Neue Serie: Kraftakt, Folge 1:Bessere Ausbildung, mehr Selbstbewusstsein

Pflegeserie - Händchen halten

"Über das, was wir tun und mit welchen Hilfsmitteln wir es tun, bestimmen Menschen, die keine Ahnung haben, was wir da eigentlich machen." Manuela Holzinger arbeitet als Krankenpflegerin.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Im Landkreis fehlen 180 examinierte Pflegekräfte. Für Manuela Holzinger müsste sich politisch einiges ändern, um den Beruf attraktiver zu gestalten - aber auch das Personal selbst kann die Arbeitsbelastung entschärfen

Von Johanna Feckl

Im Landkreis Ebersberg sind aktuell 180 Stellen für Fachkräfte in der Alten- und Krankenpflege nicht besetzt - mindestens. Allein etwa 20 Arbeitsplätze davon betreffen die Kreisklinik, wie Geschäftsführer Stefan Huber einräumt. Vor zehn Jahren erreichte die Kreisklinik noch Bewerbungen, ohne dass Inserate geschaltet werden mussten. "Heute kann es passieren, dass wir überregional ausschreiben und keine einzige Bewerbung bekommen", sagt Huber. Die Situation im Landkreis Ebersberg ist prekär, genau wie im Rest von Deutschland, wo laut Bundesregierung mehr als 25 000 Fachkräfte und etwa 10 000 Hilfskräfte fehlen. Was aber denken die Pflegekräfte selbst über ihren Berufsstand? Warum fehlt so viel Personal? Wo hapert es? Und was macht den Beruf dennoch aus? Darüber hat die Ebersberger SZ in ihrer neuen Serie mit Pflegekräften im Landkreis gesprochen.

Eine Hand kommt von oben. Die andere von unten. "Es ist ziemlich klar, was sich besser anfühlt, oder?", fragt Manuela Holzinger, die in Wahrheit anders heißt. Holzinger hält ihre linke Hand wie ein Schälchen unter eine fremde Hand vor ihr und umschließt sie sanft. Ein Gefühl der Geborgenheit macht sich breit bei der Person, zu der die fremde Hand gehört. Scheut man die Berührung, ist es ganz einfach, die Hand aus dieser Umschließung zu lösen. "Das andere ist Greifen." Holzinger blickt auf ihre rechte Hand, die von oben die fremde Hand umklammert - das ist unangenehm, aufdringlich, dominant. "Ich kann bei solch banalen Begegnungen den Patienten beruhigen - aber auch dafür sorgen, dass ein verwirrter Patient noch verwirrter wird", sagt die 45-Jährige. "Das sind ganz einfache Sachen, aber diese einfachen Sachen zu wissen, ist enorm wichtig!" Fachwissen sei hier das Schlüsselwort.

Manuela Holzinger hat ein solches Fachwissen. Seit mehr als 20 Jahren arbeitet sie nun schon im Pflegebereich. Zunächst jobbte sie neben ihrem Studium in einem Altenheim. Die Arbeit bereitete ihr Freude - ihr Studium nicht. Deshalb entschloss sie sich, mit dem Studium aufzuhören und stattdessen in der Altenpflege eine Ausbildung zu machen. Vor gut fünf Jahren wechselte sie dann von der Alten- in die Krankenpflege. Das hat einen Grund: Die anhaltenden gesetzlichen Pflegereformen betrafen unmittelbar die Altenpflege. Für Manuela Holzinger waren die veränderten Arbeitsbedingungen irgendwann nicht mehr tragbar, sagt sie. "Da kann man unmöglich mitgehen, wenn man seinen Job gerne macht." So sollte das Pflegegeld für immer mehr Patientengruppen reichen, etwa für demenziell Erkrankte, während gleichzeitig die Beiträge zur Pflegeversicherung nicht erhöht wurden.

Ihr Lieblingsbeispiel, mit dem sie die Auswirkungen der Reformen erklärt, ist das Wannenbad: Bei Pflegestufe 3 hatten die Pflegekräfte früher 17 bis 26 Minuten Zeit, um einen Heimbewohner zu baden. Nach einer Reform im Jahr 2009 wurden dafür pauschal nur noch 17 Minuten und eine Eingruppierung in Pflegegrad 2 veranschlagt - seit der Reform spricht man nicht mehr von Pflegestufen, sondern von Pflegegraden. Es konnte also sein, dass eine Person herabgestuft wurde und ihr damit seit 2009 zum einen weniger Pflegezeit zugestanden wird und sie zum anderen weniger Pflegegeld bekommt.

"Die Politik hat bei den Leuten Geld eingespart, die ohnehin schon im Pflegesystem waren. Dadurch hatte man dann genügend Geld, um Zulagen für andere Gruppen finanzieren zu können", vermutet Holzinger. Gleichzeitig wurde der Pflegeschlüssel gekürzt, sodass insgesamt weniger Pflegekräfte für dieselbe Arbeit notwendig waren. Die gelernte Altenpflegerin wollte keine Schraubstelle mehr in dem Kürzungssystem sein. Deshalb wechselte sie in die Krankenpflege. Ihre Hoffnung war, dass die Arbeitsbedingungen dort besser sind. Holzinger wurde nicht enttäuscht: Die körperliche Belastung ist ihrer Meinung nach in der Krankenpflege geringer, und auch das Spannungsfeld zwischen verfügbarer Arbeitszeit und Pflegeaufwand entzerrter. Trotzdem sieht die 45-Jährige auch in der Krankenpflege Schwächen. "Das Hauptproblem ist, dass niemand die Pflegekräfte fragt!" Selbst bei Kleinigkeiten.

