Pliening:"Ich werde keinen erfrieren lassen"

Plienings Bürgermeister Roland Frick will am Vertragsende für die Traglufthalle festhalten. Sollte sich die Flüchtlingslage bis April ändern, zieht er eine Verlängerung in Betracht

Interview von Alexandra Leuthner und Korbinian Eisenberger

Am Ende dieses Jahres hat Roland Frick (CSU) den Adventskranz auf dem Tisch stehen, zwischen den Zweigen brennt eine Kerze, hinten hängt das Holzkreuz an der Wand. Im Büro des Plieninger Bürgermeister geht es traditionell zu, vor den Rathaustüren hat sich hingegen einiges getan. Seit Sommer wohnen 200 junge Flüchtlinge in einer Traglufthalle des Landratsamts, so wie in anderen Gemeinden Oberbayerns auch. Doch ausgerechnet in Fricks Gemeinde sind die Probleme am massivsten.

SZ: Herr Frick, wegen der Traglufthalle gab es wiederholt Ärger. Er gipfelte in einem öffentlichen Streit zwischen Plieninger Helferkreis und Landratsamt. Sie haben sich dann eingeschaltet, um die Wogen zu glätten. Ist Ihnen das gelungen?

Roland Frick: In gewisser Weise hoffe ich: ja. Klar ist, es waren viele Dinge dabei, die nicht richtig liefen. Aber Konrad Weinstock vom Helferkreis ist ein sehr engagierter und korrekter Mann, der helfen will, und Landrat Robert Niedergesäß ebenso. Ich habe mit beiden ein Sechsaugengespräch geführt, wir haben uns ausgetauscht. Es war vernünftig, so dass man sich wieder in die Augen schauen kann.

Sie sehen sich als eine Art Schnittstelle, die vermittelt, wenn es kracht. Seit Ihre Gemeinde das Grundstück für die Halle und so das Hausrecht ans Landratsamt vermietet hat, sind Sie als Bürgermeister aber doch praktisch ohnmächtig. Oder?

Das sehe ich nicht ganz so. Ich fühle mich verantwortlich. Ich bin mehrmals die Woche vor Ort, und kriege oft Dinge mit, die nicht gut laufen. Ohnmacht verspüre ich nicht, eher einen Drang mitzuhelfen. Zum Beispiel, als ich gesehen habe, dass die Bewohner aus der Türe rauskamen und im Dreck standen. Da nichts geschehen ist, habe ich mich eingeschaltet und es wurde ein simpler Gitterrost organisiert. Oder als das Büro des Helferkreises wochenlang zugestellt und unbenutzbar war. Also haben wir das Zeug im Bauhof eingelagert. Viele kleine Dinge, die wichtig sind, aber nicht effektiv und schnell angegangen wurden.

Sind Sie mit der Arbeit des Landratsamts zufrieden?

Im Großen und Ganzen ja, unterschiedliche Auffassungen gibt es immer wieder. Ich habe die Probleme dem Landratsamt mitgeteilt, es hieß dann: Ja wir machen, und dann ist länger nichts geschehen. Das sind viele Kleinigkeiten. Was ich verstehe, ist, dass der Landrat sich vor seine Leute stellt, das mache ich auch nicht anders.

Haben Sie den Eindruck, dass die Mitarbeiter dort überfordert sind?

Das muss man differenziert sehen. Man darf nicht vergessen: Es wurde auch viel geleistet im Landratsamt. Letztes Jahr um diese Zeit kamen jede Woche 60 Flüchtlinge in den Landkreis. Alle unterzubringen, war von Anfang an eine Herkulesaufgabe...

... die viele andere Landkreise in der Region auch in dieser Form bewältigen müssen. Haben Sie eine Erklärung, warum es in der Plieninger Traglufthalle, gemessen an Polizeieinsätzen, so viel mehr Probleme gibt als in jeder anderen vergleichbaren Unterkunft in Bayern?

Nein habe ich nicht. Was mich wirklich geärgert hat, das ist die Unterbringung von Alkoholikern in der Halle. Von den 200 ist die überwiegende Anzahl anständig, es sind nur einige wenige, die Probleme machen. Und die Bewohner haben viel mitgemacht - wenn man sich Einzelschicksale anschaut, möchte wahrscheinlich keiner von uns tauschen. Wer dann auch noch Alkoholprobleme hat, der gehört nicht in eine Massenunterkunft, sondern in eine kleinere Einheit, wo man ihn besser betreuen kann, oder in ärztliche Betreuung.

