Mitten in Ebersberg:Zugvögel bevorzugt

Nirgendwo ist mehr Platz für den Spatz. Er muss nach Jakobneuharting umziehen - falls er denn den Weg findet

Glosse von Wieland Bögel

Der Spatz als solcher wird von manch anderem Zweibeiner mit einer gewissen Herablassung behandelt. Die possierlichen Piepmätze werden als Dreckspatzen geschmäht, dabei leistet Passer Domesticus, so sein lateinischer Name, als gefiederte Müllabfuhr wertvolle Dienste bei der Stadtreinhaltung. Man mag sich die Berge an unaufgegessenen Brezenresten und sonstigem Gebrösel, die ohne das Einschreiten der Spatzen Straßen und Gehwege weitaus unpassierbarer machten, als es Leihfahrräder je vermöchten, gar nicht ausmalen. Ebenfalls untrennbar verbunden mit dem Spatz ist das zum Schimpfwort geronnene Vorurteil seiner angeblich eher unterdurchschnittlichen Mentalkapazität: Spatzenhirn. Dass dies zumindest auf die Ebersberger Spatzen nicht zutrifft, haben sie nun amtlich. Stadtrat und Landratsamt haben ihnen nun herausragende Fähigkeiten auf dem Gebiet der Kartografie bescheinigt.

Hintergrund ist der auf dem ehemaligen BRK-Gelände in Ebersberg geplante Neubau mehrerer Wohnhäuser. Dafür müssen die teilweise schon recht löchrigen ehemaligen BRK-Gebäude weichen, und damit auch Nistplätze, etwa für Fledermäuse oder eben Spatzen. Darum sollte der Bauherr die fliegenden Vormieter anderswo unterbringen. Für die Fledermäuse werden Nistkästen eingebaut, einige der Spatzen sollen auf einem Nachbargrundstück unterkommen - aber eben nicht alle. Darum, so war im Technischen Ausschuss des Stadtrates nun zu erfahren, werde der Nistkasten zwar gebaut - aber in Jakobneuharting. Die Untere Naturschutzbehörde habe diesem Arrangement auch zugestimmt.

Wenn auch mit Zähneknirschen, wie aus der Behörde zu erfahren ist. Denn, dass Ebersbergs Spatzen, so wenig spatzenhirnig sie auch sein mögen, tatsächlich Stadtratsbeschlüsse und Landkarten lesen, damit sie weisungsgemäß nach Jakobneuharting umziehen können, glaubt man auch bei der Unteren Naturschutzbehörde nicht. Der Kasten im tiefen Süden des Landkreises sei aber leider der einzig mögliche Kompromiss gewesen, heißt es aus der Behörde. Zwar habe man bei der Stadt angefragt, ob an einem öffentlichen Gebäude in der Nähe, etwa der benachbarten Schule, Platz für den Spatz wäre, sei aber abschlägig beschieden worden. Darum habe man der "Notlösung" zugestimmt, nach der Devise "besser so, als gar nicht".

Und so wird die Liste der Gentrifizerungs- und Immobilienblasengeschädigten wieder ein Stück länger. In der hochverdichteten, ökonomisch optimierten Stadt von heute ist eben weder Platz für Normalverdiener - noch für Spatzen.

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