Pliening:Die Dorfältesten

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In Pliening sind vier Baumriesen und eine Baumgruppe als Naturdenkmäler ausgewiesen. Ihr Erhalt erfordert viel guten Willen und regelmäßige Pflege - vor allem aber Ruhe

Von Alexandra Leuthner, Pliening

Vergeblich bemüht sich Franz Höcherl, den meterdicken Stamm des Baums mit seinen Armen zu umfangen. Selbst die Wurzeln, welche die mächtige Esche im Laufe von 100 Jahren in die Erde hinein getrieben hat, um genug Standfestigkeit zu haben, wenn der Wind an ihren immer ausladender wachsenden Ästen rüttelt, sind so dick wie ein kleiner Mensch. Auf der Rückseite des Baums, der dem Ottersberger Schützenstadl gegenüber am Straßenrand steht, ist ein kleiner Ablaufgraben. Dort kann man sehen, wie der Stamm in der Tiefe in die massiven Wurzelstränge übergeht, und man ahnt, wie weit das Wurzelwerk in allen Himmelsrichtungen unter der Erdoberfläche reichen muss, um den Giganten zu halten.

Von weitem schon ist die Esche zu sehen. Sie markiert die nördliche Einfahrt in den Ortsteil Ottersberg, wenn man von der Kreisstraße EBE 2 her kommt, die von Pliening nach Poing führt. Die Esche, die sich oben ganz untypisch in drei Stämme aufteilt und ein schirmartiges Dach über der Straße An der Leiten aufspannt, ist ein besonderer Baum. Als prägendes Element der Landschaft zwischen Endmoräne und Schotterebene ist sie zum Naturdenkmal erhoben worden. In der Mitte ihrer drei Stämme ist ein kleines Dreieck mit einem grünen Rand und einem Greifvogel angebracht, das kennzeichnet, das sie unter besonderem Schutz steht. Die Säge ansetzen darf an diesen Baum keiner, es sei denn zu seiner Pflege, für die der Kreisfachberater der Unteren Naturschutzbehörde im Landratsamt zuständig ist.

94 Bäume mit dem grünen Dreieck stehen im Landkreis Ebersberg, fünf sind es auf Plieninger Flur. Das Plieninger Paradestück ist eine mindestens 250 Jahre alte harmonisch gewachsene Eiche, die im Westen von Gelting, zwischen den beiden künftigen Neubaugebieten Am Tanzfleckl Süd und Nord steht. Vor einer Weile noch beschirmte sie das Gebäude der Geltinger Brennerei, das inzwischen abgerissen wurde. Weil auf dem Grundstück zwei neue Häuser im Entstehen sind, ist ihr Stamm umzäunt, damit ihm ja kein Laster, keine Baumaschine zu nahe kommt. Nicht nur die Krone, auch die Wurzeln könnten leiden, würde der Boden durch schwere Baufahrzeuge zu sehr verdichtet. Einen Durchmesser von 15 Metern erreichen die gewundenen Äste der Krone. In den untersten Gabelungen des Baums, der in seiner Mächtigkeit einem Dampfschiff gleicht, könnte man es sich bequem machen und würde wohl noch nicht mal ein Schwanken des Giganten im Sturm spüren. Die schlangengleichen Windungen der Äste geben zusätzliche Stabilität gegen die manchmal steife Brise, die hier von Westen her über das Feld fegt - oder auch von Osten, wie an diesem eiskalten Oktobervormittag.

Ein Stück weiter nördlich, auf freiem Feld, steht eine Gruppe Eichen aufgereiht, acht an der Zahl. Sie sind nicht ganz so alt, und keine Naturdenkmäler, sehr zum Leidwesen des Naturschützers Franz Höcherl, der um jeden einzelnen Baum in der Gemeinde feilscht und dem Bürgermeister für einen gefällten Ahorn am Kirchweg ersatzweise die Pflanzung dreier neuer Eichen beim geplanten Kinderhaus abgeluchst hat. Doch es wird Jahrzehnte dauern, bis sie auch nur im entferntesten an die grobborkigen Stämme jener acht Exemplare der Gattung Quercus robur heranreichen, hinter denen man so wunderbar Schutz vor dem Ostwind finden kann. Hier wird offensichtlich, was der Naturschutzwächter meint, wenn er sich mehr Baumreihen als Windbrecher für den nördlichen Landkreis wünscht. "Wir haben davon viel zu wenig. Aber stattdessen müssen immer noch mehr Bäume fallen", sagt er kopfschüttelnd und weist hinüber zur Staatsstraße, die in ein paar 100 Metern Luftlinie Entfernung nach Finsing hinüber führt. Unter den Hochspannungsleitungen, die hier den hohen Herbsthimmel gliedern, sind ein paar einzelne Baumkronen zu erkennen, dort wo früher eine ganze Allee den Straßenrand säumte. Höcherl kämpft seit Jahren darum, die letzten Straßenbäume auf Gemeindegebiet zu erhalten. An der Staatsstraße Richtung Landsham und Kirchheim herrscht seit März vergangenen Jahres gähnende Leere. Eine weithin sichtbare und landschaftsprägende Pappelallee wurde nach und nach aus Gründen der Verkehrssicherheit vom Straßenbauamt Rosenheim entfernt - und nie ersetzt, trotz früherer Zusagen. Zum Unmut von Bürgern, Gemeindeverwaltung und natürlich Naturschützern. Höcherl sieht inzwischen rot, wenn er das Wort Verkehrssicherheit nur hört. "Schauen Sie auf die FTO, da steht kein einziger Baum, und trotzdem passieren dauernd Unfälle."

