Protestaktion:Großeinsatz an Grafinger Asylunterkunft

Ein junger Flüchtling klettert auf das Dach des Containerbaus und droht zu springen. Mit der Aktion will er Solidarität mit den Männern beweisen, die gegen ihren Willen in die Plieninger Traglufthalle umziehen sollen.

Von Barbara Mooser, Grafing

Es ist kurz vor zwei, da lässt sich der junge Mann rückwärts vom Dach fallen - mitten ins Sprungtuch, das die Feuerwehr bereitgestellt hat. Schnell zeigt sich, dass der 20-Jährige unverletzt ist, Erleichterung macht sich breit. Der Asylbewerber aus Sierra Leone, der eigentlich in Poing lebt, war am Montagmorgen auf das Dach der Containerunterkunft am Grafinger Gymnasium geklettert, um Solidarität mit den dort lebenden Flüchtlingen zu zeigen. Die 32 jungen Männer sollten an diesem Tag gegen ihren Willen in die Plieninger Traglufthalle umziehen, viele sind seit mehr als einem Jahr in Grafing und haben sich gut eingelebt. Nach mehreren Stunden können Polizei, Feuerwehr und Sondereinsatzkräfte zwar abrücken - aber wie die Geschichte ausgehen wird, lässt sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht sagen.

Denn ausgezogen sind an jenem Morgen nur zehn Bewohner freiwillig, die übrigen wollen sich gegen den Umzug wehren. Vor allem die jungen Männer aus dem Senegal wollten sich nicht überzeugen lassen, dass die Weigerung nichts bringe, erzählt Birgitta Klaiber vom Helferkreis: "Sie haben ja nichts zu verlieren, sie wissen, dass sie sowieso abgeschoben werden."

Der Mann sei emotional und neige zu Überreaktionen

In Grafing fühlen sich die Flüchtlinge, die meist schon in mehreren anderen Unterkünften gelebt hatten, nach eigenem Bekunden sehr wohl. Noch am Vorabend des angekündigten Umzugs wird in der Unterkunft ein großes Fest gefeiert, einer der Bewohner hat geheiratet. Es ist viel Alkohol im Spiel, auch der junge Besucher aus Poing feiert mit. Er hatte vor einigen Monaten auch in Grafing gelebt und noch viele Freunde in der Unterkunft. Die Helfer kennen ihn, er sei emotional und neige zu Überreaktionen, sagen sie. Auch in psychologischer Behandlung soll er deshalb gewesen sein. An diesem Morgen will er, wie er sagt, ein Zeichen gegen den unerwünschten Umzug seiner Freunde nach Pliening setzen.

Grafing - Drama bei Flüchtlingsumsiedelung nach Pliening

Lilli Kajnath vom Helferkreis debattiert mit den Flüchtlingen. Vor allem die senegalesischen Bewohner wollen sich gegen den Auszug wehren.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Auf dem Containerdach in sechs Metern Höhe droht er zu springen. Auch ein Messer hat er dabei; laut Zeugen soll er gerufen haben, er würde sich damit umbringen, sollte man ihn mit Gewalt vom Dach holen wollen. Ein Polizeipsychologe und der Feuerwehrseelsorger versuchen den jungen Mann davon zu überzeugen, freiwillig aufzugeben. Immerhin, so erzählen Zeugen, wirft der 20-Jährige irgendwann das Messer vom Dach. Doch offenbar sehen die Verantwortlichen letztlich keine Möglichkeit mehr, die Situation durch Verhandlungen aufzulösen: Sondereinsatzkräfte steigen zu dem Mann aufs Dach - er springt. Ein Arzt von der Kreisklinik Ebersberg betreut ihn an Ort und Stelle, bevor er vom Rettungsdienst in eine Klinik gebracht wird.

Helferkreis und Bürgermeisterin sind besorgt

Doch die Anspannung will bei allen Beteiligten nur langsam weichen. Bürgermeisterin Angelika Obermayr, die zwei Stunden lang sichtlich besorgt die Bemühungen um eine Deeskalation der Situation verfolgt hat, packt ihre Tasche, sie ist schon zu spät dran für eine Besprechung, in der es darum gehen soll, wie man zumindest fünf oder sechs anerkannten Eritreern in Grafing eine Perspektive bieten kann. Lilli Kajnath vom Helferkreis kommt dazu, sie ist völlig erschöpft. Die ganze Zeit war sie an der Containerunterkunft und hat versucht zu vermitteln, jetzt holt sie kurz Luft und verfrachtet dann einige ihrer Schützlinge zu einer Besprechung ins Pfarrheim.

Grafing - Drama bei Flüchtlingsumsiedelung nach Pliening

Sondereinsatzkräfte am Eingang des Grafinger Gymnasiums.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Wie das Landratsamt weiter vorgehen wird, das kann Andreas Stephan, Leiter der Abteilung Zentrales, zu diesem Zeitpunkt noch nicht sagen. "Diejenigen, die jetzt noch hier sind, sind illegal hier. Sie werden hier nicht bleiben können", sagt er. Die jungen Männer müssten damit rechnen, dass sie einzeln und in verschiedene Unterkünfte verlegt würden, wenn sie ihren Widerstand nicht aufgäben.

Der Langbau am Gymnasium wurde geräumt

"Es ist keiner verletzt, das ist die Hauptsache", sagt Sozialpädagoge Kristian Donner, der die Flüchtlinge seit Sommer 2015 betreut hat. Er wartet, bis die letzten Feuerwehrleute und Polizisten abgezogen sind, bevor er über die Wiese zum Eingang der Containerunterkunft geht. Das Angebot des Landratsamts steht noch, dass diejenigen, die wollen, auch jetzt noch umziehen können. Bis zum späten Nachmittag haben es vier Bewohner angenommen.

Die Schüler des angrenzenden Gymnasiums waren laut Polizei und Behörden zu keinem Zeitpunkt in Gefahr. Der Langbau wurde gegen Mittag geräumt, ein Teil der Schüler früher heimgeschickt. Im Hochbau hingegen war das nicht möglich: Schließlich stand der erste Teil der mündlichen Abiturprüfung an.

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