SZ-Schulratgeber:Eine Frage des Konzeptes

SZ-Schulratgeber: Modernste Technik statt grüner Tafel und Kreide: Sonja Schraml von der Poinger Realschule gestaltet ihren Unterricht mit einem Whiteboard.

Modernste Technik statt grüner Tafel und Kreide: Sonja Schraml von der Poinger Realschule gestaltet ihren Unterricht mit einem Whiteboard.

(Foto: Christian Endt)

Der Notendurchschnitt in der vierten Klasse entscheidet, ob es weiter auf die Realschule oder das Gymnasium geht. Abitur kann auf beiden Wegen gemacht werden - doch die Schularten verfolgen unterschiedliche Konzepte.

Von Alexandra Leuthner, Ebersberg/Grafing

Diese vermaledeiten Zehntel hinter dem Komma! Schon wer sein Kind in der Grundschule anmeldet, weiß heute ganz genau, was mit jenen Zahlen gemeint ist: 2,33, die ersehnte Durchschnittsnote im Übertrittszeugnis der vierten Klasse. Wer dort jenen Schnitt aus den Noten der drei Hauptfächer Deutsch, Mathematik und Heimat- und Sachkunde hat, der "darf" ohne weiteres aufs Gymnasium, mit 2,66 oder besser kann er auf die Realschule wechseln.

Doch sollen sich Eltern, deren Kinder an dieser Weiche in ihrer Schullaufbahn angekommen sind, nur am Notenschnitt orientieren? Steckt hinter den Konzepten der Schularten nicht viel mehr als die Überlegung, auf der einen Schule nur die Super-Cleveren, auf der anderen eben noch die halbwegs Schlauen fördern zu wollen?

Wenn man mit Verantwortlichen in der Industrie spreche, sagt der Rektor der Ebersberger Dr.-Wintrich-Realschule Eberhard Laspe, dann stelle man fest, dass jene Schüler, die nach sechs Jahren Realschule und zwei Jahren an der Fachoberschule ihr Fachabitur machen, dort "ein sehr hohes Ansehen genießen." Sie seien weniger "verkopft" als die Gymnasiasten. Und so gibt es auch an seiner Schule Schüler, die sich trotz eines Einserschnitts bewusst für die Realschule entschieden haben. "Wir haben ein großes Einzugsgebiet. Das sind oft Kinder, deren Eltern zu Hause einen Betrieb haben, denen die Praxisorientierung der Realschule wichtig ist", erklärt Laspe.

Die Realschule bietet in der Wahlpflichtfächergruppe II - die Differenzierung in vier Fachrichtungen beginnt in der siebten Klasse - drei Wochenstunden Betriebswirtschaftslehre von der siebten bis zur zehnten Klasse an, dazu noch zwei Wochenstunden Wirtschaft und Recht in der achten und neunten Klasse. Auch in der sprachlichen Wahlpflichtfächergruppe IIIa wird drei Jahre lang Betriebswirtschaft unterrichtet. Zur Praxisorientierung machen die Realschüler bereits in der siebten Klasse eine Potenzialanalyse: Dabei können sie sich in fünf Tagen fünf Berufsbereiche ansehen, in einem machen sie in der achten Klasse ein einwöchiges Praktikum.

Fragt man den Direktor des Gymnasiums Grafing, Paul Schötz, nach den Unterschieden zwischen den beiden Schultypen, erklärt er: Die Art des Denkens, die von Gymnasiasten gefordert werde, sei eine andere - das "differenzierende Begründen, die Fähigkeit zum Transfer und Vernetzen von Fächern". Auch die Texte, die behandelt würden, seien komplizierter. "Die Anforderungen an das abstrahierende Denken sind bei uns schon höher", erklärt Peter Söllner, Lateinlehrer und Mitarbeiter im Grafinger Direktorat. Die literarische Ausrichtung am Gymnasium sei ebenfalls stärker und auch der wissenschaftliche Anspruch der gymnasialen Bildung habe sich noch gehalten - wenn auch die Realschulen in vielem nachzögen.

