Ausbildung zur Bestatterin:Der Tod wartet jeden Tag

Ausbildung zur Bestatterin: Natascha Lettl ist auch dafür zuständig, den Trauerraum zu gestalten und die Toten zu waschen.

Natascha Lettl ist auch dafür zuständig, den Trauerraum zu gestalten und die Toten zu waschen.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Tod, Krankheit, Trauer - acht Stunden am Tag. Ganz normal für die 19-jährige Natascha Lettl. Denn sie hat sich für eine Lehre als Bestatterin entschieden - als Einzige im Landkreis Ebersberg.

Von Sophie Burfeind, Ebersberg

Es ist beeindruckend, mit welcher Leichtigkeit Natascha Lettl all das Schwere um sich herum nimmt. Tod, Krankheit, Trauer: Für sie gehört es einfach dazu, acht Stunden am Tag. Für sie ist es ein ganz normaler Beruf. Wenn die 19-Jährige morgens im schwarzen Anzug ins Auto steigt, weiß sie nie, was sie im Büro erwartet. Vielleicht wird sie ihren Anzug gegen den blauen Kittel und Plastikhandschuhe tauschen, um einen Toten zu waschen. Vielleicht wird sie auch nur Blumen bestellen und telefonieren. Nichts ist unberechenbarer als der Tod. Das hat sie in den vergangenen drei Jahren gelernt, als sie sich entschied, Bestatterin zu werden.

Mit festen Schritten betritt die junge Frau das Büro des Bestattungsunternehmens Riedl, grüßt mit einem Lächeln und mit kräftigem Händedruck. Schwarzer Anzug, schwarze Pumps, Brille - so seriös, wie man es an diesem Ort erwartet. Dann klingelt das Telefon. Ein Sterbefall. Die zierliche junge Frau mit den langen roten Haaren regelt das schnell, danach hat sie Zeit zu reden.

Deutschlandweit nur drei Berufsschulen

Ausbildung zur Bestatterin: Mit dem Bagger schließt Natascha Lettl ein Grab auf dem Friedhof in Oberndorf.

Mit dem Bagger schließt Natascha Lettl ein Grab auf dem Friedhof in Oberndorf.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Seit 2003 ist die Tätigkeit des Bestatters ein Ausbildungsberuf. Wenn Natascha Lettl ihre Prüfungen im Juni und Juli besteht, darf sie sich Bestattungsfachkraft nennen. Deutschlandweit gibt es nur drei Berufsschulen, die diese Ausbildung anbieten - eine davon ist in Bad Kissingen, die auch die Grafingerin besucht. Pflicht ist die Ausbildung aber nach wie vor nicht, Bestatter kann sich jeder nennen. Natascha Lettl ist die einzige Auszubildende dieser Art im Landkreis. Diesen Beruf als junger Mensch attraktiv zu finden, ist ja auch ungewöhnlich.

Was bewegt ein 17-jähriges Mädchen, das bei den Grafinger Faschingsbären tanzt und gern feiern geht, Bestatterin zu werden? Die junge Frau muss nicht lange überlegen: "Der Reiz ist für mich, dass der Beruf so vielseitig ist. Es ist jeden Tag etwas anderes: Da ist die Büroarbeit, dann ist man draußen, muss die Bestattung organisieren, die Angehörigen begleiten und man weiß, der Verstorbene wird pietätvoll behandelt." Sie lächelt fröhlich, wenn sie von ihrem gar nicht so fröhlichen Beruf erzählt. Es gab aber auch einen persönlichen Grund, warum sie sich für den Beruf entschieden hat: der Tod ihres Opas. "Die Bestatter waren nicht ausgebildet, der Umgang mit den Angehörigen war nicht so gut", sagt sie. Sie wusste, sie wollte es besser machen. Genauer will sie das nicht ausführen. Damals, vor vier Jahren, ging sie in die achte Klasse. Kurze Zeit später machte sie ein Praktikum in der Firma Riedl, interessehalber: "Das hat mir total gut gefallen und da habe ich gesagt: Das will ich machen. Ich hab auch kein Problem mit den Verstorbenen."

"Trauer ist immer individuell"

Und doch gibt es Dinge, die für sie schwierig sind. Zum Beispiel die Trauerarbeit. "Die größte Herausforderung ist der Umgang mit den Angehörigen, weil jeder Angehörige anders reagiert. Trauer ist immer individuell", sagt Lettl. Das eigene Kind oder einen geliebten Menschen plötzlich bei einem Unfall zu verlieren, sei am schlimmsten. Nicht einfach ist es für die Auszubildende aber auch, wenn sie sich um viele Angehörige gleichzeitig kümmern muss. Sie erzählt von einem Fall, in dem 16 Leute um sie herumsaßen. "Dann muss man sich wirklich auf den Auftraggeber konzentrieren, aber trotzdem mit den anderen reden." In so einer Situation den Wünschen der Angehörigen gerecht zu werden, sei nicht einfach. Zumal sie sich immer stärker beweisen müsse als andere. "Die meisten erwarten einen Bestatter von 40 Jahren oder so, keine junge Frau."

