Poing:Die Lust zu Sezieren

Galerie Orth - Frauen im Mittelpunkt

Justyna Anthony, Gudrun Hauenstein-Neset und Veronika Ferk (von links) haben ihre jeweils sehr eigene Art, die Frau im Bild darzustellen. Die eine huldigt dem Körper, die andere der Erscheinung und die dritte zerlegt sie in ihre Einzelteile.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Die Ausstellung "Frauen im Mittelpunkt" im Poinger Atelier Karl Orth zeigt völlig unterschiedliche Bilder dreier Künstlerinnen zu ein und demselben Thema

Von Alexandra Leuthner, Poing

Drei Frauen und ihre Frauenbilder. Der dreifache weibliche Blick aufs eigene Geschlecht. Doch ist damit keine Potenzierung verbunden, keine Überhöhung von Weiblichkeit. Auch wenn der weibliche Blick auf sich selbst ein anderer ist als der des anderen Geschlechts. An mancher Stelle freundlicher, meist aber gnadenloser. "Frauen im Mittelpunkt" ist die Ausstellung im Atelier Karl Orth betitelt, und das Objekt wird von den drei Malerinnen Veronika Ferk, Gudrun Hauenstein-Neset und Justyna Anthony seziert, differenziert. Der Blick der Künstlerinnen, die sich bei einer Ausstellung in Dießen am Ammersee kennengelernt haben, fokussiert sich auf das, was Frau für sie ausmacht.

Jede von ihnen tut das in ihrer eigenen Sprache. Die Öl- und Acrylbilder der aus Polen stammenden Justyna Anthony dominieren in ihrer prallen Farbgebung eine ganze weiß gekalkte Wand des Ateliers - das viel Raum lässt, mal einen Schritt zurück zu treten und die Gemälde auf sich wirken zu lassen. Gut gehängt, haben sie die Wand für sich allein, was ihrer überbordenden Farbigkeit entspricht - und den filigraner gestalteten Bildern der beiden anderen Künstlerinnen Raum lässt. Anthony malt energisch, mit Spachtel und dickem Pinsel, legt Farbschicht um Farbschicht übereinander und zerrt ihre Protagonistinnen mit wilder Energie ans Licht.

Nackt oder nicht nackt stehen sie allein in der Mitte des Raums, entblößt. Mandelförmige Augen heischen nach Aufmerksamkeit. "Ich brauche die Farbigkeit", erklärt die in München lebende Malerin. "Ich versuche, viel Kraft in die Augen zu geben, damit ein Blickkontakt entsteht." Von allen drei Malerinnen ist sie in ihrer Herangehensweise die Unverblümteste, malt aus purer Lust am Tun. "Ich will, dass sie stark sind." Bei Natascha, der rauchenden Göttin im roten Kleid, gelingt es ihr. An anderer Stelle stellt sie die Frauen bloß, splitternackt, schamlos, dünn, mit wilden Haaren. In ihrem Heimatland Polen, erzählt Anthony, könne sie ihre Bilder nicht überall ausstellen, ganz sicher nicht auf dem Land, wo sie herstammt. "Die Kirche hat die Nacktheit tabuisiert, aber am menschlichen Körper ist nichts Schlechtes."

Größer könnte der Gegensatz zu Gudrun Hauenstein-Nesets Schwarz-Weiß-Bildern kaum sein - wobei sie sich mit Anthony in einem einig ist: "Ein Rest Würde muss bewahrt bleiben." Wie Comics sind ihre Bilder, erzählen Geschichten, auch wenn sie das Wort "comicartig" nicht besonders mag. Als Kind habe sie Comics geliebt, räumt sie ein, den Einfluss mag die Autodidaktin, die malt, "seit ich einen Stift halten kann", nicht abstreiten. Pop-Art trifft es aber vielleicht besser, fast fotorealistisch kommt etwa die Diva rüber, die sich, angedeutet mit Reizwäsche und Federboa bekleidet, lasziv auf einer Chaiselongue rekelt. Auch die Münchnerin Hauenstein-Neset mag es oft großformatig, benutzt im Gegensatz zur Pop Art aber keine Farben, sondern schwarze Marker oder graue Mangastifte, um unterschiedliche Grautöne zu erzielen. Ihre Bilder sind voller Brüche. Sie spielt mit der Perspektive, lässt zwei völlig dürre weibliche Punks aus der New Yorker Hochhaus-Skyline herausragen - ebenso wie aus der Masse fetter Durchschnittsamerikaner im Hintergrund. Ihre Brüche resultieren aus den Situationen, in die sie ihre Figuren setzt - auch sie zieht sie gelegentlich dafür aus, doch geht es ihr nicht um nackte Details. So malt sie eine zusammen gesunkene Frau, bar jedes Stofffetzens, noch nicht einmal Haare hat sie, allein auf den Steinboden des Markusplatzes sitzend. Das einzige lebende Wesen weit und breit, die einzig runden Formen in der architektonisch steinernen Dichte der Bauten - die Würde liegt in der Verletzlichkeit des Körpers.

Veronika Ferk bezeichnet ihre Bilder als Jazz-Art. Doch scheinen sie mehr Komposition als Improvisation. Ihre skurrilen Figuren, die sie in feinem Tuschestrich zeichnet und mit Pastellkreide koloriert, ähneln Insekten, man glaubt Kauwerkzeuge zu erkennen, Chitinpanzer. Schreitende, tanzende, irrwitzig abgewinkelte Beine ähneln den Extremitäten von Grashüpfern oder Spinnen. Sie abstrahiert, zerlegt die immer gleiche Figur in skurrile Einzelteile, nur noch an phänotypischen Merkmalen zu erkennen. Ein tiefes Dekolleté in kurzem Abendkleid - bei näherer Betrachtung aus den Rädchen eines Uhrwerks zusammengesetzt. Armknochen markiert durch Schraubenschlüssel. Eine andere Figur scheint aus einer Wand heraus zu wachsen, dauernde Bewegung, ein Prozess des Entstehens und Vergehens, wie ein Insekt, das sich verpuppt, ausschlüpft, nur um sich erneut zu verwandeln. Von der Frau, bleibt nichts als die Summe ihrer einzelnen Teile, die Summe ihrer Atome.

Eröffnung der Ausstellung: an diesem Samstag, 28. Oktober, 18 Uhr. Geöffnet: Mittwoch, 1.11., 14 bis 18, Freitag, 3. und Samstag, 4.11., 16 bis 20 Uhr; Dienstag, 7.11. und Freitag, 10.11., 16 bis 20 Uhr.

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