Schwere Aufgabe:Wer höher lupft

Bei der Internationalen Alpinen Steinehebermeisterschaft am Vatertag in Grafing geht es um Zentnerlasten und Zentimeter. Ein Münchner Wirt, der Steyrer Hans, hat im 19. Jahrhundert angeblich als erster einen 254 Kilo schweren Stein mit einer Hand hoch gehoben

Von Alexandra Leuthner

"Eisenhart". Das Wort prangt in weißen Lettern auf einem schwarzen T-Shirt. Die Buchstaben reichen kaum aus, um die Spanne von einem Schulterblatt bis zum anderen auszufüllen. Der Rücken, dessen Muskeln sich unter dem Stoff abzeichnen, ragt wie ein breites V aus einem schwarzen Gürtel heraus. Ein sehr breites V. Dabei ist der Mann noch nicht mal ein Schwergewicht. Gerade mal 102 selbstverständliche Kilogramm Lebendgewicht bringt Dominik Perras auf die Waage, Muskelmasse versteht sich, die da ganz gelassen zwischen Bierbänken, Bühne und Bedienungsbereich herum stehen und darauf warten, in Bewegung gesetzt zu werden. An dieser Stelle des Zeltes kommt ein bisschen kühle Regenluft durch die hoch geklappte Leinwand, und hier warten die Steineheber auf ihren Auftritt. Dominik ist einer von ihnen. 254 Kilo hat er sich vorgenommen, mehr als das Doppelte seines Körpergewichts. Gleich muss er hinauf auf die Bühne, das Zelt ist voller Menschen, denen Bier und Braten längst Muskeln und Geist entspannt haben.

Bei Dominik Perras, oben auf der Bühne, ist jetzt jede Faser zu Eisen gehärtet. Er teilt sich den Platz mit den Musikanten der Glonner Musi, doch vorne, oben auf dem Block, da ist er ganz allein. Zwei Trittflächen rechts und links, dazwischen ein Eisengriff, der die Form eines Rollerlenkers hat, und unten dran hängt der Stein. Einen Granitstein hat der Steineheberverein Lechfeld mitgebracht, und viele sagen, dieser Stein sei schwerer als alle anderen. Peter Pakas ist so einer. Der Mann aus dem Zillertal, der mit 57 Jahren der Älteste ist, der hier antritt, hat so etwas wie einen heiligen Eid geschworen. "Einmal im Leben" will er ihn lupfen, den Lechtaler Granitstein, der so schwer läuft, weil er keine Rollen hat und ganz nackt zwischen den Eisenschienen sitzt. "Da wenn'st a bisserl schief stehst, dann verkantet der", erzählt Andreas Altmann, der Weltrekordler. 350 Kilogramm hat er schon gehoben, "aber net in Lechfeld", erzählt er später.

Der Stein, um den es geht, wiegt auch ohne Reibung 508 Pfund, 254 Kilogramm also. Angeblich hat der Steyrer Hans, ein Münchner Gastwirt, einen ebensolchen mit nur einer Hand in die Höhe gelupft. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war das und der Wiesnwirt wurde damals schon den jungen Männern zum Vorbild. Heute dürfen sie immerhin zwei Hände hernehmen, der Stein liegt in einer Führung und die Höhe misst ein elektronisches Messgerät. Unerbittlich. Einen Meter braucht es, um wieder 25 Kilo mehr auflegen zu können. Und sind es nur 99,9 Zentimeter, dann ist nichts zu deuteln.

Dominik Perras steht jetzt hinter der Hebevorrichtung. Reißt die Schultern nach hinten, bläst die Backen auf, einmal, zweimal, dreimal, dann zieht er mit einer einzigen schnellen Bewegung den breiten Gürtel um seinen Lenden fest, und ist mit einem Schwung oben auf dem Podest. Noch einmal bläst er, saugt Luft in sich hinein, das Gesicht ist schon dunkelrot, dann legt er die Hand an den Griff, reißt, sein Gesicht purpurrot, der Granitstein hebt sich - Aus. 3,4 Zentimeter zeigt die Anzeigetafel. Dem Moderator fällt die Stimme herunter. 40 Zentimeter hätte Dominik gebraucht für einen messbaren Versuch. Aber er ist noch längst nicht geschlagen.

