Flüchtlinge in Pöring:Das Dorf im Dorf

Flüchtlinge in Pöring: Die Asylunterkunft am Rand von Pöring, dem Ort mit der höchsten Flüchtlingsquote im Landkreis Ebersberg: In der Mitte der Dorfgemeinschaft sind deren Bewohner bisher nicht angekommen.

Die Asylunterkunft am Rand von Pöring, dem Ort mit der höchsten Flüchtlingsquote im Landkreis Ebersberg: In der Mitte der Dorfgemeinschaft sind deren Bewohner bisher nicht angekommen.

(Foto: Christian Endt)

Alkohol, Randale, Bedrohungen - und immer wieder Polizei. Mit dem neuen Sicherheitsdienst hat sich die Lage in Pöring zwar beruhigt, das Verhältnis der Einheimischen zu den Flüchtlingen hat jedoch arg gelitten. Wie geht das Zusammenleben im Ort weiter? Eine Spurensuche.

Report von Viktoria Spinrad, Zorneding

Es war eine Nacht-und-Nebel-Aktion, bei der Mitte Mai 30 Männer aus der Bayernkaserne nach Pöring gebracht wurden, viele von ihnen ohne Chance auf Anerkennung. Plötzlich fanden sich insgesamt 60 Menschen aus zwölf Nationen am Ortsrand eines 2000-Einwohner-Ortsteils wieder, auf einmal lag die Flüchtlingsquote in Pöring bei drei Prozent, so hoch wie in keinem anderen Dorf im Landkreis Ebersberg. Dann kam der Sommer, die Sprachschulen pausierten, Helfer waren im Urlaub, und einzelne Flüchtlinge erschreckten den Ort: Auseinandersetzungen mit Alkohol, Lärm, einer versuchte, einen Mann vom Fahrrad zu zerren.

Mit der Belegung des oberen Stockwerks im Mai verdreifachte sich die Zahl der Polizeieinsätze in der Unterkunft auf dann 23 in drei Monaten, "vor allem wegen Ruhestörungen und Konflikten untereinander", wie Poings Polizeichef Helmut Hintereder erklärt. Der traurige Höhepunkt ereignete sich im August, als ein Flüchtling betrunken randalierte und eine Anwohnerin mit dem Tod bedrohte, "ein Lebenseinschnitt", wie sie heute sagt. Und für die Gemeinde ein Wendepunkt: Im Eilverfahren setzte sich das Landratsamt, Hausherr der Unterkunft, bei der Bezirksregierung für einen 24-Stunden-Sicherheitsdienst ein, den das Rathaus und die Helfer wochenlang gefordert hatten.

Die Security kam, seitdem hat sich die Zahl der Polizeieinsätze wieder halbiert, ist nun fast auf dem Stand vor der Eilbelegung. Ein möglicher Dorffriede auf Zeit, steht doch die Verlängerung des Sicherheitsdienstes noch aus. Über allem schwebt dabei jedoch die Frage: Was macht all das mit einem Dorf wie Pöring - und mit seinen Flüchtlingen?

Die Anwohner

"Die Unbeschwertheit ist weg", sagt eine Frau Anfang 40, bunter Schal, Blick zum Fenster, sie wohnt in unmittelbarer Nähe des Containers. Wie fast alle befragten Pöringer möchte sie anonym bleiben - zu groß ist die Sorge, als rechts abgestempelt zu werden. "Die Kinder lassen wir seit dem Vorfall mit dem Fahrrad Umwege fahren", sagt sie. Der Flüchtling, der die Todesdrohung ausgestoßen hatte, lebt seitdem in einer anderen Unterkunft im Landkreis. "Wir haben auch Mitleid mit den Flüchtlingen", betont die Frau - und dass sich die Atmosphäre im Dorf mit dem Sicherheitsdienst sehr verbessert habe.

Erleichterung ist auch aus der Eglhartinger Straße zu vernehmen: "Im Sommer sind sie noch grölend herumgelaufen", schildert eine Frau Anfang 30, belästigt worden sei sie aber nie, "die meisten grüßen nett." Den Hinweis vieler, dass die Lage wegen der Nähe zur Kindertagesstätte unglücklich gewählt sei, weist Leiterin Gabriele Lindinger zurück: "Wir haben hier keinen Stress und keine Berührungsängste", sagt sie. Gelassen zeigt sich auch die frühere Gemeinderätin Ursula Roth (Freie Wähler). "Ich sorge mich vor allem vor einem Rechtsruck im Ort", sagt die 62-Jährige vor ihrer Haustür. 10,3 Prozent der Pöringer wählten bei der Bundestagswahl AfD, das entspricht dem Durchschnitt im Landkreis Ebersberg.

