Öffentlicher Nahverkehr:Kostenlos ist nicht umsonst

Wären Busse und Bahnen ohne Tickets benutzbar, müsste das Geld anderswo herkommen. Der Landkreis Ebersberg hätte plötzlich einige Millionen Euro mehr pro Jahr aufzubringen

Von Wieland Bögel, Ebersberg

Fahrkartenautomat

Viele Fahrgäste würden sich freuen, wenn sie für den öffentlichen Nahverkehr kein Ticket mehr lösen müssten.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Soll die Benutzung von Bus und Bahn künftig kostenlos sein? Diese Frage wird seit einigen Wochen diskutiert, vor allem die Kommunen sind skeptisch. Am Beispiel des Landkreises Ebersberg wird deutlich, warum: Könnten die Fahrgäste den MVV umsonst nutzen, müsste das Geld ja irgendwo herkommen - etwa aus dem Kreishaushalt. Und da täte sich eine Lücke von mehreren Millionen Euro pro Jahr auf.

Wie viel Geld die Kämmerei im Landratsamt zusätzlich auftreiben müsste, lässt sich allerdings nur schätzen. Schließlich besteht der Tarifverbund aus vielen verschiedenen Akteuren, vom lokalen Busunternehmer bis zur Bundesbahn, von der Landeshauptstadt München bis zu kleinen Gemeinden, die eine oder zwei Buslinien subventionieren.

Dies tut auch der Landkreis Ebersberg, obwohl die Passagiere - Schwarzfahrer ausgenommen - Tickets kaufen. Aktuell liegt der sogenannte "Kostendeckungsgrad" bei etwa 50 Prozent, es wird also die Hälfte des für den Betrieb der Buslinien erforderlichen Geldes über Fahrkartenverkäufe erzielt. Was im Vergleich zu früheren Jahren schon relativ gut ist, vor zehn Jahren waren es noch gut 40 Prozent. Langfristig, so der Plan, sollten es eigentlich bis zu 60 Prozent werden - wenn dann noch Tickets verkauft werden.

Allein für die Busse müsste der Kreis 1,5 Millionen Euro zusätzlich aufbringen - mindestens

Sollte das Busfahren indes bald kostenlos sein, der Deckungsgrad also bei Null liegen, müsste der Landkreis etwa 1,5 Millionen Euro im Jahr aufbringen - alleine für die aktuell verkehrenden Linien. Doch, wie Landrat Robert Niedergesäß (CSU) erst Ende Februar ankündigte, soll das Busangebot in den kommenden Jahren stark erweitert werden. Geplant sind vor allem neue Verbindungen zwischen nördlichem und südlichem Landkreis, insbesondere den beiden S-Bahnlinien. Wie genau diese neuen Linien aussehen werden - und was das am Ende kostet -, ist zwar noch unklar, dies soll heuer auf Basis eines Gutachtens entschieden werden. Sicher ist aber, kommt das Umsonst-Ticket, wird es doppelt so teuer.

Schwieriger zu eruieren ist dagegen, welche Kosten auf den Landkreis zukämen, würde auch der Bahnverkehr ohne Ticket benutzbar. Jemand, der das zumindest schätzen kann, ist MVV-Chef Alexander Freitag. Zumindest was die Gesamtkosten des Umsonst-Tickets angeht, gebe es verlässliche Zahlen, so Freitag: Es sei einfach die Summe, welche derzeit pro Jahr mit dem Fahrkartenverkauf erzielt wird, laut dem MVV-Chef rund 920 Millionen Euro.

Beim MVV ist man extrem skeptisch

Wobei für Freitag eigentlich schon das Ende der Debatte und weiterer Schätzungen erreicht ist. Denn angesichts dieser Summe zeige sich doch, wie wenig durchdacht die Idee des kostenlosen öffentlichen Nahverkehrs in und um München sei, da könne man nicht weiter seriös darüber diskutieren: "Von einem toten Pferd soll man absteigen - und erst recht von einem, das nie gelebt hat."