Drei Versuche haben die Athleten pro Gewichtseinheit, erklärt Caroline Garhammer-Vogt. Sie hat ihren Wettkampf an diesem Tag schon hinter sich - und wird Gesamtsiegerin in der Frauenwertung sein. Zwar hat sie die geforderten 175 Kilogramm nur 47,3 Zentimeter gelupft, die zweitplatzierte Kathleen Krauße schaffte es auf immerhin 71,3. Dafür bringt die aber fast das doppelte Körpergewicht auf die Waage. Garhammer-Vogt, mit ihren 62 Kilogramm kommt der so genannte R.-Faktor zugute, mit dem das Ergebnis multipliziert wird und ihr am Ende eine Punktzahl beschert, die ihr nicht nur in der Gewichtsklasse unter 70 Kilo, in der sie alleine angetreten ist, den Sieg bringen wird.

Fast wollte man rufen, "hör auf", als sie, eine halbe Stunde vorher oben auf den Block kletterte, das rote T-Shirt in die Jeans gesteckt, eine fast zierliche Person. Und dann greift sie an, bläht die Backen und reißt diesen Stein in die Höhe, den unsereins wohl kaum schieben könnte. Zu Hause, erzählt die Liechtensteinerin später, in ein knielanges Dirndl gekleidet, hat sie eine kleine Tochter, 13 Monate alt. Ihr erstes Heben seit der Geburt sei das hier in Grafing - das mit dem Trainieren, drei bis vier mal die Woche sei ja nicht mehr so leicht seit die Kleine auf der Welt ist - nicht etwa, weil der Körper nicht mit macht. Nein, "im Fitness-Studio haben sie nur zweimal die Woche Kinderbetreuung". Sie kommt vom Kraftdreikampf, über ihren Mann Martin- sein Name prangt in goldenen Lettern mit der Jahreszahl 2013 auf dem riesigen Wanderpokal der auf den Sieger in Grafing wartet - und den Steineheberverein Bayerwald ist sie auf das Steineheben gekommen. Warum? Da lacht sie, sucht kurz nach den richtigen Worten: "Weil es interessant ist zu schauen, was man eigentlich so schaffen kann."

Dominik Perras hat jetzt seinen zweiten Versuch. Wieder steht er vor dem zentnerschweren Stein. Die Kapelle intoniert die ersten Takte des Stones-Klassikers Satisfaction, wieder die geblähten Backen, er springt aufs Podest, im Saal wird es laut, er hievt den Stein, ruckt noch einmal. "Das ist krass", beschreibt Michi Riedl vom Lechtaler Verein, "wenn die Leute schreien, dann pusht dich das noch mal, und ziagst und ziagst, und dann hörst auf einmal nix mehr." Da ist sie für Dominik, die 100er Marke.

Andreas Altmann, der Weltrekordler, ist der Letzte, der auf das Pult steigt. 329 Kilo stehen zu Buche, gesiegt hat er eh schon. "Das geht mir jetzt schon länger so, dass ich da oben keine Konkurrenz mehr habe", sagt der 29-Jährige. Vor dem letzten Lupfer hat er minutenlang im Zeltausgang gestanden, dem Zelt den Rücken zugekehrt. Gleich wird er sich umdrehen, dem Moderator zunicken. Ein bisschen erinnert er an Russel Crowe, ein bisschen Gladiator steckt in dieser Szene. Und das Doppelte an Muskelmasse. Dann ist er auf dem Block. Lupft. 100 Zentimeter. Und dann gönnt er sich eine Siegerpose, ganz kurz.

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