Traglufthalle Pliening

Im Mai wurde die Plieninger Traglufthalle bezogen, gerade wird dort das Dach geflickt. Nach einem Brand Ende Oktober zogen 200 Flüchtlinge übergangsweise nach Grub.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Das Landratsamt argumentiert damit, man wolle Schläger nicht auch noch belohnen. Der Eindruck könnte ja entstehen.

Ich hatte die Vermietung des Grundstücks an die mündliche Bitte geknüpft, dass solche Leute zum Wohle aller verlegt werden, dies ist nicht geschehen. Deshalb ärgert mich dieser Punkt besonders, ist doch die Schule nebenan, und auch bei der Bevölkerung kam das nicht gut an.

Wobei es Alkohol und psychische Probleme auch in anderen Unterkünften gibt. Dass die Polizei in Pliening doppelt so oft wie in anderen Traglufthallen ausrückt, muss doch noch andere Gründe haben.

Vielleicht kontrollieren sie anderswo besser. Am Anfang hat es auch in Pliening funktioniert, aber dann hat der Objektleiter der Security gekündigt, von da an kam es zu vielen Wechseln im Personal, zu viele, meine ich. Als ehemaliger Polizist kann ich sagen, dass so etwas eher kontraproduktiv ist. Genau wie es nicht unbedingt was bringen muss, wenn man wie in Pliening das Personal verdoppelt. Besser wäre, die Security würde aus einer festen Mannschaft bestehen, und sie bräuchte mehr Rechte. Wenn einer mit Schnaps kommt, wird das ausgeschüttet, fertig.

Aus Helferkreisen ist zu vernehmen, dass die Einrichtungen in anderen Hallen komfortabler, lebenswerter sein sollen. In Dachau etwa gibt es einen Kiosk.

Ob man einen Kiosk braucht, weiß ich nicht, der Edeka ist ja hier ums Eck. Wir haben ja viel gemacht, der Helferkreis hat Wlan und eine Großleinwand organisiert, damit man drinnen Fußball und Olympia schauen kann.

Es wird auch kritisiert, dass - anders als in anderen Hallen - lange kein Sozialarbeiter in der Halle für Fragen verfügbar war. Wie haben Sie das erlebt?

Dass am Anfang vom Landratsamt niemand da war, ist richtig. Keiner wusste, wann wer kommt, oder wie lang. Bis sich das geändert hat, dauerte es Wochen und Monate. Seit einiger Zeit gibt es jetzt feste Sprechstunden der Sozialarbeiter in der Traglufthalle. Allerdings glaube ich, dass da viele Faktoren mit rein spielen. Dass es sich so hochschaukelte, liegt bestimmt auch an der Zusammensetzung der Bewohner, an den kulturellen und ethnischen Konflikten.

Um die Halle aufzulösen und die 200 Bewohner zu verteilen, bräuchte man erst Wohnungen. Die hat der Landkreis aber nicht. Wo soll da der Ausweg sein?

Mit Verlaub, da muss die Regierung von Oberbayern tätig werden, die zuständig ist. Ich werde dann wieder einen Aufruf starten, wenn von der Regierung endlich wieder die Nachfrage nach Wohnraum gestellt werden darf. Im Sommer hätte mir jemand ein Haus für Flüchtlinge angeboten, da hätten wir einige unterbringen können. Aber da war der Stopp von der Regierung.

Eine Garantie für erfolgreiche Integration ist ein Haus aber auch nicht.

So wie der Plieninger Helferkreis engagiert ist, machen die das, ich würde fast sagen, mit links. Da sind Leute dabei, die lassen sich nicht unterkriegen. Drei Frauen haben sich bei der letzten Schlägerei ins Büro geflüchtet, am nächsten Tag saßen sie wieder drin und haben weitergemacht. Da hab ich größten Respekt.

Klingt nach einem Plädoyer für dezentrale Unterbringung, also gegen das, was der Ebersberger Abgeordnete Thomas Huber, Horst Seehofer und ein Großteil der CSU im Landtag stets verteidigen.

Pliening Roland Frick Interview.

Bürgermeister Roland Frick, CSU, hat den Gemeindegrund für die Traglufthalle verpachtet, bei Problemen engagiert er sich persönlich.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Das ist richtig, nur so funktioniert Integration. Dass man Flüchtlinge in Massenunterkünften wohnen lässt, war ja eine Idee der Regierung. Wenn ich aber gleichzeitig von Integration rede, muss ich anders handeln. Integration kann nur in kleineren Einheiten stattfinden und nicht in einer Turn- oder Traglufthalle. Das ist und bleibt eine Notunterkunft und kein Integrationsmodell. Das ist auch ein Grund für mich zu sagen, am 30. April 2017 endet der Vertrag für die Halle.

