Mitten in Ebersberg:Lernen Sie die Regeln!

Für Deutsche ist es schon schwer, sich im Regelwerk des MVV auszukennen, für Fremde fast ein Ding der Unmöglichkeit

Von Sara Kreuter

All jenen Menschen, die in diesen Zeiten versuchen, nach Deutschland zu kommen, scheint es zunächst, als hätten sie die größte Hürde genommen, wenn sie mal hier sind. Doch weit gefehlt. Auf das Reinkommen folgt das Ankommen - und das ist gelegentlich fast sogar noch schwerer. Bürokratie und Formalitäten, wo man hinschaut. Regeltreu, penibel und sehr, sehr deutsch, so erleben Fremde die Deutschen immer wieder.

Ein Musterbeispiel für das Wirrwarr des Regelwerks, das unser Leben (mit-)bestimmt, ist der Nahverkehr des Münchner Verkehrs- und Tarifverbunds (MVV). Das richtige Ticket für eine einfache Fahrt zu finden, ist schon eine Kunst für sich. Noch komplizierter wird es aber, wenn einer noch sein Fahrrad mitnehmen möchte - gar den Hund oder das Kind. Fürs Fahrrad braucht's ein Ticket, für's Kind ebenso. Wobei beim Fahrrad die Reifenbreite entscheidet, Kinder dagegen zählen grundsätzlich nur als halbe Person, Hunde dagegen gar nicht, man höre und staune, es sei denn, sie sind zu zweit. Selbst winkende Angehörige am Bahnsteig können als Schwarzfahrer zur Rechenschaft gezogen werden, auch wenn sie nie gefahren, sondern nur gestanden, also im eigentlichen Wortsinne nur Schwarzsteher sind. Doch sieht der MVV in solchen Fällen eine Bahnsteigkarte vor, eine weitere Komplikation in den unendlichen Wirren des Vorschriften-Kanons.

Schon jenen fällt es schwer, hier den Überblick zu behalten, die mit dem bunten Linienverbund und seinen Erfordernissen groß geworden sind. Wie muss es demjenigen ergehen, der gerade erst hier ankommt? Wie muss sich jener Fremde gefühlt haben, der kürzlich mit der S4 von Ebersberg nach München gefahren ist, und vor dem sich etwa auf halber Strecke eine Zweimannfahrkartenkontrolle aufgebaut hat. Der Reisende, offensichtlich Ausländer, sprach kaum Deutsch, hatte es aber dennoch geschafft, den Fahrkartenautomaten dazu zu bewegen, ihm das richtige Ticket auszuspucken. Halleluja! Doch dann der Genickschlag: Sein Fahrrad war bis hierhin schwarz gefahren.

Jetzt müsse er aber zahlen, verlangen die Kontrolleure. Er versteht nicht, hält ihnen immer wieder sein Ticket unter die Nase. Nein, sie insistieren: Das Fahrrad sei das Problem. Dann noch mal, diesmal lauter, und gaanz ganz deutlich: "Dafür brauchen Sie auch ein Ticket." Das habe er nicht gewusst, sagt der Fremde, zuckt mit den Schultern, hofft auf Verständnis, was soll er auch sonst sagen? Die Kontrolleure sind genervt, immer diese Ausreden, sie verlangen einen Ausweis, drohen mit der Polizei. "Ich wusste das nicht", betont der Fremde wieder, "wirklich nicht". Blödsinn, erklärt der Beamte. Das wisse hier jeder. Doch dann eine Stimme aus dem Hintergrund: "Ich nicht", ruft ein Fahrgast. Der Fremde ist erleichtert, vielleicht geht ja doch noch alles gut. Ritterlich setzt sich der Fahrgast ein, liefert sich ein beeindruckendes Wortduell mit dem Kontrolleur: Die Bürokratie. Die Ausländer. Der Ton. Nützt aber alles nichts. Am Ostbahnhof findet sich der Fremde auf dem Bahnsteig wieder, gemeinsam mit einem Kontrolleur, er hat es also noch längst nicht überstanden. Hinter der sich schließenden Tür hat der zweite Kontrolleur noch einen guten Rat parat für den hilfsbereiten Fahrgast, und sagt gaanz ganz deutlich. "Lernen Sie die Regeln, das brauchen Sie hier!"

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