Holzinger erinnert sich daran, als ihre Station Mikrowellen bekam. Eigentlich eine tolle Sache: Wenn Patienten zur Essenszeit in Untersuchungen waren, konnte die Mahlzeit später aufgewärmt werden. Leider war die Öffnung der Mikrowellen zu klein für die Teller, die auf der Station verwendet wurden. Klar, dass so etwas passiert, wenn niemand die Pflegekräfte in Entscheidungen mit einbezieht, glaubt Holzinger. "Über das, was wir tun und mit welchen Hilfsmitteln wir es tun, bestimmen Menschen, die keine Ahnung haben, was wir da eigentlich machen!"

Für Holzinger zieht sich dieses Prinzip, dass das Wissen der Pflegekräfte nicht ernst genommen wird, durch viele Bereiche. So trat 2017 ein neues Pflegeausbildungsgesetz in Kraft. "Das wäre eine Chance gewesen, den Beruf der Fachpflegekraft aufzuwerten", ist sich Holzinger sicher. Sie spricht davon, die Dauer der Berufsausbildung von drei auf vier Jahre anzuheben: Nicht mehr ein Jahr eine Grundausbildung mit dem Abschluss der Hilfspflegekraft, sondern zwei. Und für die Qualifizierung zu einer Fachpflegekraft würden danach zwei weitere Jahre folgen, in der man eine Fachrichtung wählt - beispielsweise Unfallchirurgie.

Holzinger glaubt, dass eine intensivere Ausbildung den Beruf attraktiver machen würde: Mehr Kompetenzen des Pflegepersonals bedeuten ein höheres Ansehen in der Gesellschaft. "In anderen Ländern funktioniert dieses System seit Jahrzehnten hervorragend", sagt Holzinger. Im Ausland übernehme das Pflegepersonal viele Dinge, die in Deutschland Ärzten und Ärztinnen vorbehalten seien, etwa im Bereich der Medikamentenausgabe. Aber der Gesetzgeber wollte das alles offenbar nicht, sagt Holzinger.

Nicht nur diese politische Entscheidung kann sie nicht nachvollziehen. So hat Deutschland keine Schwerarbeiterregelung, wie es zum Beispiel in Österreich der Fall ist. Dort erhalten Pflegekräfte unter bestimmten Bedingungen eine Schwerarbeitspension, und zwar vor dem gesetzlichen Rentenalter. "Mit Verlaub - Pflegekräfte müssen mehr an Gewicht heben als Stahlarbeiter", sagt Holzinger. Aber das registriere der Gesetzgeber nicht. Für die 45-Jährige ist auch das eine Folge davon, dass Menschen aus Nicht-Pflegeberufen über Pflegeberufe bestimmen.

Die schwere körperliche Belastung ist der Grund, weshalb sie in einigen Jahren ihre Arbeitszeiten verkürzen möchte. "Ich weiß, dass ich das so nicht bis zur Rente durchhalten kann" - und das obwohl die körperliche Anstrengung in der Krankenpflege geringer sei als in der Altenpflege. "Wenn ich aber mit 50 in Teilzeit gehe, dann habe ich 450 Euro weniger Rente pro Monat." Eine Alternative sieht Holzinger nicht. "Ich möchte nicht mit 55 in Rente gehen müssen, weil ich mich nicht mehr bewegen kann."

Die Pflegerin sieht aber nicht nur die Politik in der Pflicht. "Als allererstes müsste man eigentlich die Einstellung in den Köpfen der Pflegekräfte ändern." Was Holzinger damit meint, hat viel mit dem Ursprung der Pflegeberufe zu tun, damals, als sich noch Klosterschwestern um die Alten und Kranken kümmerten: Die Pflege war ein Akt der Nächstenliebe, sozusagen für Gottes Lohn, und keine Arbeit, für die man Geld bekam. Viele von Holzingers Kolleginnen und Kollegen hätten diese Einstellung auch heute noch.

Für die 45-Jährige ist das nicht mehr zeitgemäß. "Ich kann einem Patienten durchaus sagen, dass ich ihn heute leider nicht mehr in den Rollstuhl setzen kann, weil ich das an diesem Tag schon vier Mal gemacht habe und es ein fünftes Mal mein Rücken nicht mehr mitmacht." Das seien Grenzsetzungen, die die meisten Patienten auch verstünden, wenn man sie ihnen erklärt. "Aber man findet nur wenig Pflegekräfte, die das tatsächlich so machen."

Trotz allem: Manuela Holzinger liebt ihre Arbeit. Für sie überwiegt das positive Gefühl, das sie anhand vieler Beispiele umschreibt. Eines davon geht so: Vor einiger Zeit habe sie ein dreijähriges Kind gefragt, warum es nicht sehen könne, wie seiner Oma Engelsflügel wachsen - weil doch alle sagten, die Oma würde bald sterben. Holzinger erzählt, wie sie diesem Kind erklärte, dass man schließlich auch nicht sehen könne, wie Fingernägel oder Haare wachsen, und trotzdem tun sie es. Und damit die Engelsflügel genügend Platz zum Wachsen haben, hätten die Krankenhauskittel am Rücken extra eine Öffnung. Das Kind war zufrieden, die Eltern entlastet, das war gut. "Deswegen mache ich das."

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