Was aber wäre, wenn die Fahrkarten doch umsonst wären? Wie würden sich die Kosten auf die Akteure im MVV verteilen, etwa den Landkreis Ebersberg? Neben Bussen gibt es hier nur die S-Bahn als öffentliches Verkehrsmittel, also bräuchte es zuerst eine Schätzung, was das Umsonstticket in diesem Bereich für Kosten verursacht. Laut Freitag entfallen etwa 40 Prozent der Einkünfte auf Fahrkartenkäufe von S-Bahn-Passagieren, also rund 368 Millionen Euro.

Diese müssten dann unter den Gesellschaftern aufgeteilt werden - und hier wird es wirklich spekulativ, sind diese doch höchst unterschiedlich. Größter Gesellschafter ist der Freistaat Bayern, zweitgrößter die Landeshauptstadt München, gefolgt vom Landkreis München. Außerdem sind noch die Umlandkreise Bad Tölz-Wolfratshausen, Dachau, Ebersberg, Erding, Freising, Fürstenfeldbruck und Starnberg beteiligt. Also nach welchem Schlüssel könnten die 368 Millionen Euro unter diesen zehn aufgeteilt werden?

Für Freitag - der hier erneut betont, die Idee an sich schon für Unfug zu halten - gäbe es da mehrere Möglichkeiten. Etwa die Zahl der Einwohner - hier wäre die Landeshauptstadt zweifellos der mit Abstand größte Zahler. Oder die Länge der Strecken - da würden wohl einige Landkreise mit langen Intervallen zwischen ihren Stationen ein eher schlechtes Geschäft machen.

Der Landrat sieht eine Subventionierung der Tickets positiv

Oder soll die Lücke vielleicht der Freistaat schließen, am besten alleine? Für den Ebersberger Landrat Robert Niedergesäß und Sprecher der acht MVV-Verbundlandkreise wäre das die beste Lösung, wie er bereits Mitte Februar erklärt hat. Grundsätzlich sei eine Subventionierung der Ticketpreise eine gute Idee, "ob es am Ende gleich ganz kostenlos sein kann, muss sicherlich noch ausführlich untersucht werden."

Dies auch vor dem Hintergrund der derzeit - offenbar ziemlich zäh - laufendenden MVV-Tarifreform. Denn während die Kommunen auf soziale Aspekte pochen, also etwa neben günstigeren Tickets für Senioren, Schüler und Studenten auch eines für ärmere Mitbürger einführen wollen, steht für die Betreiber fest, dass die Summe aller Einnahmen am Schluss gleich bleiben muss. Was für Landrat Robert Niedergesäß durchaus verständlich ist, schließlich müssten die Firmen ja vom Betrieb der Verkehrsmittel leben. Er schlägt daher eine andere Möglichkeit vor, die eventuell entstehende Finanzierungslücke zu schließen: Bund und Land müssten sich stärker engagieren.

Also kein Umsonst-Ticket, aber ein günstigeres, das dann nicht die Kommunen bezahlen, sondern aus dem allgemeinen Steuertopf beglichen wird? Auch dies sieht der MVV-Chef eher skeptisch, das Problem sei schließlich nicht, dass Busse und Bahnen wegen der hohen Preise leer durch die Gegend fahren müssten, sondern dass mancherorts schlichtweg zu wenig öffentliche Verkehrsmittel unterwegs seien. Eine Einschätzung, der man wohl auch im Landkreis Ebersberg nicht widersprechen mag, vor allem Bewohner des südlichen Landkreises oder Pendler auf der S 2 dürften hier zustimmen.

Also kein zusätzliches Staatsgeld für den MVV? Auf jeden Fall, sagt Alexander Freitag, aber eben nicht für Subventionen in Tickets: "Das Geld muss man für den Ausbau des Angebotes einsetzen." Und in diesem Zusammenhang sei die Debatte um das kostenlose Ticket dann doch nicht ganz umsonst gewesen, ist sich der MVV-Chef sicher: Sie habe die Frage um die richtige Finanzierung des öffentlichen Nahverkehrs wieder in eine breitere Öffentlichkeit gebracht.

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