Pliening:Alles, was recht ist

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Mitarbeiter des Amtsgerichts Ebersberg erklären Flüchtlingen in Pliening die Grundzüge des deutschen Rechtssystems

Von Antonia HeIL, Pliening

"Hier in Deutschland darf ein Mann nur eine Frau heiraten und umgekehrt. Mehr ist nicht erlaubt", erklärt Dorothe Propstmeier, Rechtspflegerin am Amtsgericht Ebersberg. Dolmetscher Jalal Bravi übersetzt postwendend in Dari, den afghanischen Dialekt des Persischen. Gebannt lauscht eine Gruppe von zwanzig Afghanen, die Köpfe rauchen.

Kein Wunder, hat das deutsche Recht doch ohnehin den Ruf, äußerst kompliziert zu sein. Nicht umsonst pauken Jurastudenten hierzulande acht oder neun Semester lang, um ihr erstes Staatsexamen zu erwerben, und manche noch wesentlich länger. Dabei haben sie die Grundsätze unserer Gesellschaft meist schon mit der Muttermilch aufgesogen und kennen daher den Grundstock der deutschen Rechtsordnung. Nicht so aber diejenigen, die als Flüchtlinge aus dem arabischen und afrikanischen Raum neu in die Bundesrepublik kommen. Oftmals tappen sie daher ganz unbeabsichtigt in Fallen des deutschen Gesetzes, was dann schlimme Folgen haben kann. Deswegen ist die Initiative des Bayerischen Justizministeriums umso lobenswerter - und wirklich notwendig: Das Ministerium schickt Mitarbeiter seiner Amtsgerichte zu den Flüchtlingen, um ihnen zu erklären, wie Recht in Deutschland funktioniert.

Genau so einen Aufklärungskurs veranstalten nun Propstmeier und ihr Kollege Christoph Kneuer zusammen mit Amtsgerichtsdirektor Christian Berg im Plieninger Bürgerstüberl. Sie verwenden dafür das Material, das bayernweit eingesetzt wird: eine Power-Point-Präsentation mit kurzen Filmchen, die mit der Sprache des jeweiligen Zielpublikums unterlegt sind. Die Zeichnungen auf den Folien sind sogar an die arabischen Gewohnheiten angepasst: Ein dargestelltes Gesetzbuch wird von rechts nach links gelesen.

Rede und Antwort stehen die Rechtspfleger Dorothe Propstmeier und Christoph Kneuer. (Foto: Christian Endt)

In einer Dreiviertelstunde gelingt es damit Propstmeier und Kneuer, die Grundzüge des deutschen Straf- und Zivilrechts zu erklären und die wichtigsten Elemente der Gerichtsbarkeit und des Staatsrechts zu umreißen. Das ganze Programm ist auf die Bedürfnisse der Zuhörer zugeschnitten.

Erst einmal machen die beiden Referenten grundsätzliche Prinzipien deutlich. Sie sagen unter anderem, dass es in Deutschland nur unbestechliche Politiker und unparteiische Gerichte gebe, dass Selbstjustiz verboten sei und dass man seine Meinung frei äußern und seinen Glauben ungehindert ausüben dürfe, solange man dabei nicht die Freiheitsrechte eines anderen verletze. Auch die wichtigsten Elemente eines Prozesses werden erwähnt.

Als es dann an das Straf- und Zivilrecht geht, horchen viele Zuhörer besonders auf, denn gerade das ist für sie im Alltag interessant: Geduldig und langsam erklärt Kneuer, dass hierzulande Schwarzfahren durchaus geahndet und mit 60 Euro bestraft wird. Seine Kollegin warnt vor Tücken, die sich beim Handykauf mit Vertrag ergeben können. Und sie erklärt, wo Flüchtlinge sich Hilfe in rechtlichen Fragen holen können, wenn die Ansprechpartner in Helferkreis, Gemeinde oder Landratsamt nicht weiterwissen: Am Amtsgericht Ebersberg bieten jeden Dienstag von 10 bis 12 Uhr Anwälte ihre Hilfe in juristischen Fragen gegen eine Aufwandsentschädigung von 15 Euro an, nicht nur für Flüchtlinge.

Was ist erlaubt, was nicht? Vor allem darum geht es bei der Einführung ins deutsche Rechtssystem für Flüchtlinge im Plieninger Bürgerstüberl. (Foto: Christian Endt)

Nach dem Vortrag, den der Dolmetscher immer stückweise übersetzt, haben die Afghanen noch einige Fragen. Der erste will zum Beispiel wissen, wie lange der Prozess nach einem Handydiebstahl dauert. Hier schaltet sich als Fachmann Gerichtspräsident Berg ein. Er erklärt, dass man hierzulande zwischen Straf- und Zivilprozessen unterscheide und die Dauer immer davon abhänge, wie viele Fälle dem zuständigen Gericht sonst noch vorlägen. Auch bei einer weiteren Frage kann der Richter Klarheit schaffen: Als die beiden Referenten erklärt hatten, dass Selbstjustiz hier verboten sei, war bei den Zuhörern der Eindruck entstanden, dass man selbst als Opfer gar nichts gegen Delikte wie Diebstahl unternehmen könne. Berg indes macht deutlich, dass Notwehr, also die zeitlich und örtlich direkte Verteidigung gegen einen Angriff auf ein Rechtsgut, durchaus legitim sei.

Für das Team vom Amtsgericht ist das Treffen in Pliening bereits die dritte Veranstaltung dieser Art. "Wir hängen uns gerne an Kurse oder Initiativen dran", sagt Gerichtsdirektor Berg. "Einen Termin haben wir schon selbst organisiert, aber auf Dauer haben wir da einfach nicht die Kapazitäten dafür." In Pliening hatte der Helferkreis für die Flüchtlinge in der Traglufthalle um eine rechtliche Einführung gebeten und sich um die Organisation des Kurses gekümmert.

© SZ vom 07.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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