Der größte Stolperstein des Gymnasiums aber liege immer noch in der zweiten Fremdsprache, die im G8 schon in der sechsten Klasse einsetzt. In der achten Jahrgangsstufe kommt im sprachlichen Gymnasium noch eine dritte Sprache hinzu - in Grafing können die Schüler als spät beginnende Fremdsprache Italienisch wählen. Im naturwissenschaftlichen Zweig wird in der neunten und zehnten Klasse statt der dritten Fremdsprache Informatik unterrichtet, Chemie beginnt für die Naturwissenschaftler ebenso wie für die Realschüler in der achten Klasse, im sprachlichen Gymnasium in der neunten.

Selbst jene Realschüler, die sich für die Wahlpflichtfächergruppe IIIa-Sprachen entscheiden, haben es also etwas leichter. Erst in der siebten Klasse stehen Französischvokabeln auf dem Programm. Gelernt werden müssen sie allerdings auch hier, betont Realschulrektor Laspe, "sonst geht's nicht." Wer sich für die anderen drei Wahlpflichtfächergruppen - also I -Mathematik/Naturwissenschaften, II-Wirtschaftswissenschaften und IIIb - Gestalten entscheidet, kommt in der Realschule um die zweite Pflichtfremdsprache ganz herum.

Wer den Übertritt aufs Gymnasium geschafft hat, für den geht die Arbeit erst richtig los, darin sind sich die Schulleiter und der stellvertretende Direktor einig. "Es wird immer diejenigen geben, die selbst mit dem richtigen Durchschnitt hier nicht glücklich werden", sagt Schötz. Lateinlehrer Söllner bringt es auf die griffige Formel: "Man muss sich schon plagen."

Ein Blick auf die Stundentafel verdeutlicht das: 34 Wochenstunden muss ein Gymnasiast in Grafing in der zehnten Jahrgangsstufe absolvieren, sowohl im naturwissenschaftlichen als auch im sprachlichen Zweig. In der Oberstufe des G8 sind es sogar bis zu 38 Wochenstunden. In der Ebersberger Realschule dagegen haben die Kinder von der fünften bis zur zehnten Klasse nie mehr als 30 Wochenstunden. "Wir haben keinen verpflichtenden Nachmittagsunterricht, sechs Jahre lang. Unsere Schüler können jeden Tag um 13.10 Uhr nach Hause gehen - was ich auch kindgemäß finde", sagt Laspe. Während die Gymnasiasten spätestens in der Oberstufe an drei Nachmittagen in der Schule sind. "Das ist schon eine Belastung", urteilt Peter Söllner. "Das ist deutlich anders, als es noch im G9 war."

Realschulrektor Laspe jedenfalls rät Eltern, die sich aufgrund des Notenschnitts nicht sicher sein können, im Zweifel auf die Einschätzung der Grundschullehrer zu hören, die das Kind kennen, und eher nicht mit der größten Herausforderung anzufangen. "Ich vergleiche das gerne mit einem Hochspringer, der wird sich die Latte doch auch nicht gleich auf die Marke legen, die er nur vielleicht schaffen kann, um sie bei Misserfolg immer tiefer zu legen."

Es gebe mittlerweile so viele Möglichkeiten, die Schulart zu wechseln, etwa mit drei Zweiern von der Mittelschule in die Realschule, oder von der Gelenkklasse - der fünften Jahrgangsstufe der Realschule - mit einer 2,0 in Deutsch, Englisch und Mathematik in die sechste Klasse des Gymnasiums.

Ein weiteres Argument für die Realschule, so Laspe: Auch hier kommt man auf direktem Weg zum allgemeinen Abitur. Wer das will, muss in der siebten Klasse die zweite Fremdsprache Französisch wählen, nach der elften und zwölften Klasse in der Fachoberschule kann er dann die FOS 13 besuchen - und hat nach 13 Jahren sein Abi in der Tasche, "praktisch das alte G9", scherzt Laspe. Der Weg ist ganz in seinem Sinn, er sagt: "Lassen Sie doch den Kindern Zeit. Sie arbeiten in ihrem Leben noch lange genug." Bei aller Skepsis den Anforderungen des Gymnasiums gegenüber, sagt der Realschulleiter dennoch: "Wenn ein Kind schon in der Grundschule viel liest, sich für vieles sehr interessiert, dann schicke ich die Eltern beim Informationsabend gerne wieder nach Hause. Die sind nämlich am Gymnasium genau richtig."

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