Moosburg:Dieser Mann verteilt Gratis-Döner an Bedürftige

Moosburg: Fünf bis zehn Döner gibt Murat Dinsel am Tag heraus, ohne dafür Geld zu verlangen. Das kommt den Markt Schwabener zwar nicht ganz billig, dafür lässt sich seine Großzügigkeit umso besser verkaufen.

Fünf bis zehn Döner gibt Murat Dinsel am Tag heraus, ohne dafür Geld zu verlangen. Das kommt den Markt Schwabener zwar nicht ganz billig, dafür lässt sich seine Großzügigkeit umso besser verkaufen.

(Foto: Marco Einfeldt)
  • Murat Dinsel betreibt einen Dönerstand am Bahnhof in Moosburg im Landkreis Freising. Kann jemand die vier Euro nicht bezahlen, gibt es den Döner gratis.
  • Die Kunden nutzten das Angebot nicht aus, sagt Dinsel. Andere gäben dafür auch mal mehr.
  • Dönerbuden mit Schenkprogrammen gibt es in Deutschland immer häufiger.

Von Korbinian Eisenberger, Markt Schwaben/Moosburg

Der Günther kommt immer gegen elf. Er verlässt seine Baracke und geht die Straße runter zu der schwarzen Bude mit der gelben Schrift. In der Bude kennen sie seinen Namen, in der Bude grüßt ihn jemand, in der Bude braucht man dafür kein Geld. "Servus Günther, magst an Tee? Hast Hunger?", heißt es dann. Meistens bleibt Günther am Stehtisch stehen, manchmal auch länger, ohne Zwiebeln bitte. "Gut war's, dank dir recht herzlich", sagt er dann meistens, ein letzter Schluck vom Tee. Irgendwann, sagt Günther, Wintermantel, Bart, irgendwann ist er wieder flüssig. Dann stapft Günther weiter Richtung Bahnhof. Zu den Müllkörben, Flaschen sammeln.

Ein Januartag im Landkreis Freising, Murat Dinsel hat seine Imbissbude um zehn aufgesperrt. Wo der Markt Schwabener steht, sieht er Menschen ein- und aussteigen, und manchmal sieht er dem Elend ins Auge. Von Dinsels Theke schaut man direkt auf den Bahnhof der Stadt Moosburg an der Isar, ein Bahnhof wie Hunderte andere in Oberbayern. Mittags kommen die Kinder aus der Schule, abends die Pendler aus München, und zwischendrin tauchen Leute wie Günther auf. Ein Mann um die 50, Job weg, Frau weg, Wohnung weg. Dinsel, Kapuzenpulli, Kurzhaarschnitt, schaut ihm noch nach, dann faltet er Fladenbrote auf. Mit oder ohne scharf? Knoblauch oder Kräutersoße? Ein kurzer Blick in die Augen. "Meistens sehe ich gleich, ob jemand zahlen kann oder nicht", sagt er. Manchmal sagt er dann nur noch: Passt so, an Guadn.

Eigentlich ist Dinsels Stand eine stinknormale Imbissbude. In der rechten Ecke dreht sich ein Fleischspieß. Und in der linken Ecke hängt ein Preisschild, vier Euro kostet der Döner. Wenn man aber vorne an der Auslage steht, wo man sich eine Spezialsoße aussuchen kann, dann schaut man nicht auf eine Preisliste, sondern auf einen Zettel mit einem kurzen Text: "Wenn Sie mal nicht bezahlen können, dann ist das auch nicht schlimm", steht da. Wer sich das Geld für einen Döner nicht leisten kann, der bekommt ihn bei Murat Dinsel umsonst.

Das Gratis-Schild hängt auch vier Monate nach der Eröffnung noch in der Auslage. Ja, sagt er, ihm ist das völlig ernst. Am Stehtisch haben die Leute Hunger, drei Handwerker aus dem Ort lassen sich gerade ihren Dürüm schmecken, sie kommen öfter her, sie haben ihre Bestellung bezahlt, den Tee gibt's wie immer gratis. "Es ist nicht so, dass die Leute das Angebot ausnutzen." Und wenn doch, sagt er, "dann erkläre ich demjenigen schon, dass er seinen BMW nicht direkt neben dem Stand hätte parken dürfen".

Murat Dinsel ist Quereinsteiger in der Imbissbranche. Der 44-Jährige hat Schlosser gelernt, dann 20 Jahre als Objektschützer und Türsteher gearbeitet, zuletzt seit längerem für ein Möbelhaus in der Region. Die Fotos, auf denen er in Security-Kluft zu sehen ist, hat er noch auf dem Handy. "In dem Job bekommt man einen Blick für Menschen", sagt er, ob jemand ehrlich ist oder einem was vormacht. Im Herbst 2016 hörte er als Objektschützer auf, kaufte sich im Internet einen Imbisswagen und machte einen Neuanfang als Dönermann; nicht in seinem Heimatort Markt Schwaben, sondern in der Stadt, wo seine Frau als Friseurin arbeitet. Zur Eröffnung seiner Imbissbude postete er das Gratis-Angebot gleich auf Facebook.

