Nach Lawinenunfällen:Nicht mehr ohne Piepser

Skigebiet Arlberg Lech Zürs St. Anton

Tiefschneefahren steht für Freiheit in der Natur. So schön es ist - wer nicht vorsichtig ist, riskiert Leben.

(Foto: Lech Zürs Tourismus/dpa-tmn)

Ein Jahr nach dem Tod eines 14-jährigen Vaterstetteners im Zillertal haben die Skiklubs im Landkreis neue Sicherheitsregeln eingeführt. Bei den einen ist Tiefschnee seither tabu, andere schreiben abseits der Piste eine bessere Ausrüstung vor.

Von Jan Schwenkenbecher und Korbinian Eisenberger

13 Menschen starben bei Lawinenunfällen in der Saison 2015/16 in Österreich, 18 in der Schweiz, einer in Deutschland, so die Bilanz des Deutschen Skiverbandes. Unter den Toten war ein 14-jähriger Vaterstettener, der auf den Tag genau vor einem Jahr mit einer Renngruppe des Wintersportvereins Glonn (WSV) im Tiroler Zillertal unterwegs war. Die Gruppe war von der Piste ab und auf einen unpräparierten Hang gefahren und hatte eine Lawine ausgelöst. Der 14-Jährige konnte erst nach 25 Minuten aus den Schneemassen geborgen werden. Im Sommer wurde der Trainer wegen grob fahrlässiger Tötung zu drei Monaten Haft auf Bewährung verurteilt.

Der Fall erlangte über den Landkreis Ebersberg hinaus Aufmerksamkeit, auch in Österreich und den Niederlanden wurde darüber in der Presse berichtet. Die SZ Ebersberg stellt die Fragen von damals nun noch einmal, 365 Tage danach, in denen sich vielleicht etwas getan hat. Wie der Unfall in den örtlichen Skivereinen thematisiert wurde, wie sich die Diskussionen auf den Trainings- und Rennalltag ausgewirkt haben. Und ob die Vereine ihre Sicherheitsvorkehrungen überdacht haben.

Beim WSV Glonn sitzen der Schock und die Trauer über das Geschehene noch immer tief, dort möchte man lieber nicht öffentlich über das Thema reden. Doch nicht nur in Glonn, auch bei den benachbarten Ebersberger Skivereinen löste der Unfall Betroffenheit aus. "Das war für alle ein Schock, das hat jeder mitbekommen", sagt Karin Stammel, Vorstandsmitglied des TSV Vaterstetten.

Höheres Risiko für Vereinstrainer

Bei folgenschweren Skiunfällen entscheiden fast immer Gerichte, wer Schuld war. Skivereine haben dabei mitunter ein höheres Risiko, weil es für sie keine Vorschriften gibt - anders als für Lehrer an Schulen oder Führer des Deutschen Alpenvereins (DAV). Die Landessportverbände empfehlen Vereinen zwar ausschließlich ausgebildete Übungsleiter. "Dennoch liegt es im Ermessen des Klubvorstands, ob die Qualifikation des Trainers ausreicht oder nicht", sagt Andreas König, Sicherheitsexperte des Deutschen Skiverbandes. Nahezu alle Vereine achten zwar darauf, dass ihre Trainer eine Risikomanagementausbildung haben, so König. Weil im Skiklub jedoch fortgeschrittene Skifahrer trainiert werden, herrscht bisweilen mehr Risikobereitschaft. "Dann fährt man eben auch mal abseits der gesicherten Pisten", sagt König.

Kommt es auf markierten Skipisten zum Unfall, trägt der Liftbetreiber und/oder der Verursacher die Verantwortung. Sobald eine Skigruppe die Piste verlässt, steht der Übungsleiter in der Verantwortung. Nach der Lawinenfahrt der Glonner Renngruppe wurde deshalb der Trainer verurteilt. Ihm wurde besonders zur Last gelegt, dass er die Tiefschneefahrt trotz hoher Warnstufe zuließ. Anbieter kommerzieller Skikurse schützen sich, in dem sie auf Fahrten im freien Gelände verzichten. Sportlehrer auf Skilager-Ausflügen werden von ihren Schulen ebenso dazu angehalten. Skischulen bilden ihre Skilehrer meist selbst aus, Sportlehrer müssen für Skitage eine Zusatzausbildung vom Ministerium machen. Der DAV bildet seine Tourenführer nach eigenen Kriterien aus, die aber sehr streng sind. Die 15 Skitourenführer der DAV-Sektion Ebersberg-Grafing haben entweder eine Bergführer-Komplett-Ausbildung oder die Prüfungen des DAV abgelegt. "Unsere Trainer müssen alle zwei Jahre eine Fortbildung machen", sagt Sektions-Chef Georg Haas. Sonst verfällt die Lizenz. koei

