Stadtentwicklungskonzept für Grafing:Erst dagegen, dann angenommen

Das Bündnis für Grafing fordert ein Stadtentwicklungsprogramm. In der Sitzung rät die Beraterin davon ab, die Stadträte äußern sich ablehnend - und stimmen letztlich doch zu.

Von Thorsten Rienth, Grafing

Die Grundzüge der aktuellen Stadtpolitik muss man sinnvollerweise von der Zukunft aus sehen. Das hat sich zumindest das Bündnis für Grafing (BfG) gedacht und deshalb im Stadtrat die Erarbeitung eines Stadtentwicklungskonzepts beantragt. Am Dienstag kam eine Beraterin in die Sitzung, die von dem aufwendigen Prozedere erst einmal abriet. Auch aus dem Stadtrat konnte sich kaum jemand jenseits des BfG für die Sache begeistern. Bei der Abstimmung gab es dann die große Überraschung: Die Stadträte stimmten dem Antrag zu.

Die Liste dessen, was das BfG in dem Stadtentwicklungskonzept definieren will, ist lang. Demografische Veränderungen sollen im Mittelpunkt stehen, Infrastruktur, Bildung, Kultur, Stadtmarketing, Tourismus, Wirtschaft oder Verkehr. Die langfristigen Ziele der Stadt eben, "Horizont mindestens 15 bis 25 Jahre". So ließen sich unter dem Strich Kosten sparen, weil Fehlinvestitionen vermieden würden, erläuterte BfG-Stadträtin Yukiko Nave.

Aufgabe der Beraterin Stephanie Sophia Utz war es nun zu erklären, wie so ein Konzept aussehen kann. "Da gibt's keine Ablaufvorgaben und keine Rechtsfolgen, es ist eine freiwillige Selbstbindung", erklärte die Architektin, Stadtplanerin und Juristin. "Es ist eine informelle Planung, eine Bedarfseinschätzung, eine Grundlage für weitere Entscheidungen." Die Kosten schätzte sie auf zwischen 60 000 und 80 000 Euro "plus Dinge, die im Laufe des Prozesses noch hinzukommen können".

Ob die Stadt einen konkreten Nutzen davon hat? Utz schüttelte den Kopf. "Im Prinzip haben Sie schon 2003 mit dem städtebaulichen Rahmenplan so etwas wie ein Stadtentwicklungskonzept erstellt", war ihre Antwort. "Damit und mit Ihrem Leitbild haben Sie die wesentlichen Eckpfeiler doch schon gesetzt."

Und vor Fehlinvestitionen bewahre das Konzept selbstverständlich auch nicht, entkräftete sie ein Hauptargument des BfG. Sinnvoll sei ein Stadtentwicklungskonzept eher in anderen Fällen. "Wenn Sie eine 3000-Seelen-Gemeinde sind und sich beispielsweise plötzlich ein Werk ansiedelt mit 1000 Arbeitsplätzen."

Ostumfahrung, das Baugebiet hinterm Aldi-Markt, das neue Baywa-Gelände, die neue Gartenstraße, das Gewerbegebiet Schammach II: "Setzen Sie erst einmal das um, was Sie schon geplant haben, und reden sie in zwei oder drei Jahren nochmal drüber."

Ohne zwingenden Anlass solle man ein Stadtentwicklungskonzept nämlich nicht erarbeiten, empfahl sie. Eingebundene Fachplaner, Zukunftswerkstätten, Workshops, eine Stärken-Schwächen-Analyse, ein Lenkungskreis seien nicht nur an sich eine zeitaufwendige Angelegenheit, "das alles müsste auch jemand organisieren". Die 3000-Einwohner-Gemeinde aus Utz' Beispiel habe dafür extra einen Mitarbeiter aus der Verwaltung abgestellt. Grafing ist mehr als viermal so groß.

Entsprechend reserviert waren die Stadträte. Sich Gedanken über die Zukunft zu machen sei freilich richtig, meldete sich etwa zweiter Bürgermeister Josef Rothmoser (CSU) zu Wort. Einen wirklichen Handlungsbedarf sehe er aber nicht: "Meine Sorge ist auch, dass da überhaupt noch jemand den Überblick behält."

Christiane Goldschmitt-Behmer (Grüne) sah ein Problem in der Langfristigkeit der Planung: "Wir planen gerade einen Hort, aber wenn ich lese, dass der Herr Seehofer die offene Ganztagsschule 2018 flächendeckend einführen will, dann müssen wir wieder alles komplett umschmeißen." Es lasse sich heute schlicht nicht mehr so einfach 30 Jahre in die Zukunft planen.

SPD und Freie Wähler schlugen anstatt eines ganzen Stadtentwicklungskonzepts eine informelle Zukunftswerkstatt vor.

Die Abstimmung über den Antrag schien nach diesen Wortmeldungen gelaufen. Nicht einmal mehr beim BfG glaubte man noch ernsthaft an eine Mehrheit. Am Ende der Debatte gab sich Yukiko Nave sogar schon mit dem Minimalziel zufrieden: "Es ist eine sehr gute Sache, dass wir überhaupt heute darüber geredet haben." Umso mehr stutzte sie bei der Abstimmung. Mit 16 zu vier Stimmen votierte der Stadtrat für die Konzepterstellung. Ihrem Rathaus haben die Grafinger Stadträte also ein gewaltiges Projekt aufgebürdet - auch wenn es erst in einigen Jahren begonnen werden soll. Gut möglich, dass die Debatte dann wieder von vorne losgeht und erneut darüber abgestimmt werden muss.

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