Murat Dinsel sagt, es gehe ihm vor allem darum, dass niemand hungern muss. Manchmal seien es fünf Gratis-Döner am Tag, manchmal zehn, 20 bis 40 Euro täglich, kein Pappenstiel. "Manche geben mir dafür auch mal mehr", sagt er.

Spendabel sein ist eine teure Angelegenheit. Es lässt sich aber auch gut verkaufen, vor allem seit es soziale Netzwerke gibt. Der 44-Jährige zeigt auf die Budenwand, drei Zeitungsartikel hängen da, alle mit Foto, hinten der Dönerstand, vorne grinst Murat Dinsel. Ein Radio-Reporter kam undercover vorbei und machte für seine Show den Gratis-Döner-Test, den hat der Markt Schwabener bestanden. Seit seine Geschichte durch die Medien ging, läuft auch sein Laden, ein Spieß am Tag, meistens ist am Nachmittag alles verkauft - oder eben verschenkt.

Warme Worte und warme Fladenbrötchen, das passt anscheinend gut zusammen. Dinsel ist jedenfalls bei weitem nicht der einzige, der mit seinem Dönerladen in der Zeitung steht. Aus allen Regionen der Republik melden Lokalblätter seit zwei drei Jahren Geschichten von warmherzigen Dönerverkäufern, die ihren Kunden etwas spendieren. Einer der ersten war Hüseyin Yusuf aus Bestwig in Nordrhein-Westfalen. Er hatte im Frühjahr 2014 mit Gratis-Döner für Arme über Facebook geworben, am Ende berichteten große Fernsehsender und Zeitungen über ihn - Stern, Welt, Bild. In Baden-Württemberg ging die Geschichte eines Mannes durch die Lokalpresse, der am Marktplatz von St. Georgen Weihnachts-Döner an Arme verschenkte. Und in Nürnberg machte kürzlich ein türkisches Restaurant von sich reden, wo Obdachlose bei Minusgraden kostenlos Kebab bekommen. Das Internet ist voll mit solchen Geschichten.

Immer mehr Wirte verzichten auch mal auf die Rechnung

Warum ausgerechnet Dönerverkäufer? Murat Dinsel erzählt von der Türkei, wo er als Kind sechs Jahre lebte. Die Gastfreundschaft der Türken, sagt er, die sei bei ihm hängen geblieben. "In Istanbul wird man aus einem Lokal nicht weggeschickt, ohne dass man zumindest einen Tee getrunken hat", sagt er. Vielleicht hat die türkische Kultur mit all dem zu tun, vielleicht aber nicht nur. 50 Kilometer weiter südlich, in Dinsels Heimat-Landkreis, verschenkt ein polnischer Hendl-Verkäufer Essen auf dem Ebersberger Wochenmarkt, er gibt Flüchtlingen gebratene Ripperl aus. Ein paar hundert Meter weiter betreibt ein Afghane den Bahnhofs-Imbiss, auch er verlangt nicht von jedem Kunden Geld. Und es gibt Wirtshäuser, die Flüchtlingen Essen spenden, Metzgereien und Bauernhöfe, die Obdachlosen was spendieren, nur, dass darüber seltener geschrieben wird.

"Es ist eben für die Leute was anderes, wenn ein Ein-Mann-Betrieb was verschenkt", sagt Dinsel. Es gibt Studien und Untersuchungen, die belegen, dass jene, die selbst nicht so viel haben, spendabler sind. Und es gibt Leute, die auf solche Erhebungen pfeifen, dazu zählt Dinsel. Er hat ein Zuhause, in Markt Schwaben, mit seiner Frau und den beiden Töchtern, und andere haben das nicht. "Es gibt Leute, die es richtig schwer haben", sagt er. "Auch hier im Münchner Speckgürtel." Obdachlose, Leute, die nicht klar kommen im Leben, warum auch immer.

Der Familienvater aus Markt Schwaben sucht gerade selbst nach einer Wohnung, in Moosburg, das wäre näher am Friseursalon seiner Frau und näher an seiner Imbissbude. Fast ein Luxusproblem, hier, hinterm Bahnhof, wo in einem Moment die Schulkinder lachend vorbei rennen, und im anderen Moment Günther seine Kapuze hebt. Günther rennt nicht, das geht schlecht, er hat meistens eine Plastiktüte mit Pfandflaschen dabei. Günther schaut oft ernst, aber manchmal, wenn er vor der Bude steht, da lacht er auch.

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