie wissen. "Na wir!", hallt es durch den Raum und die jungen Männer verfallen in schallendes Gelächter. Es macht ihnen sichtlich Spaß, hier zusammen zu sein und den Abend zu genießen. Vor wenigen Monaten sei das noch schwieriger gewesen, denn das Vertrauen musste erst aufgebaut werden, erzählt die Projektleiterin. Zwölf Flüchtlinge und fünf Jugendliche aus dem Dorf im Alter zwischen 15 und 25 Jahren treffen sich jeden Montagabend im alten Raiffeisengebäude und arbeiten gemeinsam an ihren Fotoprojekten. "Die Flüchtlinge werden dabei von den anderen Jugendlichen an die Hand genommen", berichtet Tretner stolz.

Für die jungen Mädchen der katholischen Landjugend ist das selbstverständlich. Sie sind von Anfang an am Projekt beteiligt, obwohl sie anfangs von Mitschülern aus dem Dorf auch ausgelacht wurden. "Viele sind sehr konservativ", ärgert sich Magdalena Kerschl, die diese Einstellung nicht nachvollziehen kann. Natürlich habe sie anfangs auch Vorurteile gegenüber Flüchtlingen gehabt, doch gerade das sei der Grund, warum sie sich am Projekt beteilige. Es sei menschlich, Vorurteile zu haben, doch damit wolle sie aufräumen. "Ich möchte den Menschen als Menschen kennen lernen", erklärt Kerschl, "mit allen Stärken und Schwächen."Mit der Zeit seien die Flüchtlinge auch offener geworden. Am Anfang noch eher schüchtern, kommen sie nun auf die Mädchen zu und schütteln ihnen die Hände. "Und sie haben auch Respekt vor ihrem sicheren Auftreten", schildert Tretner ihre Beobachtungen.

Andrea Tretner wählt ein anderes Bild aus, auf welchem eine mit Graffiti besprühte Hauswand abgebildet ist. "Greislich is' das", melden sich einige aus dem Helferkreis Steinhöring, einem Flüchtling scheint die Darstellung aber ganz gut zu gefallen. Die Fotos sagen ganz ohne Worte viel aus. Sie gestatten einen zweiten Blick - einen zaghafteren Blick - und schaffen eine Brücke zwischen Einheimischen und Flüchtlingen. "Die Fotos geben Aufschluss über die Person und spiegeln die persönlichen Wertvorstellungen. Dadurch lassen sich Gemeinsamkeiten feststellen, wodurch wiederum Beziehungen aufgebaut werden", erklärt Tretner. Sie verweist auf Collagen, die von den Teilnehmern gestaltet wurden und die auch die Schattenseiten zeigen, das, was die Geflüchteten immer noch beschäftigt. Unter anderem sind es Flüchtlingsboote, die sie in Gedanken nach wie vor begleiten. Welten prallen hier aufeinander. Und obwohl Tretner betont, dass das Projekt hauptsächlich der Integration diene, kann mit einem Blick auf die Bilder eine therapeutische Wirkung nicht ganz ausgeschlossen werden.

Die Gestaltung der Collagen hat Bereket Gebretibanos besonders gut gefallen. Obwohl er nicht so gut malen könne, mache ihm das großen Spaß. Durch das Projekt habe er Freunde kennengelernt, zuvor habe nicht wirklich jemand mit ihm gesprochen. Der junge Mann macht einen sehr schüchternen Eindruck, wird aber in der Gruppe gut aufgenommen. Aideraus Adenhassan ist da schon etwas offener und hat sichtlich Spaß, hier Freunde zu treffen und mit ihnen herumzualbern.

Im Frühjahr soll das Fotoprojekt mit einer Ausstellung seinen Höhepunkt erreichen. Dorfbewohner und Flüchtlinge werden zu einem Fest eingeladen, um miteinander einen Blick auf die erzählenden Bilder zu werfen - und einander besser zu verstehen.

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