Mitten in Vaterstetten:Ich wollt' ich hätt' ein Huhn

Die Großgemeinde muss ihren Haushalt sanieren - und lässt Hendl und Freibier für Senioren und Vereine nur noch unter strengen Auflagen servieren

Von Wieland Bögel

Hühner, das ist eine leider nur noch wenigen bekannte Tatsache, waren dereinst ein legales Zahlungsmittel. Wer das jetzt für dummes Gegacker hält, dem sei ein Blick in alte Steuerbücher empfohlen. Noch vor wenigen Jahrhunderten, als die Geldwirtschaft als neumodisches Zeug galt, das sich sowieso nie durchsetzen würde, wurden die Bauern von den Fürsten und Bischöfen trotzdem zur Kasse gebeten - oder eben zu Stall und Speisekammer. Statt in Taler, Heller oder Gulden wurde in Naturalien abgerechnet. Also in Fässern voller Bier oder Wein, Säcken mit Getreide, Obst und Gemüse sowie natürlich in den - für den Steuereintreiber benutzerfreundlichen, weil mobilen - Kategorien Rind, Schwein und Geflügel, wobei sich letzteres wiederum unterteilte in Gans, Ente und eben Huhn als kleinste Einheit. Dieser Zusammenhang zwischen Steuerwesen und Federvieh ist nahezu überall in Vergessenheit geraten - außer in Vaterstetten.

Wer nun in Sorge ist, dass im nächsten Steuerbescheid Hühner gefordert werden, kann beruhigt sein. Der heimische Balkon, auf dem sich laut Volksmund ja gelegentlich dieses Geflügel aufzuhalten pflegt, darf weiter der Erholung und bescheidenen Gartenbauversuchen dienen. Trotzdem spielt das gackernde Federvieh von diesem Jahr an eine wichtige Rolle bei der Sanierung der Gemeindefinanzen - beziehungsweise das nicht mehr gackernde. Denn mithilfe des Volksfesthendls will sich Vaterstetten aus der Schuldenfalle befreien.

Bei der Gemeinde ist man nämlich fest entschlossen, eisern zu sparen und heuer weniger für Freibier und -hendl auszugeben. Da man die Einladung an die Vereine und die Senioren ins Festzelt nicht ganz streichen wollte - ist schließlich Tradition - versucht man, zumindest den Wildwuchs, um nicht zu sagen: Missbrauch, einzudämmen. Seit diesem Jahr gibt es Verpflegung nämlich nur noch bei persönlichem Erscheinen. Während etwa die Vereine früher großzügig mit Biermarken versorgt wurden, gab es die heuer nur für jene Vereinsmitglieder, die erstens beim Festzug mitgelaufen sind und zweitens die Marken gegen Stempel auf die Hand am Zelteingang selbst abholten. Auch bei den Senioren ist jetzt Schluss mit Laissez faire. In den Jahren zuvor, als noch laxe Hendlsitten herrschten, konnte man sich den Gickerl auch einen Tag später noch schmecken oder von der Verwandtschaft abholen lassen. Wer heuer sein mit kommunalen Mitteln gefördertes Brathuhn haben möchte, hat sich gefälligst am Seniorennachmittag zu beteiligen.

Schließlich ist es ein nicht unwesentlicher Teil des Vaterstettener Haushaltes, 0,036 Prozent, der jedes Jahr in die Bier- und Hendlmarken fließt. Würden diese Ausgaben wegfallen, die Gemeinde könnte auf einen Schlag 0,2 Prozent ihrer Schulden tilgen oder das Geld ansparen und davon einen Bürgersaal bauen. Da das trotzdem schlappe 500 Jahre dauern würde, wer weiß, vielleicht ist das legale Zahlungsmittel, mit dem man dann den Eintritt bezahlt - ein Huhn.

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