Grafinger Kontrolleur:Der Mann mit der Knöllchen-Nase

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Wilhelm Baumhof geht seit sieben Jahren durch Grafing und klemmt Strafzettel an Windschutzscheiben. Wie es der 74-Jährige schafft, dass die Leute ihn bei der Arbeit trotzdem grüßen - meistens zumindest.

Porträt von Korbinian Eisenberger, Grafing

"Solange nichts versperrt oder behindert wird, lässt sich über vieles reden", sagt Wilhelm Baumhof. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Neben der Bäckerei hat der Marktplatz eine Engstelle, und dort steht jetzt ein SUV im Halteverbot. Ein Lieferwagen schiebt sich Zentimeter am Außenspiegel vorbei, der Mann mit dem Abzeichen am Ärmel zieht die Augenbrauen hoch. "Ein Laster würde da nicht durchkommen", sagt er und tippt das Kennzeichen ins Gerät. Zehn Euro, zahlbar an die Stadt. "Das ist meine Aufgabe", sagt der Mann mit dem Gerät. Deswegen ist er hier.

Ein Vormittag in Grafing, Wilhelm Baumhofs Schicht hat vor zwei Stunden begonnen. Hier hat er das Sagen, er entscheidet, wer richtig steht, und wer nicht. Der 74-Jährige ist Grafings Parkwächter, der einzige, den die Kleinstadt hat. Fünf Stunden ist er am Tag unterwegs, drei bis viermal die Woche, mal sind es 15 Strafzettel am Tag, mal 25, mal beginnt seine Runde hier, mal endet sie dort, "da bin ich ganz flexibel", sagt er.

Nicht, dass die Parksünder irgendwann eine Route erkennen, dann wäre der Effekt dahin. Dann würde es in der Grafinger Innenstadt vielleicht noch chaotischer zugehen als jetzt schon. Dafür würde sich der ein oder andere Einheimische bares Geld sparen.

Einmal wollte ihn einer überfahren

Wilhelm Baumhof ist in voller Montur unterwegs, Jacke und Kappe in Einheitsfarbe, ein Handy für Beweisfotos, ein Gerät zum Knöllchen-Drucken. "Mir ist Ordnung in einem Staat wichtig, sonst geht es drunter und drüber", sagt Baumhof. Deswegen steht er hinter diesem Job, sagt er. Deswegen macht er ihn seit sieben Jahren, auch wenn nicht jedem in Grafing gefällt, dass ein Markt Schwabener ihnen Strafzettel aufbrummt.

Baumhof deutet auf eine Parkbucht gegenüber der Bäckerei, "da wollte mich mal einer überfahren", sagt er. Baumhof hatte ihm einen Strafzettel geschrieben, wenn gedruckt ist, ist gedruckt, keine Diskussion. "Ich bin dann zur Seite gesprungen, es ging noch mal gut", sagt er. Der Fahrer bekam eine Anzeige. "So etwas geht nicht", sagt Baumhof.

In Grafing sind die Laternen an diesem Dezembertag mit Sternen geschmückt, Lichterketten in den Schaufenstern. Es ist Advent, die Zeit der christlichen Nächstenliebe, und Baumhof geht mit gezücktem Gerät von Auto zu Auto. Ein kurzer Blick in die Windschutzscheibe genügt, "wenn ich jemanden ohne Parkschein erwische, dann schreibe ich es zuerst in mein Heft", sagt er. Ein Kleinwagen ohne Parkschein, Baumhof trägt Nummer, Ventilstellung, Farbe und Uhrzeit in sein Karoheft ein, dann stapft er weiter in die nächste Straße.

Niemand schimpft an diesem Vormittag, vielleicht liegt das am Zauber der Adventszeit

Man könnte vermuten, dass sie ihn hier nicht mögen, für das was er tut, dass sie ihm aus dem Weg gehen, ihn auf der Straße kritisieren oder beleidigen, man hört das ja immer wieder. Wer einen Strafzettel bekommt, sieht weniger den Zweck hinter dem Ganzen, und vielleicht ist der auch nicht überall gegeben. Wahrscheinlich hat deshalb jeder schon mal einen Strafzettel und dessen Hersteller verflucht. Ein Strafzettel wird erst einmal als Angriff verstanden, aufs Geldsäckel vom kleinen Mann.

