Musik:Unter die Haut

Jazz im Turm - Karl Ratzer

Fabelhaft und fulminant: Gitarrist Karl Ratzer, Bassist Peter Herbert und Schlagzeuger Howard Curtis bei Jazz im Turm in Grafing.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Der Wiener Gitarrist Karl Ratzer präsentiert mit seinem Trio außergewöhnlichen Jazz in Grafing

Von Claus Regnault, Grafing

Auch im Jazz gibt es viel Alltag; das Außergewöhnliche ist selten. Was Liebhaber dieser Musik jedoch am vergangenen Samstag bei Jazz im Turm in Grafing mit dem Trio des Wieners Karl Ratzer erleben durften, war ein außergewöhnliches Ereignis.

Karl Ratzer ist Sohn von Roma-Eltern, die die Hölle von Auschwitz überlebt haben. Nach einer internationalen Karriere, die ihm vor allem mit Größen des amerikanischen Jazz, darunter Chet Baker, zusammenbrachte, ist er, inzwischen in seinen Fünfundsechzigern, eher ein Geheimtipp, ein "musician's musician", der in Kennerkreisen als Gitarrist von hoher Qualität anerkannt ist. Zum Instrument gesellt er mittlerweile seine Gesangsstimme von ganz persönlichem Tonfall, so dass es das Publikum hier mit einem Doppeltalent zu tun hat. Zur Stimme: Eine fast kindliche Kopfstimme auf der Suche nach Halt und Ton, den sie erst im Verlauf des Abends findet, beginnend im ersten Set mit der ergreifenden Ballade "Nature Boy", berühmt geworden durch Nat King Cole, und in der Folge Präsenz und Intonationssicherheit im zweiten Set gewinnend. Zu seinem Gitarrenspiel: Von einer klaren Linearität, deutlich und sicher phrasierend mit gesanghaftem Ton, ohne die gitarrenüblichen virtuosen Mätzchen.

Das Programm der an diesem Abend präsentierten neuen Ratzer-CD "My time" besteht mit Ausnahme des ersten, rein instrumentalen Stücks aus Balladen. Hier werden bekannte Evergreens wie "Someone To Watch Over Me" oder "Love Is A Many Splendored Thing" im Wechselspiel zwischen Gesang und den Gesang fortsetzender Gitarrenimprovisation gestaltet. Da wird man an vergleichbare Größen des Jazz erinnert, so an die melancholische Stimme Chet Bakers und die "zeitlose" (so die Charakterisierung in Joachim-Ernst Berendts "Das Jazzbuch"), im besten Sinne gelassene Gitarrenspielweise von Jim Hall.

Ratzer hatte dabei zwei fabelhafte Mitspieler, den "Gesangsartisten" am Bass Peter Herbert und den gleichfalls hervorragenden Schlagzeuger Howard Curtis, letzterer Professor an der Kunstuniversität Graz. Sie traten in zwei reinen Instrumentalstücken des Konzerts aus ihrer Begleiterrolle zu fulminanten Mitrednern hervor, Herbert in einem fast wie komponiert wirkenden Intro zu "Footprints" von Wayne Shorter und Curtis in "Blues on the corner" von Mc Coy Tyner. Geradezu überwältigend zeigte letzterer hier seine Fähigkeit als "Klangteppichhändler", der in einem langen Solo ständig wechselnde rhythmische und klangliche Muster präsentierte.

Aber zurück zum Meister: Gerade in diesen beiden instrumentalen Stücken bewies Karl Ratzer seinen Improvisationsreichtum in über mehrere Chorusse sich entfaltenden Phrasen von einer Eindringlichkeit der Musiksprache, die unter die Haut ging. Als der zunehmend begeisterte Beifall im Grafinger Turm zuletzt in Jubel aufrauschte, strahlte Ratzer über das ganze Gesicht wie ein beschenktes Kind, das im doppelten Wortsinn "große" Kind Karl Ratzer. Da zeigte er sich als ein einmaliges Phänomen im Jazz - in seiner Mischung aus kraftvoller Bluessicherheit und Wiener Sentiment.

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