Der wichtigste Teil der Trauerarbeit, den Bestatter leisten, ist die Verabschiedung. Durch sie sollen Angehörige den Verlust begreifen und verarbeiten können. Eigens dafür hat das Bestattungsunternehmen einen Verabschiedungsraum, in dem der Sarg aufgebahrt wird. Ein kleiner, schöner Raum, aus hellem Holz, mit Blumen, Kerzen und Lichtern an der Decke, die im Dunkeln an einen Sternenhimmel erinnern. Wenn Natascha Lettl den Eindruck hat, Angehörige können den Verlust nicht verkraften, vermittelt sie ihnen den Kontakt zum Netzwerk Trauer oder zu Psychologen, die weiterhelfen. Für sie sei es aber schwierig zu erkennen, ob die Trauer "krankhaft" sei - meist sei es dafür noch zu früh. "Wir haben die Angehörigen ja da, wenn es am schlimmsten ist. Die müssen ja erst mal begreifen, dass jemand gestorben ist."

Ein Sterbefall nimmt in der Regel drei Tage in Anspruch

Die 19-Jährige freut es, dass sie mit ihrer Arbeit helfen kann. Dass sie den Angehörigen die Zeit der Trauer und des Abschiednehmens erleichtert, "allein durch das Beratungsgespräch und dass man den Angehörigen in der schweren Zeit viele Sachen abnimmt, dass man die Krankenkassen oder die Rentenabmeldung erledigt oder dass man beurkundet im Standesamt." Ein Sterbefall nehme in der Regel drei Tage in Anspruch. 600 bis 900 Todesfälle bearbeitet das Unternehmen pro Jahr.

Ausbildung zur Bestatterin: Das Foto zeigt Natascha Lettl bei den Vorbereitungen im Versorgungsraum.

Das Foto zeigt Natascha Lettl bei den Vorbereitungen im Versorgungsraum.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Normalerweise lässt Natascha Lettl all das, was sie tagsüber erlebt, im Büro zurück, wenn sie am Abend heimfährt. "Wenn man nach Hause geht, muss man das Thema abschließen können", sagt sie. Aber nicht immer schafft sie das. Wenn Kinder oder junge Menschen sterben - oder wenn schwere Unfälle passieren. "Das nimmt einen immer ein bisschen mit", sagt sie. Denn sie muss alle Toten, egal wie alt und in welchem Zustand, "versorgen".

Das macht sie im Hygieneraum auf einem Bauerndorf in Oberndorf. Es ist kalt dort drinnen, sechs Grad nur, Boden und Wände sind gefliest. Alles ist sauber und steril. Jetzt hat Natascha Lettl den blauen Kittel und die Plastikhandschuhe an. An der Wand hängt eine Metallbahre, die sie herunterlässt, um die Toten zu waschen, zu desinfizieren, um Körperflüssigkeiten auszusaugen. Im hinteren Teil des Raums ist eine Kühlkammer, in der die Leichen untergebracht werden, wenn sie für die Beerdigung hergerichtet sind. In einer Ecke wartet ein Sarg auf den Abtransport zur Beerdigung, die großen Leichenwagen stehen im Vorraum. Dort stapeln sich auch Särge aus Holz.

Keine Scheu vor Körperlichem

Noch musste die Auszubildende kein wirklich schlimm zugerichtetes Opfer eines Unfalls versorgen. "Einerseits bin ich froh, andererseits würde es mich schon interessieren, das mal zu sehen." Scheu vor Körperlichem hat sie nicht. Und neu wäre das für sie sowieso nicht, denn sie arbeitet schon länger bei der Freiwilligen Feuerwehr Steinhöring und hat schon Unfälle gesehen. "Man weiß nie vorher, wie man reagiert. Man muss einfach sehen, ob man damit klar kommt", meint sie. Wenn nicht, können die Bestatter sich an Psychologen wenden, die in enger Verbindung mit der Firma stehen.

"Man wird schnell erwachsen durch so einen Job", sagt die 19-Jährige. Weil man sich intensiv mit dem Tod auseinandersetzt und damit auch mit dem Leben. "Man überlegt, wie man es selbst mal haben will und begreift, dass es jeden Tag vorbei sein kann. Man schätzt das Leben mehr." Die Auszubildende setzt jetzt andere Prioritäten: Familie kommt für sie an erster Stelle. "Viele in meinem Alter sagen: Mama okay, aber nicht mit zum Feiern. Und bei mir kommt die Mama halt mit", sagt Natascha Lettl und grinst. In ihrer Familie wird seither offener über den Tod gesprochen, ihre 90-jährige Uroma hat schon eine Vorsorge abgeschlossen. Auch mit ihrem Freund kann sie gut über das Thema sprechen, er ist ebenfalls bei der Freiwilligen Feuerwehr in Steinhöring. Ernster sei sie nicht geworden durch den Beruf. "Man muss schon ein bissl ernst sein, aber man darf auch lachen", sagt sie - und lacht.

Doch nicht alle ihrer Freunde konnten verstehen, dass sie sich für diesen Beruf entschieden hat. "Ich habe Freunde verloren dadurch, dass ich das machen wollte. Es gab welche, die haben gesagt: Wie kannst du das nur machen? Das ist ja eklig." Martin Riedl, der Leiter der Firma, ist froh, Natascha Lettl in seinem Unternehmen zu haben. Sie ist die Erste, die er ausbildet. "Es ist schwierig, geeignetes Personal zu finden. Die meisten stellen sich das leichter vor, als es ist", erklärt er. Nach dem ersten Hausbesuch der 19-Jährigen hat er eine Mail erhalten, in der die Angehörigen von ihr schwärmten. "Es ist eine Freude, so jemanden auszubilden", sagt er. Die junge Frau lächelt. Im Juni und Juli muss sie noch mal zeigen, was sie kann: Särge löten, einen Dummy bergen, Gräber ausbaggern, einen Toten versorgen. Dann ist sie ausgebildete Bestatterin. Sie freut sich drauf.

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