Perfekte Improvisation:Feinsinn und leichte Hand

Internat. Jazz Day - Felix Sapotnik Quartett

Doppelter Anlass für Besetzung erster Güte: grafing.jazz feiert zehnjähriges Jubiläum und den "International Jazzday" mit hochkarätigen Musikern.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Zum Jubiläum spielt für jazz.grafing ein Quartett

Von Ulrich Pfaffenberger

Wenn "International Jazzday" und zehnjähriges Bestehen der Initiative jazz.grafing zusammenfallen, da darf man sich schon mal ein Quartett auf die Bühne holen, das es in dieser Güte nur selten versammelt gibt: Saxophonist Felix Sapotnik als Leader of the Gang, dazu der Bassist Peter Bockius, der Schlagzeuger Guido May, am Piano Bob Degen sowie die unvergleichliche Jenny Evans als "special guest". Der Montagabend in der Grafinger Stadthalle hatte es in sich.

So sehr ragte dieses Konzert aus dem Festtags-Angebot heraus, dass es sich US-Generalkonsulin Jennifer Gavito als Jazz-Freundin nicht nehmen ließ, von München einen Ausflug nach Grafing zu unternehmen. Ihre Heimatstadt Kansas City habe nicht nur Count Basie und Charlie Parker, sondern auch die Jam Session hervorgebracht, sagte sie. "New Orleans war der Geburtsort des Jazz und in Kansas City ist Amerikas Musik groß geworden." Mit einem "Blues for Basie" aus der Feder Sapotniks erwies das Quartett diesem Umstand besondere Reverenz, wobei die Qualität der gespielten Titel noch mehr daran zu messen ist, dass das Quartett an diesem Abend auch sonst ausschließlich Originale spielte, deren Schöpfer beide am Klavier und am Bass persönliche Akzente setzten.

Zwei Titel erwiesen sich dabei von atemberaubender Schönheit und Eleganz: "Colleen" und "Etosha", beide von Bob Degen, derart fein gesponnen und elegant gewoben, wie es auch auf diesem Jazzer-Niveau nicht alltäglich ist. Um die Wirkung auf Zuhörer zu beschreiben: Da passieren in Melodieführung und Rhythmik Dinge, die lassen sich nicht im Geringsten vorhersehen oder erwarten. Aber wenn sie dann passiert sind, ist man sich absolut sicher, dass es gar nicht anders kommen konnte, ja, durfte. Dass nur dieser eine Akkord, dieser eine Lauf, dieser eine Dialog in diesem Moment an diese Stelle passte. Man darf das, vermutlich, Genialität nennen.

Degen ist einer, der das Klavier sprechen und singen lässt, ein Lyriker in der Komposition und ein Poet im Vortrag. Beispielhaft "old school" und dennoch so zeitlos, wie es nur der Jazz zulässt. Vor allem im Zusammenspiel mit Sapotnik errichten beide ein so filigranes, transparentes Tongebäude, dass es sogar vom Hauch eines Schmetterlingsflügels zum Einsturz gebracht würde. Mit Feinsinn und leichter Hand nimmt Guido May diesen Stil an den Drums auf, zieht in die zarten Gewebe biegfeste Streben ein und spannt daraus einen Schirm von Rhythmen, die hegen, nicht drängen. Und Bockius? Der lässt die Finger über die Saiten tanzen, sechste Lage, siebte Lage, furiose Höhen, dann fliegender Wechsel in die monumentalen Tiefen der E-Saite, das ist ein Aufbruch in eine neue Dimension - und genau die dichte Atmosphäre, in der die anderen zum Schweben anheben.

Als reizvoller Kontrast dazu erweisen sich die Standards, bei denen sich Jenny Evans zum Quartett gesellt. "How high the moon", "Bye, bye, blackbird" oder "It might as well be spring": Ihre Songs brennen vor Freude am Experiment und glühen in der Sinnlichkeit ihrer Stimme. Die Deutung keines Takts und keiner Phrase bleibt dem Zufall überlassen und doch wirkt jeder Ton so leicht und überrascht, als sei er mit dem Finger dahergeschnippt oder auf einer spontanen Idee herbeigeschwebt. Wenn sie scattet, rollt die Band den Teppich aus und werfen sich die Noten darauf nieder. So unterscheidet sich eine Königin von einer Diva.

Schaut und hört man perfekt improvisierenden Jazzern zu, wie sie in Grafing auftraten, dann unterscheiden sie sich gar nicht groß von Bildhauern. Sie nehmen sich des rohen Materials an, vertiefen sich, erkennen und analysieren Strukturen und Adern, arbeiten diese mit ihren Werkzeugen heraus, lassen manche raue Stelle und manchen Grat stehen und meißeln anderswo Schwünge und Flächen hinein, weil ihnen danach ist - um am Ende einen Korpus zu schaffen, der Stil und Ausdruck hat, aber nicht notwendigerweise jedem gefällt. Solche Erkenntnis fliegt auch regelmäßigen Besuchern von Konzerten und Sessions nicht aus heiterem Himmel zu. Es braucht schon diese Kombination ausgewiesener Könner und Liebhaber des Jazz, die am Montagabend auf der Bühne stand, um ein solches Aha-Erlebnis zu vermitteln. Dafür gab es keinen Applaus. Dafür gab es eine Huldigung.

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