Trotz massiver Kritik von Verbänden, Kirchen, Gesellschaft und Opposition hat die CSU ihr Integrationsgesetz im Landtag durchgebracht. Zuwanderer werden jetzt auf eine einheitliche "Leitkultur" verpflichtet, diffus bleibt, was der Begriff eigentlich aussagen soll. Wissen Sie es?

Ich kenne den Vorschlag im Detail nicht. Aber ich sehe, wo die Probleme liegen, ob es da dieses neue Integrationsgesetz braucht, weiß ich nicht. Bei der Integration hilft es, wenn die Einheimischen offen für Zuwanderer sind. Es ist zwar nicht unbedingt hilfreich, wenn alle paar Wochen ein Großaufgebot der Polizei durchs Dorf zur Traglufthalle rauscht. Allerdings hat es noch nie etwas mit einem Plieninger Bürger gegeben, die Keilereien waren immer untereinander und in der Halle.

Welche Reaktionen bekommen Sie aus Ihrer Gemeinde?

Im Oktober kam es zur bisher größten Schlägerei in der Unterkunft, mit so viel Polizei in Pliening wie noch nie. Und ausgerechnet zwei Tage später hatte ich die diesjährige Bürgerversammlung angesetzt. Das war nicht so prickelnd, man musste befürchten, dass sich jetzt vielleicht Angst, Wut oder sonstiges bei den Leuten entlädt.

Es waren immerhin weit über 200 Leute da, der Saal war voll...

... und es ist nichts von dem eingetreten, was hätte eintreten können. Es war friedlich, es wurde nicht gehetzt, nichts von dem, was man oft so hört.

Und trotzdem hören es die Leute, wenn die Polizei mehrmals pro Woche durch den Ort fährt. Müssen Sie als Bürgermeister nie kritische Fragen beantworten?

Ich habe während der ganzen Zeit zwei anonyme Mails gekriegt, in einer stand, dass es zu viele Flüchtlinge werden; das war noch, bevor die Halle belegt wurde, da ist mir vielleicht sogar Schuld zugewiesen worden. Dann habe ich noch ein Bild der Traglufthalle aus der Zeitung im Rathaus-Briefkasten gefunden, da hat jemand mit Filzstift drauf geschrieben, 220 Flüchtlinge sind zu viel, das war's.

In den vergangenen sechs Wochen hätte es dafür gar keinen Anlass gegeben. Wegen des Brandschadens wohnen die Plieninger Flüchtlinge ja immer noch in der Ersatz-Traglufthalle in Grub. Wenn es dabei bleiben würde, hätten Sie sicher auch nichts dagegen, oder?

Unser Vertrag geht bis zum 30. April 2017, und dazu stehe ich. Ich habe einzelne Stimmen vernommen, ich solle froh sein, dass sie jetzt ausgezogen sind, dass "du sie los hast". Dazu habe ich nur gesagt, dass man die Halle wahrscheinlich wieder flicken wird. Und trotzdem: Drohmails oder sonst irgendwas habe ich nicht bekommen. Ich bin stolz und wirklich glücklich, dass die Plieninger so gut mit der Sache umgehen, und dass sie mir offensichtlich auch abnehmen, dass ich nicht vorhabe, den Vertrag für die Halle zu verlängern.

Es sei denn, die Flüchtlingskrise nimmt noch mehr Fahrt auf. Weltweit sind zur Zeit 65 Millionen Menschen auf der Flucht, meldet das Flüchtlingshilfswerk der UN, so viele wie noch nie.

Das ist richtig, aber das wäre eine völlig neue Situation. Die ganze Weltpolitik hat Fehler gemacht. Es muss ja nur ansatzweise stimmen, dass in Afrika, einem Kontinent mit 1,3 Milliarden Menschen, Millionen auf gepackten Koffern sitzen, um das zu erkennen. Wenn man nur darauf aus ist, wie man diesen Kontinent weiter ausbeutet, und dann halt mal ab und zu ein paar Spenden schickt, dann kommen wir da nicht voran. Das Übel muss an der Wurzel gepackt werden, das heißt, den Ländern muss geholfen werden, damit sich die Situation der Menschen verbessert.

