Moosach:Im Kleid der Klischees

Moosach: Gaston in einer neuen Rolle: Noch Mann, aber schon geschminkt, wird er im Laufe des Abends zur Französin Jaqueline.

Gaston in einer neuen Rolle: Noch Mann, aber schon geschminkt, wird er im Laufe des Abends zur Französin Jaqueline.

(Foto: Christian Endt)

Der Zauberer Gaston versucht sich auf neuem Terrain und verwandelt sich in einer Performance im Metatheater in eine Frau

Von Anna Weininger, Moosach

Wenn Gaston als Zauberer auf der Bühne Dinge verschwinden und wieder auftauchen lässt, dann blickt das Publikum gespannt auf jede seiner Handbewegung. Versucht jede Geste, jede Bewegung zu verstehen, um versteckte Trick zu entziffern. Doch den wenigsten gelingt es. Am Samstag ist das anders. In der Premiere-Vorstellung "Mann spricht Frau", die der Brucker Schauspieler und Zauberer am Samstag im Metatheater Moosach erstmals auf die Bühne brachte, zauberte der Magier mal nicht im klassischen Sinne, sondern verführte die Zuschauer in einen Prozess der Geschlechtsverwandlung mit ganz offensichtlichen Tricks.

"Ich bin glücklich verheiratet, seit vielen Jahren", betont Gaston zu Beginn seines szenischen Vortrags, als wolle er das Publikum gleich vorab von dem Verdacht entlasten, er habe sich tatsächlich für eine weibliche Identität entschieden. Damit ist eines von vorneherein klar: Sein Rollentausch ist reine Theaterperformance. Wie wird man eigentlich zur Frau? Um das zu verstehen, braucht es mehr als nur schauspielerisches Geschick. Im Grunde ist dazu erst mal eine Bewegungsanalyse notwendig. Und genau das führt Gaston in der ersten Lektion seines Vortrags vor Augen. Er zeigt, wie einfache Bewegungsmuster und Haltungen die Stimmung, das Denken und die Wahrnehmung beeinflussen. Wenn er also einige Minuten in einer männlichen Power-Pose verweilt, seine Füße überkreuz auf den Tisch legt und sich mit verschränkten Armen hinter dem Kopf protzig im Bürostuhl zurücklehnt, dann steigere das nachweislich den Testosteronspiegel und damit auch das Ego, so Gaston.

Der Magier hat viel Zeit verbracht, um unterschiedliche Bewegungsmuster von Frauen und Männern zu beobachten und zu decodieren. Dabei stieß er immer wieder auf Klischees, so erzählt er in seinem Vortrag. "Männer neigen dazu, Gegenstände voll in die Hand zu nehmen", behauptet er und demonstriert das mit einem Glas. "Frauen hingegen halten Gegenstände gerne mit etwas Abstand zum Objekt." Mit gespreizten Fingern hebt Gaston nun elegant das Glas in die Höhe.

Doch Beobachten alleine reicht nicht aus, um die Authentizität der Weiblichkeit zu verstehen, stellt Gaston fest. Also schlüpft er seit mehr als einem Jahr immer wieder in die weibliche Rolle der "Jaqueline" - beruflich, aber auch privat. Und so wird Gaston auf offener Bühne zu Jaqueline, begleitet von einer jazzig-angehauchten "Temptation"-Interpretation (Original von Tom Waits). Langsam und mit zunehmend lasziven Blicken ins Publikum streift Gaston seine Männlichkeit ab, schlüpft grazil in Schmuck und Highheels. Elegant löst er sich die Hose vom Leib und findet sich wieder in einer wandelnden Klischeefigur aus Frankreich . Blonde Locken, weiter Augenaufschlag. Ihre Gestik wirkt leicht, die Bewegungen rund. Tricks, die sehr authentisch ankommen. Jaqueline erzählt in französischem Akzent verführerisch und in selbstbewusster Haltung von ihren Erfahrungen als Mittvierzigerin. Oft hatte sie Gaston auf Firmenfeiern geschickt, dort hat sie gezaubert und männliche Ingenieure umgarnt. Verführerisch dreht sie an ihrem mit Glitzersteinchen bestickten Ring, während sie redet. Jaqueline stellt sich immer wieder die Frage "Was darf ich mit den Männern machen?". Wie weit darf sie mit ihren weiblichen Reizen gehen? Und ab wann wird es unangenehm für den Mann, weil er immer noch im Hinterkopf hat "Spinnst du, das ist ein Mann."? Sie testet die Grenzen wieder und wieder aus. Doch überschritten wird diese Grenze nicht. Immer wieder holt sie die Zuschauer zurück in die Realität, indem sie auf die Irritation hinweist. Damit spielt Jaqueline zwar mit einem Thema, das über Jahre hinweg tabuisiert wurde. Eine wirkliche Emanzipation findet aber dennoch nicht statt. Es bleibt bei Klischees im Kleid der Theaterperformance.

Eines ist Gaston alias Jaqueline während des Rollentauschs bewusst geworden: Die Genderdebatte und die Diskussion um sexuelle Übergriffe, die der Zauberer vor seinem Rollentausch noch etwas belächelt hatte, erscheint ihm nun viel berechtigter. In seiner Rolle als Jaqueline spürte er immer wieder auch unangenehme Blicke oder Kommentare. "San ma jetzt aufm Strich oder was?" hat ihr mal ein belederhoster MVV-Gast in Grafing-Bahnhof ins Gesicht gelallt, als Jaqueline nach einer Betriebsfeier lediglich auf einen Abholdienst wartete. Das hat Jaqueline und damit Gaston sehr getroffen.

Was bleibt dem Zuschauer am Ende der Performance, nachdem sich Jaqueline wieder in einen Mann zurückverwandelt hat? In jedem Fall ein authentischer Einblick, wie es sich wohl anfühlt, in die Rolle eines anderen Geschlechts zu schlüpfen. Möglicherweise bleibt aber auch das Gefühl der Notwendigkeit, über Geschlechterrollen und Transvestitismus in der Gesellschaft reflektierter und offensiver zu sprechen.

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