Rechte Töne finden sich nahe des Unterdorfs. "Ich hätte schon das Feuer eröffnet", sagt ein Mann Ende 50 auf die Frage, ob hier Flüchtlinge vorbeikämen. Von Lärm oder Problemen bekäme er aber nichts mit. Ob er je Flüchtlingen begegnet sei? "Das nicht", er patrouilliere aber abends um sein Grundstück. In einer Wirtschaft beschreibt ein 84-Jähriger in einer Stammtischrunde das Verhältnis zu Flüchtlingen so: "Das sind getrennte Lager. Da sind die, wir sind hier." Die Lage des Containers empfinde er als "Provokation der Gemeinde". Überhaupt störe ihn, dass mit den Flüchtlingen Unfrieden gestiftet werde. Auch in Pöring? "Hier eigentlich nicht", sagt er nach kurzem Überlegen. "Unsere Leute", damit meint er die Deutschen, "sind ja auch nicht so einwandfrei."

Die Flüchtlinge

"Ich schlafe, esse, gehe auf Toilette, dann schlafe ich wieder", sagt einer der Männer, 26 Jahre alt, auf Englisch, guckt runter und lacht, ein verzweifeltes, beschämtes Lachen. Seine Rastafrisur fällt ihm ins Gesicht, der Kontrast zwischen seinen leeren Augen und dem sonnigen Spätnachmittag auf der Wiese der Unterkunft könnte nicht größer sein. Wie es ihm damit ergeht? "Es ist einfach nicht okay", sagt er, seinen Namen will er nicht in der Zeitung lesen. Nervös tritt er auf der Stelle. Zuhause in Westafrika sei er Mechaniker gewesen, jetzt ist er vor allem eines: Ohne Hoffnung, und das nicht zu Unrecht, im vergangenen Jahr nahm man gerade einmal elf Prozent seiner Landsleute mit Asylanträgen auf. "Das hier", sagt er mit Blick auf die weißen Container, "das war nicht mein Plan."

Ohne ein Ziel sehe er auch keinen Sinn, Deutsch zu lernen. Er steckt seine Hände in die Jeans. "Ich danke Deutschland, ich kann es dem Land nicht übel nehmen." Sein Wunsch? Er zeigt mit dem Finger durch die Luft, schaut in Richtung des Hirschtränkenwegs. "Zeigt mir den Weg, dann laufe ich selber. Ich will arbeiten, unabhängig sein." Was dem im Weg steht: Eine Geburtsurkunde oder ein Pass, den er dem Landratsamt vorzeigen müsste. Auf SZ-Anfrage sagt Landrat Niedergesäß zu Fällen wie diesen, in denen die Behörde nach eigenem Ermessen entscheidet: "Es ist wichtig, dass die Personen an der Identitätsklärung aktiv mitwirken, denn wir wollen schon wissen, wer sich in unserem Landkreis aufhält." Ein Dilemma für den Mann. Er kneift sich auf die Lippen. "Und wenn ich einen Pass hätte, würde man mich sofort abschieben", sagt er.

"Ich fühle mich wie ein Gefangener"

In einer besseren Situation ist Magos Mereza aus Eritrea, der einen sogleich mit einem "Grüß Gott" empfängt und überhaupt viel lacht. Mereza, 27, kurze Locken, Jeans, Sneakers, durchläuft eine Art Ausbildung bei einer Versicherung. Zuhause sei er Schreiner gewesen, "hier hat er aber wegen der Sprache Probleme mit der Mathematik", sagt Michaela Eberding vom Helferkreis. Wie es ihm hier in Pöring ergehe? "Ich finde es nicht gut mit den Kameras zuhause", sagt er über die Überwachungs-Geräte, die das Landratsamt Ende August installieren ließ, um Störenfriede zu identifizieren. Auch der Alltag sei "nicht so gut": "Viele machen hier laute Musik", mit der Security sei das immerhin besser geworden. Mit dem Mann, der im August ausgeflippt war, habe er keinen Kontakt gehabt, zu seinem Verhalten schüttelt er den Kopf: "Das ist gar nicht okay."

