Skepsis in Kirchseon:Energiewende gerät ins Schwanken

Erste Gemeinde meldet Zweifel an, das ehrgeizige Ziel des Landkreises bis 2030 zu schaffen

Katharina Blum

- Der Strom kommt auch im Jahr 2030 noch aus der Steckdose, erzeugt wird er aber im Landkreis Ebersberg: Zwei Millionen Quadratmeter Photovoltaikanlagen sind installiert, auf jedem dritten Hausdach spiegeln Solaranlagen den Himmel. 15 große Windräder tragen ebenfalls einen Teil zum Energiemix bei. Die Kraft-Wärme-Kopplung aus 25 Biogasanlagen komplettiert die Stromversorgung im Landkreis. Und auch bei der Wärmeversorgung sind die Landkreisbürger autark. Die Städte und Großgemeinden haben Geothermieanlagen gebaut, die kleineren Wärmenetze mit Biogasanlagen errichtet. So sah in groben Zügen das Szenario aus, das der damalige Landkreis-Energiekoordinator Hartmut Adler vor drei Jahren gezeichnet hatte. Das ehrgeizige Ziel: Der Landkreis soll bis 2030 unabhängig von fossilen und anderen endlichen Energieträgern werden. Nun deutet sich an: Das Ziel werden wohl nicht alle Gemeinden erreichen. Als erstes hat die Kirchseeon eingeräumt. "Ich habe daraus die Quintessenz gezogen: 2030 werden wir nicht ganz weg sein von fossilen Brennstoffen", erklärte Bürgermeister Udo Ockel (CSU) nach der Vorstellung des integrierten Klimaschutzkonzeptes für Kirchseeon im Gemeinderat. "Vom Öl weg zu sein, können wir schaffen. Aber Gas wird noch eine ganz große Rolle spielen." Denn um vom Erdgas wegzukommen, müsse die Gemeinde 19 der ganz großen Windräder aufstellen - "und das sehe ich nicht", so der Bürgermeister. Der Großteil der übrigen Gemeinderäte signalisierte durch Kopfnicken seine Zustimmung.

Kirchseeons jährlicher Energiebedarf beträgt derzeit 239 Gigawattstunden (GWh). Erdöl (108) und Erdgas (54) machen dabei einen Löwenanteil aus, wie die Berechnungen von Werner Zittel von der Firma Ludwig-Bölkow-Systemtechnik ergaben. Er hatte im Auftrag der Gemeinde das Energiekonzept erstellt. Der größte Anteil der Energie fließt dabei in die privaten Haushalte (48 Prozent), gefolgt vom Verkehr (31 Prozent). Dabei entstehen 70 000 Tonnen an CO2-Emissionen. "Das sind knapp sieben Tonnen pro Einwohner. Das ist deutlich besser als der Durchschnitt in Bayern und in Deutschland", sagte Bürgermeister Zittel.

Verbesserungspotenzial gibt es in der Marktgemeinde indes, was die eigene Erzeugung betrifft. 98 Prozent der Energie wird aktuell importiert, nur fünf GWh in Kirchseeon erzeugt, was zugleich einen Geldabfluss von 26 Millionen Euro bedeutet. Dabei hat Kirchseeon - zumindest theoretisch - noch Potenzial von 51,8 GWh, wie Zittel vorrechnete. Der größte Hebel zum Verändern sei es, die alte Bausubstanz zu sanieren, erklärte er. Mit wenig Aufwand viel erreichen könne die Gemeinde auch durch ein Energiemanagement kommunaler Gebäude. Das bringe in der Regel mindestens fünf bis zehn Prozent Kostenersparnis. Ein ganz simples Beispiel: an schulfreien Tagen die Temperatur der Heizung herunterregeln. Die größten Energieverbraucher bei kommunalen und öffentlichen Gebäuden sind mit deutlichen Abstand die Schulen, Rathaus und Hallenbad.

Saubere Energie auf verseuchtem Boden - auch so könnte laut Zittel die Zukunft in Kirchseeon aussehen. Auf dem ehemalige Bahnschwellenwerksgelände wäre die Installation einer Photovoltaikanlage möglich. Denkbar wäre auch eine Wärmenutzung des Sanierungsbrunnens. Ideen, die vor Jahren schon gescheitert sind. Neuer dagegen ist der Ansatz, in zwei Gebieten im Süden der Gemeinde Windräder aufzustellen. Mit einer Anlage ließen sich laut Zittel 2300 Tonnen an CO2-Emissionen einsparen.

"Das Ganze darf jetzt nicht ein zahnloser Papiertiger bleiben", forderte Frank Költerhoff (Grüne). Ein Beschluss wurde nicht gefasst. Das Interesse, im nächsten Schritt einen Klimaschutzmanager einzustellen, war aber deutlich erkennbar.

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