Poing/Markt Schwaben:Als die Schüler den Lehrern die Schuhe putzten

An diesem Freitag werden an den Realschulen die Zeugnisse verliehen. Ein großer Tag - auch vor 60 Jahren schon. Absolventen von einst und heute im Gespräch über Unterschiede und Gemeinsamkeiten ihrer Schullaufbahn.

Von Max Nahrhaft, Poing/Markt Schwaben

Wer in diesen Tagen mit seinem Abschlusszeugnis der Realschule nach Hause gehen darf, kann stolz auf sich sein. Die Zeit vor den Abschlussprüfungen bedeutet Stress und Anspannung. In den Wochen vor dem Abschluss sind die meisten Schüler nur auf die Prüfungen fokussiert, in denen sie möglichst gut abschneiden, oder einfach nur bestehen wollen. Wenn man dann sein Zeugnis der Mittleren Reife vom Rektor überreicht bekommt, fühlt man sich zumindest für einige Zeit als Mittelpunkt seiner Umwelt - und das zu Recht. Jeder hat eine große Leistung vollbracht. Mit der Zeugnisverleihung endet aber auch ein prägender Lebensabschnitt und ein neuer beginnt.

Ein Blick zurück auf die vergangenen Jahrzehnte macht bewusst, dass man nicht der Erste ist, der diese Leistung erbracht hat. Genauso wie heute haben vor 60 Jahren die Schüler mit der Mittleren Reife abgeschlossen. Einer von ihnen ist Wolfgang Schubert aus Poing, der im Juli 1956 seinen Abschluss machte. Was er von seiner Schulzeit erzählt, weist in vielen Aspekten Ähnlichkeiten mit dem auf, was die Schüler von heute zu berichten haben. "Für mich war es damals nicht entscheidend, dass ich die besten Noten in der Klasse hatte. Viel wichtiger war mir, dass ich den Abschluss überhaupt gemacht habe", sagt Schubert.

Viele Schüler von heute berichten dasselbe. So auch Thomas Hilger, der im Alter von 15 Jahren in diesem Jahr die Lena-Christ-Realschule in Markt Schwaben mit der Mittleren Reife verlassen wird. Eine Ausbildung will er aber nicht beginnen, sondern zunächst sein Fachabitur machen, um dann Lehramt zu studieren. Für die Fachoberschule brauche er in seinen Hauptfächern gerade einmal die Noten drei und vier. Deswegen habe er sich bei der Vorbereitung auch auf einige Fächer konzentriert - der Notenschnitt sei zweitrangig gewesen. Als Schubert vor 60 Jahren die Schulbank drückte, hatte er bereits seine Ausbildung zum Werkzeugmacher begonnen und ging auf die Abendrealschule. Ebenso wie Thomas Hilger investierte auch er viel mehr Zeit in die Fächer, die ihn wirklich interessierten, wie Mathematik und Naturwissenschaften - Sprachen habe er "völlig hinten liegen gelassen". Schubert stellt schmunzelnd fest, dass sich da also gar nicht so viel verändert habe. Damit in Zusammenhang steht auch der Wert, den die beiden der Bildung an sich zurechnen: Gewisse Grundlagen in allen Fächern seien zwar unverzichtbar für die Allgemeinbildung, doch häufig werden auch Inhalte gelehrt, die fernab jeglicher Realität seien - damals wie heute.

Mit der Schulzeit in den 50er Jahren verbinden viele aber auch die Erinnerung an körperliche Strafen oder eine strikte Geschlechtertrennung in den Schulklassen. Das kann Schubert nur als Gerücht zurückweisen: "Bei uns gab es keine brutalen Strafen, man musste höchstens dem Lehrer mal die Schuhe putzen, aber nichts Schlimmes. Auch die Mädchen saßen gleichberechtigt neben uns im Unterrichtsraum", so Schubert. Heute seien die Mädchen aber mehr als nur gleichberechtigt neben den Jungs. Vielmehr seien sie vollständig integriert in die Klassengemeinschaft. Hilger sagt: "Wir sitzen mit den Mädchen nicht nur im Klassenzimmer, sondern verbringen auch unsere Freizeit gemeinsam. Nach den letzten Prüfungen haben wir zum Beispiel alle zusammen gefeiert." Dahin gehend hätte damals - abgesehen von einigen wenigen Fahrradtouren - nur wenig Kontakt bestanden, so die Erfahrung Schuberts.

Thomas Hilger

Thomas Hilger, 15, machte in diesem Jahr die Mittlere Reife an der Lena-Christ-Realschule in Markt Schwaben. Jetzt will er das Fachabitur machen und Lehramt studieren.

(Foto: privat)

Ein anderer Punkt, in dem durchaus Differenzen zwischen heute und damals zu erkennen sind, ist die individuelle Betreuung der Schüler. Früher waren die Schüler auf sich alleine gestellt, was ihre Hausaufgaben und auch ihre schulischen Leistungen anging. Wenn nicht Mutter oder Vater die Kinder bei den Hausaufgaben unterstützten, war ansonsten keine Hilfe zu erwarten, um Fragen zu klären und Probleme zu lösen. "Ein riesiger Vorteil für mich ist die Offene Ganztagsschule, die hier an der Realschule angegliedert ist. Die Betreuer kann ich einerseits fachlich um Rat fragen, andererseits aber auch persönliche Angelegenheiten loswerden", sagt Hilger. Der einzige Nachteil sei nur, dass er dann nicht nur den Morgen, sondern auch den ganzen Nachmittag in der Schule verbringe, aber Pro und Contra hat er für sich schon abgewogen. "Ich habe sogar einmal eine Erörterung über die Ganztagsschule verfasst und habe mich da für die positive Seite entschieden - glaube ich zumindest", sagt Hilger grinsend.

An diesem Freitag findet an den Realschulen im Landkreis die Zeugnisverleihung statt. 616 Schüler werden mit der Mittleren Reife ausgezeichnet, bevor sie ihre freie Zeit bis zum nächsten Schritt im Leben genießen dürfen. Das Ziel von Wolfgang Schubert war der Werkzeugmacher, Thomas Hilger möchte künftig lieber als Lehrer arbeiten. Diese Berufswünsche stehen auch stellvertretend für die aktuell zu beobachtende Entwicklung weg von den klassischen Ausbildungsberufen.

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