Es gibt Vorbehalte, und es gibt Menschen wie Wilhelm Baumhof, die damit umzugehen versuchen. Es ist Mittagszeit, eine Frau kommt mit Einkaufstaschen aus einem Geschäft gehetzt. Es waren doch nur fünf Minuten, sagt sie, ob sie jetzt einen Strafzettel bekommt? "Holen Sie sich nächstes Mal einen Parkschein", sagt Baumhof, kein Bußgeld, zehn Minuten wären ja eh gratis.

Dann ärgert sich einer, weil der Parkscheinautomat am Hans-Eham-Platz wieder mal nicht funktioniert. "Einfach Parkscheibe reinlegen", sagt Baumhof, kostenlos parken also, da ist der Ärger verflogen. Ein junger Mann hat ein anderes Problem, er hat keine Parkscheibe dabei, also kramt Baumhof in seinem Beutel und drückt ihm eine in die Hand. Gnädig sein, sagt er, auch das gehört dazu.

Vielleicht liegt es am Zauber der Adventszeit, dass in Grafing an diesem Vormittag niemand über Wilhelm Baumhof schimpft oder flucht. Vielleicht liegt es aber auch an ihm selbst, dass viele ihn beim Namen nennen, wenn sie ihn auf der Straße grüßen oder vom Bürgersteig rüberwinken. Zu ihm, dem Mann mit den weißen Schläfen, der immer leicht gebückt geht und den Leuten in die Augen schaut, wenn er mit ihnen spricht. Wilhelm Baumhof ist der Weißhaarige mit der Knubbelnase, und hätte er nicht seine Knöllchenmaschine dabei, man würde ihm in der Weihnachtszeit eher ein Bischofsgewand zutrauen als eine Kontrolleurs-Uniform.

Früher war er in der Medizinbranche tätig

Warum ausgerechnet Parkwächter? "Ich bin gesund und fit, ich will nicht untätig rumsitzen", sagt er. Baumhof wollte damals vor 14 Jahren nicht einfach so aufhören, sein Beruf in der Medizinbranche als Verkäufer für Prothesen und Katheter habe Spaß gemacht, "bis zum Ende", sagt er. Nach 30 Jahren Dienst war dann Schluss, er wurde 60 und musste gehen, vorzeitig, mit Abfindung, aber abgefunden hat er sich damit nicht. "Ich musste was tun", sagt er, da kam die Ausschreibung als Verkehrsüberwacher gerade recht. "Ein Probegang und ich hatte den Job".

Baumhof, der Spätberufene, ist so zum Unikat geworden, nicht nur in Grafing, sondern in der ganzen Region, weil im Landkreis Ebersberg kein anderer Kreisbürger Strafzettel verteilt. Insgesamt gibt es im Landkreis drei "kommunale Verkehrsüberwacher", wie es im Beamtenjargon heißt, zwei davon kommen aus dem Nachbarlandkreis Erding, und eben der Markt Schwabener Baumhof. Klar, es ist schwer, Parkwächter zu finden, wer bekommt schon gerne den Mittelfinger gezeigt oder Beschimpfungen zu hören, Tiernamen sind da noch das harmloseste. Auch das hat Baumhof erlebt, auch das gehört dazu.

Es geht bei der Parküberwachung in erster Linie eben nicht um Nächstenliebe, es geht ums Geldverdienen, und um die Ordnung. "Man muss für sich einen Weg finden, wie man diese Ordnung so einfordert, dass die Leute es annehmen", sagt Baumhof. Er meint das Gespür für Emotionen, das Näschen für Menschen, damit sie einen trotzdem respektieren. "Solange nichts versperrt oder behindert wird, lässt sich über vieles reden", sagt Baumhof. Dass man mal ein Auge zudrückt, weil man irgendwann einen Blick dafür bekommen hat, sagt er. Ob einem jemand etwas vormacht, oder ob er wirklich in einer Notlage zum Falschparker wurde.

Zwölfeläuten, Baumhof kommt zurück in die Straße, wo er vor zehn Minuten den Kleinwagen im Heft vermerkt hat, das Auto ist nun weg. Klar, er könnte das Kennzeichen trotzdem in sein Gerät übertragen, die Rechnung von zehn Euro käme dann per Post, es wäre alles regelgetreu. Doch darum geht es nicht, es geht weniger um die Regel, sagt Baumhof. Ihm geht es um die Ordnung. Und so schlägt er sein Heft auf und streicht das Kennzeichen durch.

© SZ vom 23.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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