Rettungskräfte als Zielscheibe:Bespuckt, beleidigt, angefahren

Rettungskräfte als Zielscheibe: In der Silvesternacht 2012 attackieren Feiernde auf dem Grafinger Marktplatz ein Feuerwehrauto auf dem Weg zum Einsatz mit Böllern.

In der Silvesternacht 2012 attackieren Feiernde auf dem Grafinger Marktplatz ein Feuerwehrauto auf dem Weg zum Einsatz mit Böllern.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Polizisten, Feuerwehrleute und Sanitäter werden immer öfter im Dienst angegriffen. Besonders gefährlich wird es bei Straßensperren.

Von Jan Schwenkenbecher, Ebersberg

Die beiden Polizisten wollten an einem Sonntagmittag in Parsdorf nach einem Autounfall nur die Personalien des Fahrers aufnehmen - ein paar Stunden später waren beide im Krankenhaus. Der 24-jährige Unfallfahrer aus Vaterstetten hatte zuvor einen Drogentest abgelehnt. Als er daraufhin mit auf die Wache sollte, versuchte er in seinen Wagen einzusteigen, um zu fliehen. Bei dem Versuch, den Mann zu überwältigen, prellte sich die beteiligte Polizistin das Handgelenk, ihr Kollege erlitt Verletzungen im Gesicht.

Was ist los mit den Menschen, wenn Polizisten nach einer einfachen Kontrolle in der Notaufnahme landen? Verroht unsere Gesellschaft zunehmend, wie kürzlich eine TV-Talkshow titelte?

"Solche Fälle nehmen schon zu", sagt Helmut Hintereder, Chef der Polizeiinspektion Poing und Vorgesetzter der beiden Beamten im aktuellen Fall. Er habe zwar keine Statistik, aber sein Gefühl. Gerhard Freudenthaler von der Ebersberger Polizei sieht das etwas defensiver. "Grundsätzlich kommt so etwas schon vor", sagt Freudenthaler, "Gewalt gegen Polizisten ist aber schon ein Thema, seit ich seit 1979 dabei bin". Ob die Vorfälle in den vergangenen Jahren zugenommen haben, da möchte er sich nicht festlegen.

Tatsächlich ist die Statistik relativ konstant. In Bayern haben sich die Fälle von Widerstand gegen Polizisten in den letzten sechs Jahren, seit das Bayerische Landeskriminalamt die Zahlen erhebt, kaum verändert: 2010 gab es 1524 Fälle, 2015 waren es 1485. Der höchste Wert stammt aus dem Jahr 2012, da waren es 1668 Fälle. Im Landkreis Ebersberg waren es im letzten Jahr lediglich acht Fälle, 2014 waren es fünf.

Knapp 200 Angriffe auf Rettungskräfte

Doch es gilt: Statistik ist nicht gleich Realität auf der Straße. Numerisch werden nur Fälle erfasst, die einen Straftatbestand gemäß des Paragrafen 113 Strafgesetzbuch darstellen. Dieser ist zwar schon relativ weit gefasst, ahndungswürdige Gewalt kann auch schon sein, dem Polizisten den eigenen Ausweis aus der Hand zu reißen. Dennoch werden viele kleinere Vergehen von den Polizisten gar nicht erst gemeldet, sie tauchen entsprechend in der Statistik nicht auf. Und wenn es richtig ernst wird, etwa bei Körperverletzung, greift ein anderer Paragraf. Dann geht es nicht mehr um Widerstand.

Beleidigungen und Spucke treffen aber nicht nur Polizisten. Auch Sanitäter oder Feuerwehrleute sind be-, manchmal auch getroffen. Laut bayerischem Innenministerium wurden vergangenes Jahr im Freistaat 198 Rettungskräfte Opfer einer Straftat. "Bei uns ist das genauso ein Thema wie bei der Polizei", sagt Martha Stark-Fechner, die stellvertretende Kreisgeschäftsführerin des Bayerischen Roten Kreuzes in Ebersberg.

Die Vorfälle ereigneten sich allerdings weniger bei Verkehrsunfällen. Meist käme es bei Großveranstaltungen zu Problemen, wenn die Leute betrunken seien. "Die Personen lehnen die Behandlung ab, es kommt zu verbalen Übergriffen", so Stark-Fechner. Auch sie sieht die Statistik skeptisch. "Oft werden solche Kleinigkeiten von Kollegen gar nicht gemeldet", sagt sie, "die Zahlen dürften nur die Spitze des Eisbergs darstellen."

Gleiches gilt auch für Übergriffe gegen die Freiwilligen Feuerwehren. "Es ist dahin gehend mehr geworden, dass die Leute vor Einsatzkräften nicht mehr den Respekt haben, wie früher", sagt Kreisbrandrat Andreas Heiß. Er erinnert sich an die Silvesternacht 2012, als die Kollegen auf dem Grafinger Marktplatz mit Flaschen beworfen und mit Raketen abgeschossen wurden.

Im Einsatz vom Balkon aus beworfen

Auch seien sie einmal zu einem Einsatz gerufen worden, um eine Wohnung aufzubrechen - es wurde vermutet, der Bewohner sei verstorben. Das stimmte zum Glück nicht. Doch der Anwohner warf - statt den Rettungskräften einfach als Lebenszeichen die Tür zu öffnen - von seinem Balkon aus mit Gegenständen nach den Helfern.

"Das größte Gefahrenpotenzial aber lauert, wenn wir Straßen sperren", so Heiß. "Die Leute sehen nur ihre Interessen, sie wollen da jetzt durch. Keiner zeigt Verständnis für eventuell verletzte Personen." Einmal habe ein besonders aggressiver Fahrer einen Kollegen sogar angefahren. Man könne da auch keine bestimmte Altersschicht oder ein bestimmtes Milieu ausmachen, so Heiß, "vom Akademiker bis zum einfachen Arbeiter sind alle dabei."

Solche Fälle - die besonders krassen - kommen natürlich zur Anzeige, werden natürlich geahndet. Der Herr, der dem Feuerwehrmann in die Beine fuhr, wurde verurteilt. Der Fall findet so seinen Weg in die Statistik. Die kleinen Fälle aber, die Beleidigungen, die Drohungen, die bekommt keiner mit.

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