Moosach:Tanz der Nervenzellen

Szenefoto aus der Produktion Musicophilia des Meta Theaters Moosach

Licht und Videoinstallationen sowie das Bühnenbild spielen für die sinnliche Wahrnehmung der Performance "Musicophilia" eine wichtige Rolle.

(Foto: Regine Heiland)

Die international erfolgreiche und preisgekrönte Performance "Musicophilia" des Meta Theaters Moosach wird nächste Woche dreimal in München aufgeführt. Dieses Mal angereichert mit Vorträgen namhafter Neurologen

Von Rita Baedeker, Moosach

Es ist eine wundersame Reise durch die Tiefen des menschlichen Gehirns, die da vor ein paar Jahren von Moosach aus durch die halbe Welt ging. Eine Reise in eine unbekannte Welt voller rätselhafter, aufwühlender Phänomene. Axel Tangerding, Leiter des Meta Theaters Moosach, und ein Team von Musikern und Schauspielern, haben vor ein paar Jahren Erkenntnisse im Buch "Der einarmige Pianist" (Original: "Musicophilia") des mittlerweile verstorbenen Neurologen und Schriftstellers Oliver Sacks in Farben, Klänge und Choreografien übersetzt und erfahrbar gemacht. Sacks hat die Entstehung des ebenso faszinierenden wie verstörenden Stücks noch begleitet.

Uraufführung war 2012 in der Reaktorhalle in München. Seither wurde die Performance in Deutschland, der Ukraine, in China, den USA, Kanada und Finnland gezeigt. Musicophilia hat den "International Music Theatre Now Award" erhalten, unter 450 Teilnehmern aus 54 Ländern. Und nun erlebt das Stück in München seine Wiederaufführung - von 4. bis 6. Februar im Schwere Reiter, dieses Mal mit wissenschaftlichem Vorprogramm. Am ersten Abend befasst sich Daniela Sammler, Neuropsychologin am Max-Planck-Institut (MPI) für Kognitions- und Neurowissenschaften Leipzig, unter anderem mit den - für unser Gehirn - fließenden Grenzen zwischen Musik und Sprache, denen sich die Neurowissenschaft seit zwanzig Jahren intensiv widmet.

Musik stärkt Körper und Geist, sagen Wissenschaftler

Thomas Fritz, der Biologie und Kunst studiert hat und wissenschaftlicher Mitarbeiter an besagtem Leipziger Institut ist, referiert über den positiven Einfluss von Musik auf den Menschen. Musik mache nicht nur das Leben irgendwie schöner, sondern unterstütze das Gehirn etwa auch bei der Rehabilitation nach einem Schlaganfall.

Den letzten Vortrag hält Arno Villringer, Mediziner und Neurologe, Klinikdirektor am MPI Leipzig, Leiter des Kompetenzzentrums Schlaganfall und Gründer der Exzellenzinitiative "Berlin School of Mind and Brain". Er wird der Frage auf den Grund gehen, warum es überhaupt Musik gibt, ob sie sich im Laufe der Evolution als nützlich erwiesen hat oder vielleicht "bloß" eine Begleiterscheinung etwa der Sprache ist. Musik, so Villringer, gebe es überall auf der Welt und könne starke Emotionen auslösen. "Wir wissen, dass die Wahrnehmung von Musik mit bestimmten Hirnstrukturen eng verbunden ist und dass deswegen Störungen der Hirnfunktion mit einer Veränderung des Musik-Erlebens einhergehen können", schreibt Villringer.

Fälle, wie er sie im klinischen Alltag erlebt, hat auch Sacks in seinem Buch episodenhaft beschrieben. Der Titel des Buches bezieht sich auf den Pianisten Paul Wittgenstein, Bruder des Philosophen Ludwig Wittgenstein. Nachdem er seine rechte Hand eingebüßt hatte, spielte der Künstler nur noch mit einer Hand, spürte aber die verlorene Hand so intensiv, dass er fähig war, Fingersätze zu erarbeiten.

Es ist, als agiere das Gehirn willkürlich an unserem Verstand vorbei als Wesen in einem eigenen Universum, in einer Welt, in der es Phänomene wie Tinnitus, Demenz, Amnesie, absolutes Gehör und Synästhesie gibt - letzteres bedeutet, dass auf einen Reiz, etwa einen Ton oder eine Farbe, mehrere Sinnesorgane reagieren. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn ein Patient jeden Ton, den er hört, als Geschmack erlebt. Eine Studentin etwa, so einer der Fälle, kann eine Vorlesung Wort für Wort nachsingen. Auch an Alzheimer erkrankte Menschen reagieren auf Musik sehr speziell: Eine Patientin von Sacks etwa unterbrach ihr unaufhörliches Wehklagen immer dann, wenn der Pfleger anfing zu singen. . .

Klänge und Bilder sollen "verrückte Sinne" simulieren

Regisseur Axel Tangerding hatte die Idee zu der Produktion, der Autor und Bachmann-Preisträger Norbert Niemann schrieb die Bühnenfassung. Steffen Wick komponierte die Musik. Entstanden ist ein Bilderbogen und Klangraum, in dem vier Akteure mit den Mitteln von Licht, Klang und Bewegung die von Sacks beschriebenen Phänomene in Momentaufnahmen, in poetische Scans übersetzen, ohne dramaturgisches Korsett. Die Klänge und Bilder lassen spüren, was es bedeutet, wenn die Sinne scheinbar verrückt spielen, wenn die Nervenzellen nach einer unbekannten Choreografie zu tanzen beginnen, man C-Dur als Farbe wahrnimmt und bei jeder Melodie, die erklingt, immer nur die Marseillaise hört. Die Videoprojektionen und Elektronikeffekte von Stefano di Buduo und Simon Detel bilden neben der live gespielten Musik der Geigerin Gertrud Schilde und des Cellisten Mathias Beyer-Karlshoj, beide Mitglied des Henschel-Quartetts, eine zweite Klang- und Bildsprache. Sängerin und Performerin Cornelia Melián setzt ihre ungemein wandlungsfähige Stimme ein. Zusammen mit dem Schauspieler Peter Pruchniewitz treten die Darsteller in wechselnden Rollen auf. Das Bühnenbild von Marc Thurow besteht aus verschieden großen weißen Tuben aus Stahl und Folie - Sinnbilder der jeweiligen "Fälle". Die transparenten Tuben sind so gebaut, dass sie gleichzeitig Schau- und Schutzraum bieten und Türen öffnen in den Kosmos musikalischen Erlebens.

Die Aufführungen im Schwere Reiter in der Dachauer Straße 114 finden von Donnerstag bis Samstag, 4. bis 6. Februar, statt. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften, Leipzig und der "Berlin School of Mind and Brain" halten jeweils um 19 Uhr einen Vortrag. Am Donnerstag, 4. Februar, referiert Daniela Sammler über das Thema "Hier spricht die Musik"; am Freitag, 5. Februar, spricht Thomas Fritz über den "positiven Einfluss von Musik auf den Menschen"; und am Samstag, 6. Februar, wird der Berliner Neurologieprofessor Arno Villringer einen Vortrag halten zum Thema "Musik und Gehirn". Beginn ist jeweils um 19 Uhr, Beginn der Aufführung ist jeweils um 20 Uhr. Der Eintritt zu den Vorlesungen ist frei. Karten zu 24, ermäßigt 18 Euro, gibt es unter Telefon (089) 21 89 82 26, unter reservierung@schwerereiter.de und an der Abendkasse.

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