Mitten in Ebersberg:Unbefangen wie nur Kinder

Jeder von uns ist anders, auch wenn bei Manchen das Anderssein stärker auffällt. Warum also der Eiertanz?

Von Jessica Morof

Mal ganz ehrlich: Wer kennt den Eiertanz nicht, den Erwachsene meist machen, sobald sie in Kontakt mit behinderten Menschen kommen. Immer auf der Hut, nicht in ein Fettnäpfchen zu treten, nichts Falsches zu machen, nichts Falsches zu sagen. Egal wie aufgeschlossen, tolerant und sozial engagiert eine Person ist - die meisten reagieren in solchen Situationen befangen. Nicht, weil man das Anderssein schlimm fände, sondern gerade um das Gegenteil zu beweisen. Man möchte so natürlich auftreten wie nur möglich. Doch schon fragt man sich, wie man sich sonst überhaupt verhält. Wer sich vornimmt, die Behinderung des Gegenübers nicht zu beachten, wird am Ende umso genauer darauf achten.

Das zeigen Situationen wie diese beim Bäcker in Ebersberg: Als ein Herr im Rollstuhl sich am Tresen in die Schlange rollt, beginnen anderen Kunden mit dem oben beschriebenen Eiertanz: Nicht zu auffällig hinsehen, aber auch nicht ignorieren. Nicht im Weg rumstehen, aber auch nicht besonders viel Abstand halten. Da springt vom Tisch nebenan ein kleines blondes Mädchen von vielleicht fünf Jahren auf. Sie sieht den Geldbeutel des Mannes auf der Theke liegen und kommt mit ihm ins Gespräch, von Berührungsängsten keine Spur: "Ist das dein Geldbeutel?" "Ist das dein Rollstuhl?" "Wo ist denn dein Bein hin?"

Plötzlich herrscht Stille unter den Erwachsenen. Die Mutter ist peinlich berührt. Der Mann im Rollstuhl schweigt - vielleicht weil er einfach überrascht ist; vielleicht weil es ihm gar unangenehm ist. Die anderen Kunden schauen betreten drein. Was ist also schief gegangen? Die Kleine ist unbefangen auf den Mann im Rollstuhl zugegangen; ohne Angst und Scham. Trotzdem hat sie sich nach dem Verständnis der Erwachsenen falsch verhalten. Wo also hört Offenheit auf und fängt Unverschämtheit an?

Inklusion wird wohl erst dann erreicht sein, wenn alle Menschen begreifen, dass Anderssein normal ist; dass alle Personen unterschiedlich aussehen, verschiedene Begabungen haben, einen eigenen Charakter besitzen. Nicht jedes Anderssein muss zu jeder Gelegenheit offen angesprochen werden, wie es das kleine Mädchen gemacht hat. Es darf aber auch nicht der Auslöser für übertrieben befangenes Verhalten und einen Eiertanz sein.

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