Moosach:Willkommen oder Wut

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Gäste in der Küche: In die Diskussion um die Flüchtlingskrise mischen sich Ängste und Vorurteile, es entsteht aber auch ein entspanntes Miteinander. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Das Stück "Reste von Gestern" im Meta Theater thematisiert Ängste und Vorurteile zur Flüchtlingskrise

Von Peter Kees, Moosach

Eigentlich hätte ganz Moosach ins Meta Theater gehört. Denn dort wurde eine "Hör-Spiel-Performance" zum Thema Flüchtlingskrise und Alltagsrassismus aufgeführt. In Moosach immerhin steht ein Bürgerentscheid an, in dem darüber abgestimmt werden soll, ob Asylbewerber in der Gemeinde zukünftig zentral oder dezentral untergebracht werden sollen. Die Sorgen, Ängste, Befürchtungen, Vorurteile und Sichtweisen um die Flüchtlingskrise und den damit verbundenen Problemen wurden in dem Kammerspiel "Reste von gestern" wunderbar aufgegriffen. Es zeigte sich: Man urteilt schnell, obwohl man viel zu wenig weiß.

Das Publikum sitzt nicht im Theaterraum, sondern im Flur des Hauses mit Blick in die Küche. Als sich die Haustüre nochmals öffnet, meint man, eine zu spät kommende Zuschauerin trete ein. Diese spricht die anwesenden Gäste an. Sie ist Schauspielerin und erzählt die Geschichte einer Frau, die nach Hause kommt und die in ihrer eigenen Wohnung fremde Menschen vorfindet. . .

Burchard Dabinnus (Konzept und Regie) ist mit diesem wunderbaren Entrée ein genialer Einstieg in einen sehr brisanten Theaterabend gelungen. Das Thema "Fremd" ist auf dem Tisch. Und damit Klischees, Zitate aus Vergangenheit und Gegenwart, Kants Definition von Hospitalität genauso wie Himmlers Rassentheorie. Doch mit dem Privaten spielt der Abend auch, findet die Performance doch komplett in einer Küche statt.

Die Frau (überzeugend: Katja Amberger) scheint überfordert. Wie nun mit den Fremden in ihrer Wohnung umgehen? Soll sie ihr Essen teilen? Jedem etwas abgeben von der "Unser-Land-Gurke"? Gerecht teilen oder lieber nur einige teilhaben, dafür die anderen hungern lassen? Sie hält der Gesellschaft den Spiegel vor: Sind nun gerade Willkommenskultur und Hilfsbereitschaft oder Wut und Hass angesagt?

Aus einem Radio, aus dem schon vor der Vorstellung Musik aus den Dreißigern ertönt, hört man bald Fragmente verschiedener Programme: Da wird von einem brennenden Asylantenheim berichtet, dort moderieren zwei eine Sendung mit Spendenaufrufen für Flüchtlinge. "Spenden Sie mehr", heißt es da, als Belohnung würden unter den Spendern Kreuzfahrten verlost. "Entspannung vor Orient und Afrika". Welten stoßen aufeinander. Und hinter all dem steht die Frage: "Wie wollen wir leben?"

Was als Monolog beginnt, mit dem Auftritt eines Mannes (Arno Friedrich) aus dem Publikum zum Zwei-Personen-Stück mutiert, wird bald ein komplexer Theaterabend samt hörspielartigen Toneinspielungen (von den Schauspielern Isabel Kott und Helmut Danner aus einem unsichtbaren Tonstudio live, mitunter sogar interaktiv produziert). Auch dieses Szenario wird sich auflösen, die Unsichtbaren sind bald auch auf der Bühne zu erleben.

Was ist Meinung? Wie wird sie gebildet? Die Flüchtlingskrise wird durchdekliniert: Sagt man schwarzer Mensch, farbiger Mensch, Subsahara-Mensch oder Nordafrikaner? Ist ein Bart ein typisches Merkmal für Salafisten? Sind Frauen Freiwild? Sind IS-Kämpfer als Flüchtlinge getarnt? Natürlich, auch das "Germanentum" als Paradies nordischer Sachlichkeit kommt zur Sprache, die Flucht der eigenen Großeltern nach dem Zweiten Weltkrieg aus dem Osten. Sehnen sich Menschen nach jemandem, dem sie folgen können? Stirbt Deutschland aus? Man ist betroffen und fühlt sich ertappt. Ja, es geht um Angst. Ob NSU, NSA oder NASA, IS oder Terroranschläge - Angst macht Angst.

Da hat die Protagonistin noch eben auf einer Geige Melodien der deutschen Hochkultur gespielt, auch das Gedicht "In der Fremde" von Theodor Storm vorgetragen, schon löst sich alles mit dem Auftritt zweier syrischer Musiker auf. Da war von Terrorwarnung in Moosach die Rede, nun sitzen Ehab Abou Fakhir und Aathar Kmach - zwei Flüchtlinge aus Syrien - friedlich und poetisch an der Viola und dem Oud, einer arabischen Laute, und musizieren berührend und hoch professionell arabische Lieder. Lyrisch klingt das, zauberhaft. Die Sängerin Wadeea Zerbly kommt hinzu. Auf einmal verblasst alle Dramatik. Burchard Dabinnus hat mit diesem Kammertheater eine eindringliche Performance geschaffen, die im allerbesten Sinne gesellschaftsrelevant und politisch ist.

© SZ vom 02.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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