Mitten in Steinhöring:Nur die Schokoladenseite

Nur den linken Tränensack liften, nur die rechte Gesichtshälfte schminken? Darauf käme wohl niemand. Aber dafür gibt es Ideen, die ähnlich kurios klingen

Von Annalena Ehrlicher

Plastische Chirurgie wird auch in Deutschland zunehmend beliebter: Seit mehr als einer Dekade wird immer wieder festgestellt, dass die Hemmschwelle, sich kleineren und größeren Eingriffen zu unterziehen, deutlich sinkt. Selten dürfte dabei jedoch das Phänomen sein, dass sich jemand unters Messer legt und sagt: "Machen Sie mal nur das linke Schlupflid weg - das ist meine Schokoladenseite, auf das rechte Auge schaut eh niemand."

Dabei würde das die teuren Eingriffe vermutlich günstiger machen. Auch für Botoxbehandlungen, Fettabsaugen ("Bitte nur an der linken Po-Backe!"), ja, selbst fürs Schminken gilt das. Was würde Frau sich Zeit und Geld sparen, wenn man nur eine Gesichtshälfte bearbeitete? Man müsste nur darauf achten, vom Gegenüber nie frontal wahrgenommen zu werden. Stuhlkreise und Konferenztische wären zu meiden, bei Fotografen müsste man besonders vorsichtig sein!

Bei Gebäuden ist dieser ein wenig einseitige Gedankengang jedoch offenbar weniger abwegig. So könnte man zumindest den Vorschlag der Freien Wähler im Steinhöringer Gemeinderat verstehen. In der Gemeinde steht der schönheitschirurgische Eingriff einer Fassadenrenovierung des Bauhofs beziehungsweise des Feuerwehrhauses aus.

Max Stabernak stellte - etwas halbherzig - zur Diskussion, nur die Westseite des Gebäudes zu streichen. Da kann man es dann dafür mit neuen Fenstern richtig krachen lassen. Muss ja niemand die anderen Seiten anschauen. Bürgermeister Alois Hofstetter (CSU) ist jedoch kein Mann für halbe - oder viertel? - Sachen und verbuchte die Idee unter der Kategorie "Schildbürgerstreich".

Aber tut man dem Vorschlag damit möglicherweise Unrecht? Steinhöring würde sich mit dem einseitig gestrichenen Feuerwehrhaus schließlich in eine würdige Tradition stellen - die der Potemkinschen Dörfer. Diese moderne Legende besagt, dass der namengebende russische Militärreformator Potjomkin für einen Besuch von Katharina der Großen in großer Eile hat Dörfer aus bemalten Kulissen errichten lassen, um den maroden Zustand der frischeroberten Gegend zu verdecken. Doch so geschlossen, wie sich der Gemeinderat gegen den Vorschlag aussprach, wird Steinhöring wohl vorerst Steinhöring bleiben - und nicht zum Stabernakschen Dorf werden.

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