Bedeutsam seien Baumreihen aber nicht nur als Windschutz und Landmarke gerade im geomorphologisch wenig strukturierten Landkreisnorden, sondern auch als wichtiger Bestandteil eines funktionierenden Ökosystems. Das Geäst ihrer Kronen bildet Brücken, das Singvögeln in der Weite der Landschaft Schutz vor Greifvögeln bietet und Kleintieren die Möglichkeit, größere Strecken etwa an Äckern und Feldern entlang zu überwinden. Und natürlich hätten auch Einzelbäume eine ökologische Funktion, erläutert Höcherl. So stelle die Eiche am Tanzfleckl ein Nahrungshabitat für bis zu 1000 Insektenarten dar. Dennoch ist dies nicht der Hauptgrund für ihre Auszeichnung als Naturdenkmal. Neben Bäumen und Baumgruppen können ja auch Felsformationen, Quellen oder andere Erscheinungsformen der Natur das grüne Dreieck bekommen, aus wissenschaftlichen, geschichtlichen oder heimatkundlichen Gründen. Bauern hätten früher oft groß wachsende Bäume als Grundstücksbegrenzung gepflanzt, oder auch als Schutz vor der Sonne in der Weite der Felder, erzählt Höcherl. Blieben die Bäume stehen, sei es leichter, die Erinnerung an die einstigen bäuerlichen Strukturen zu bewahren. Ein Beispiel dafür ist eine Gruppe aus drei Eichen, die einträchtig miteinander am Kirchweg, gegenüber der alten Geltinger Schule stehen. Gepflanzt wurden sie von der Familie des Zehmerhofs, dem ältesten Bauernhof in Gelting - lebendiges Zeugnis der Ortsgeschichte.

Das gilt auch für die Prinzregentenlinde an der Geltinger Au. Schätzungen über ihr Alter erübrigen sich. Ihr Pflanzdatum ist bekannt: Genau am 12. März 1891, dem 70. Geburtstag des damaligen Prinzregenten Luitpold von Bayern sind ihre Wurzeln in die Erde der Au versenkt worden, an einer Stelle, von der aus man weit in alle Richtungen blicken kann. Im Juni schickt die Grande Dame den lieblichen Duft ihrer Blüten über die Felder, jetzt im Herbst stemmt sie sich in eleganter Biegsamkeit gegen den Herbstwind. In diesem Jahr hat sie ihren 125. Geburtstag gefeiert, und man mag es kaum glauben, dass es ein Kindergeburtstag ist, wenn man sie über den Feldern thronen sieht, wie ein Fingerzeig der Ewigkeit. "Wie sie so dasteht, kann sie 1000 Jahre werden, man muss sie nur in Ruhe lassen", sagt Höcherl.

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(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Das Liebspaar hat als lauschiges Plätzchen seine ganz besondere Bedeutung.

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(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Die Eichenreihe ebenso: Sie dient als Windbrecher.

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(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Die Prinzregentenlinde erinnert an Bayerns Geschichte.

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(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Die 250 Jahre alte Eiche gehörte als Einheit zur Geltinger Brennerei. Jetzt müssen Krone und Wurzeln vor Baufahrzeugen geschützt werden.

Die Dreiergruppe - hinten die alte Schule - hat ein Zehmerbauer vor 200 Jahren gesetzt.

Eine fünfte Denkmaleiche gibt es noch, man sieht ihre Krone und den besonders hohen Stamm auf dem Weg Richtung Markt Schwaben, wenn man beim letzten Hof vor der Geltinger Au nach links hinüber blickt. Ein Großteil der Bäume allerdings steht nicht unter dem Schutz der Behörden, so wie das "Liebespaar" bei Unterspann: Eine Kastanie und eine Hainbuche. Sie wachsen in der Verlängerung der Straße am Urtel aneinander geschmiegt an einem Feldrand. Auf der Google-Earth-Karte sieht es aus, als würden sie einander umarmen. Mit ihren Ästen beschatten sie im Sommer menschliche Liebespaare, die sich hier gerne im Abendlicht treffen, wenn die Sonne von Westen das idyllische Plätzchen beleuchtet

Bei aller Imposanz, sind die Bäume doch auf viel guten Willen angewiesen. Den der Grundstückseigentümer, der Architekten und Bauträger, den der Gemeinde. Eine Baumschutzverordnung hat Pliening nicht, so musste ein uralter Ahorn bei der alten Geltinger Brennerei ersatzlos weichen, weil der Planer des neuen Wohngebiets genau hier einen Weg vorgesehen hatte. "Man könnte doch als Gemeinde vorher zum Bauträger gehen und sagen, du musst so planen, dass der Baum stehen bleibt", sagt Höcherl und zeigt auf den traurigen Stumpf des abgesägten Stamms. Dieses Schicksal sollte den Baumdenkmälern zumindest erspart bleiben. "Da stehen wir davor und schauen hinauf, wir mit unseren paar Lebensjahren", sagt Höcherl, "und sie sind da seit Jahrhunderten."

© SZ vom 22.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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