Poetry  Slam:Götter, Google und Gelächter

Poetry  Slam: Wer Gott sucht, sollte einfach mal auf Ebay nachschauen, empfiehlt Poetry-Slammer Oliver Walter bei seinem Auftritt im Artesano.

Wer Gott sucht, sollte einfach mal auf Ebay nachschauen, empfiehlt Poetry-Slammer Oliver Walter bei seinem Auftritt im Artesano.

(Foto: Christian Endt)

Sechs Poeten stellen sich im Ebersberger Café Artesano einem Dichterwettstreit

Von Peter Kees, Ebersberg

Die Suche nach Gott, der sich Propheten, Philosophen und Theologen seit Jahrtausenden widmen, sie hat ein Ende: Den Allmächtigen zu finden ist nämlich ganz leicht - und zwar über Ebay. Leider ist die Begegnung zwischen Mensch und Gott dann doch ein wenig enttäuschend, Letzterer verdankt seine angebliche Allwissenheit nämlich bloß Google. Zumindest wenn es nach Oliver Walter geht, derdie Geschichte nun im Café Artesano zum Besten gab. Er ist einer von sechs Sprachkünstlern, die dort in einem Poetry Slam gegeneinander antraten.

Bei diesem zunehmend beliebter werdenden literarischen Veranstaltungsformat geben Autoren kurze Texte zum Besten und lassen diese bewerten. Nach zwei Runden, in denen eine Jury den Gewinner kürt, entscheidet in der Endrunde der Beifall des Publikums. Die Regeln sind simpel: Die Texte müssen selbstgeschrieben sein, ihre Autoren dürfen sechs Minuten Vortragszeit nicht überschreiten und in ihrer Darbietung keine Hilfsmittel verwenden. Ins Ebersberger Halbfinale rückten vier Kandidaten; im Finale standen sich Philipp Quell aus München und Oliver Walter aus Spalt bei Nürnberg gegenüber.

Bei dieser Art von Dichterlesung wird man natürlich auch an gewitzt kabarettistische Nummern erinnert. Ob nun der in München lebende Tscheche Jaromir Konecny mit dem "L" in der deutschen Sprache spielte, dabei alle möglichen Vornamen mit jenem Konsonanten bemühte und wunderbare Alliterationen schuf, durchaus auch gesellschaftskritische Sichten damit formulierte, oder Martin Berg aus Ismaning ein wenig altklug über die digitale Verblödung unserer Gegenwart herzog - im zweiten Teil ein absurdes Liebesgedicht aus zusammengesetzten Substantiven konstruierte -, das zahlreich erschienene Publikum hatte einen Abend lang viel Gelegenheit zum Lächeln, Kichern und lauten Lachen.

Oliver Walter bediente sich in seinem zweiten Sprachspiel eines genialen Tricks: er vertauscht schlicht gewohnte Begebenheiten: nicht die Bahn entschuldigt sich für die Verspätung, sondern er als Fahrgast für seine Verspätung bei der Bahn. Nicht das Telekommunikationsunternehmen fragt nach der Zufriedenheit des Kunden, sondern er erkundigt sich bei der Firma nach der Zufriedenheit mit ihm als Kunden. Bereits in der ersten Runde aufgefallen war der Gewinner des Abends, Philipp Quell. Nicht nur, weil er seine Texte auswendig vortrug, sondern ob seiner Sprachgewalt. Seine Kunst des Formulierens ist stark, seine Gedankengänge haben Niveau. Hier schreibt einer mit großer Ernsthaftigkeit über Ausländerhass, Erfolg, den Gegensatz von Traum und Realität und offenbart dabei - durchaus mit Humor, Witz und Ironie gewürzt - die Suche nach einem eigenen Weltbild.

Auch wenn es nur einen Gewinner gibt, kann man alle Teilnehmer ermutigen, die Feder weiter zur Hand zu nehmen, alle Beiträge waren mindestens eine bemerkenswerte Auseinandersetzung mit persönlicher Welterfahrung. Ob Veronika Dudeks literarische Erfahrungsberichte aus der Welt der Datingplattformen im Internet, ihr verächtlicher Blick auf Katzen oder Martin Siepers Beschäftigung mit dem eigenen Selbstwert, mit Schreiben und Sprache - all das ergibt Sinn.

Es war für das begeisterte Publikum nicht einfach zwischen der Geschichte von Oliver Walter über das Auslassen der menschlichen Notdurft in Literatur und Filmen und Philipp Quells "Tausendfüßler" zu entscheiden. Dass am Ende nicht der ironische Griff siegte, sondern ein Beitrag, in dem sich ein junger Mann - ganz ohne Witz und Humor - offenbar die Seele aus dem Leib geschrieben hatte, beeindruckte, gleichwohl der üppige Applaus der Zuhörer für beide Geschichten im Grunde ein Unentschieden ergab.

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