6 Traglufthallen

Die beiden Traglufthallen im Landkreis Ebersberg sind mit die letzten in Bayern. Neben Grub und Pliening gibt es nur noch vier weitere, zwischenzeitlich waren es mehr als ein Dutzend. Der Vertrag des Landkreises München mit der Gemeinde Haar endet am Montag, die Traglufthalle Rottach-Egern (Landkreis Miesbach) kann noch bis 30. Januar bewohnt werden, die Plieninger Halle bis 30. April. Länger sind die Laufzeiten nur für die Hallen in Unterhaching (Landkreis München, 29. Mai 2017) und Bergkirchen (Landkreis Dachau, 7. November 2017).

Wie soll das funktionieren? Die EU schafft es ja nicht mal, 900 000 Flüchtlinge auf ihre Mitgliedsstaaten zu verteilen.

Als die Grenzen geöffnet wurden, im September 2015, hätte Deutschland gleich an die EU herantreten müssen wegen der Verteilung der Flüchtlinge. Dies ist erst Monate später geschehen und Länder, die niemanden aufnehmen wollten, haben dann gesagt, dass sie nicht gefragt wurden, als Frau Merkel ihren berühmten Satz gesagt hat.

Deutschland hat ja bis dahin eineinhalb Jahrzehnte lang kaum Flüchtlinge aufnehmen müssen, weil es alle Nachbarländer im neu gefassten Asylparagrafen als sichere Drittstaaten klassiert hat.

Das stimmt, da haben wir uns zurückgelehnt und gesagt, wir liegen ja mitten drin im europäischen Schengenraum. Wir haben keine Außengrenze. Wir haben immer gesagt, wie die Österreicher auch, uns geht das nichts an. Und dann war Italien, Lampedusa, und auch Griechenland. Deutschland und andere EU-Länder haben gewaltige Fehler gemacht über die Jahre. Und das hat uns die letzten zwei Jahre eingeholt. Weil man Italien und Griechenland im Regen stehen ließ und nicht richtig geholfen hat. Das war meines Erachtens falsch.

Sie sind aber schon noch in der CSU, oder?

Ja, ich bin der CSU und fühle mich auch wohl. Mag sein, dass ich in manchen Dingen anders bin, als mancher in der Partei sich das vorstellt. Ich hätte mir ja gewünscht, dass Merkel und Seehofer eine gemeinsame Sprachregelung gefunden hätten, schon vor einem Jahr. Dann wäre vieles vielleicht anders, besser gelaufen. Es ist ja doch ein Unterschied zwischen dem Artikel 16a Grundgesetz, der keine Obergrenze kennt, und der Aussage von Horst Seehofer, der den Zuzug begrenzen will. Aber als Bürgermeister einer Gemeinde fragen die mich ja nicht.

Sonst würden Sie was sagen?

Wir haben gesetzliche Regelungen, da muss ich mich auch dran halten, aber wenn jemand in Not ist, dann ist das für mich keine Frage, wer das ist. Ich bin ganz einfach der Mensch Roland Frick, ich lass mich nicht in Leitplanken pferchen.

Was ist, wenn die Regierung von Oberbayern neue Flüchtlinge zuweist? Verlängern Sie den Vertrag für die Halle dann doch?

Wenn die Situation so bleibt, wie sie jetzt ist, dann wird zum Vertragsende aufgelöst. Aber eine Möglichkeit besteht natürlich: Wenn der türkische Präsident Erdoğan - für mich einer der gefährlichsten Politiker zwischen Europa und Amerika - ernst macht, und es kommen eine Million oder eineinhalb Millionen rüber. Dann ist das ein Gebot der Menschlichkeit - und da brauch' ich nicht unbedingt ein Gesetz dazu - ich werde diese Menschen nicht erfrieren oder verhungern lassen. Das wäre eine Notfallsituation, in der man über eine Verlängerung reden müsste.

Wie ist das eigentlich bei Ihnen im CSU-Ortsverband? Ecken sie mit Ihrer eher liberalen Haltung nicht an? Gerade wenn Sie eine Vertragsverlängerung in Betracht ziehen? Sagen die nicht: Roland, spinnst du?

Natürlich gibt's den einen oder anderen in der CSU, der vielleicht nicht so einverstanden ist. Das merk ich schon ein bisschen im Umfeld. Aber im Ortsverband oder in der Fraktion hat noch keiner was gesagt. Ich habe das Gefühl, dass ich hier Rückendeckung habe. Ob jeder damit so glücklich ist, das weiß ich natürlich nicht, ich kann in die Köpfe ja nicht hineinschauen.

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