Der Unfall sei in einer Versammlung besprochen worden, man habe mit den Eltern geredet. Es gab eine klare Order an die Skitrainer, mit den Kindern nicht mehr ins Gelände zu fahren. Das Training finde nur noch auf gesicherten Pisten statt. "Das Bewusstsein ist mit Sicherheit geschärft worden", sagt Stammel. Sie betont allerdings, dass beim TSV Vaterstetten jüngere Kinder trainiert werden, keine Jugend-Teams wie in Glonn.

Tiefschneefahren gehört weiterhin zum Training

Solch ein Renn-Team gibt es dafür beim SC Falkenberg, auch dort wurde der Unfall besprochen. "Die Rennmannschaften dürfen bei uns jetzt nur noch ins Gelände, wenn sie die entsprechende Ausrüstung dabei haben", sagt Silvia Schmidt, die für die Skikurse beim SC zuständig ist. Der Piepser (das Lawinenverschütteten-Suchgerät), Schaufel und Sonde müssen immer dabei sein.

Da Tiefschneefahren ein wichtiger Teil des Trainings sei, gebe es jetzt spezielle Tage dafür. So müssen die Fahrer die Ausrüstung nicht mitschleppen, wenn sie nur auf der Piste üben. An den Tiefschnee-Tagen übernehmen speziell ausgebildete Skitourenleiter das Training, davon gibt es zwei im Verein. Voriges Jahr wurde zudem ein eigener Tiefschnee-Kurs eingeführt.

Bei den Naturfreunden Assling werden keine Rennfahrer ausgebildet, dort bieten sie Skikurse für Anfänger an. Doch auch hier "war der Unfall absolut Thema", wie Vorstand Raimund Malcher sagt. "Wir schauen, dass wir keine Touren abseits der Piste machen." Wolle ein Lehrer mit einem Kurs ins freie Gelände fahren, so Malcher, müsse er das mit dem Verein absprechen.

Strenge Regeln beim Alpenverein

Noch strenger sind die Regeln beim Deutschen Alpenverein. Auf DAV-Skitouren darf nur mitkommen, wer eine vollständige Lawinenausrüstung dabei hat und weiß, wie man sie einsetzt. Der Unfall vor einem Jahr hat bei Sektionschef Georg Haas aus Glonn Erinnerungen an ein Lawinenunglück vor 20 Jahren geweckt, als zwei junge Männer nahe der Weidener Hütte in den Tuxer Alpen verunglückten. "Wir haben die beiden erst ein halbes Jahr später gefunden", sagt der 59-Jährige. Zwei mal, sagt Haas, habe er Tourengeher lebendig ausgebuddelt. "Am besten ist es aber, wenn man die Schaufel nie braucht".

Für Andreas König, Sicherheitsexperte vom Deutschen Skiverband, ist die richtige Ausrüstung ein Muss. Skitrainer würden mit ihren Gruppen auch in Zukunft das eine oder andere Mal abseits fahren. "Das gehört zum richtigen Skifahren dazu", sagt König. "Fährt man aber weiter als drei Meter abseits der Piste, sollte man in jedem Fall Piepser, Schaufel und Sonde dabei haben und wissen, wie man die Ausrüstung benutzt", sagt er.

Auch wegen des Vorfalls im Zillertal habe sich das Bewusstsein in der Region gewandelt. "Jeder ist erschrocken und hoffentlich langfristig sensibilisiert", so König. Er ist sich sicher, dass Trainer jetzt einmal mehr überlegen, ob sie von der Piste abfahren oder lieber nicht.

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