Ein Mann aus dem Kongo geht gerade zur S-Bahn, Mitte 20, lange Rastas, freundlicher Blick, keine Arbeitserlaubnis. "Wir leben wie die Tiere", schildert er auf Französisch. Zehn Quadratmeter messen die Zimmer in Pöring, die jeweils zu zweit belegt sind. Auf dem Sitz am S-Bahn-Gleis schaut er in die Luft. "Ich fühle mich wie ein Gefangener", schildert er, schlafen, nichts tun, gleich kommt die Bahn, er muss etwas in Grafing regeln. Dann schaut er einem direkt in die Augen und sagt: "Ich will einfach nur so leben wie ihr."

Die Helfer

"Die langweilen sich zu Tode und wir können nichts machen", sagt Sandra Kuse. Ständig scheitere man am Ebersberger Landratsamt. Beim Stammtisch im Zornedinger Neuwirt erhebt sie den Finger, schaut in die Runde. "Und selbst wenn uns das Landratsamt alles genehmigen würde, fehlen die Paten, die helfen." Ob man hinter dem Verhalten der Behörden ein System vermute? "Auf bayerischer Ebene, ja", sagt Helferkreis-Leiter Alfred Nowosad. Seine Vermutung: "Beamte haben Angst, den Ermessensspielraum zu überziehen und bei Prüfungen Schwierigkeiten zu bekommen." Sein Fokus: Den Frieden in der Gemeinde erhalten, "oder wiederherstellen". Eine Aufgabe der Helfer? "Nein", findet er, stockt kurz. "Aber wir können nicht alles an den Staat delegieren." Dann bricht es aus einer Helferin heraus. "Das ist ein Job, mit dem sich das Landratsamt Sozialarbeiter spart." Zwischen den nachdenklichen Menschen im Neuwirt sitzt auch Michaela Eberding. Sie kritisiert, dass die Pöringer "selbst nicht bereit sind, auch etwas für ihr Containerdorf zu tun".

Eine von denen, die mal geholfen haben und dann ernüchtert waren, bittet an einem Abend in ihre Küche, sie ist Anfang 40. "Wenn sogar schon wir Gutmenschen merken, wir können gar nichts tun", sagt sie, dann stockt sie. "Die Willkommenskultur geht mir langsam ab." Weshalb? "Leider haben sich viele Vorurteile bestätigt." Sorgenfalten im Gesicht. Am Anfang, da habe sie noch viel Offenheit seitens der Flüchtlinge gespürt. "Ich habe das Gefühl, die ziehen sich zurück", sagt sie, lehnt sich nach hinten: "Und dann fängt man auch selber an, sich zurückzuziehen."

Die Gemeinde

"Die Helfer sollen für den dörflichen Frieden sorgen - das kann man von Ehrenamtlichen eigentlich nicht verlangen", sagt Bianka Poschenrieder (SPD), Zweite Bürgermeisterin in Zorneding und bei der Gemeinde für den Helferkreis zuständig. Trotzdem hoffe sie, dass der Mangel an Helfern nicht zur Resignation führt. Als ein Flüchtling Ende August die Anwohnerin bedrohte, warb Poschenrieder beim Landratsamt für einen Sicherheitsdienst. "Ich habe mich schon mehrmals geärgert, weil da einfach keine Reaktion kam", schildert sie, mittlerweile sei der Kontakt zu den Zuständigen aber besser.

Sie will nun mehr gemeinnützige 80-Cent-Jobs einfädeln, die Flüchtlinge verrichten dürfen und die wegen der strengen Regeln bisher in Pöring nicht zustande kamen: "Es ist ein zähes Geschäft." Insgesamt sehe sie seither bessere Stimmung und weniger Alkoholmissbrauch im Container: "Fragt sich, wie es wird, wenn die Security wegkommt." Dazu soll es nach Bürgermeister Piet Mayr (CSU) nicht kommen, er will sich jetzt für eine Verlängerung des Dienstes einsetzen: "Wir sehen einen positiven Effekt." Zu Kritik zur abgelegenen Lage des Containers sagt er, es habe keine anderen Grundstücke gegeben. "Wir werden alles Mögliche tun, damit die Bürger kein Gefühl der Unsicherheit haben", sagt er. Die Sorge um den Dorffrieden bleibe, trotz Verbesserungen. Mayrs Appell: "Die Bürger müssen zusammenhalten."

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