Ministrieren an Heiligabend:Stillsitzen und Aufpassen

Obwohl es ihre Freunde mitunter uncool finden, lieben es Jakob, Leo und Luise, in Ebersberg zu ministrieren. Momentan üben sie für Heiligabend - "die schönste Messe des Kirchenjahres"

Anna Müller

- Während sich die Kirche Sankt Sebastian langsam füllt, herrscht in der Sakristei Trubel und Tumult. Zwölf Ministranten machen sich gleichzeitig für die Messe fertig, ziehen ihre kirchliche Robe in weiß und violett über und besprechen, wer heute Brot, Wein und Wasser zum Altar bringt und dort die Wandlungsglocke läutet. Pfarrer Josef Riedl zupft hier und da die Hemden gerade, hilft den Kleinen in den langen Rock oder hängt ihnen die goldenen Kreuze um, bevor der Gottesdienst beginnen kann. Dann stimmt die Orgel ihren feierlichen Gesang an und der Pfarrer und sein Gefolge betreten erhaben den Altarraum.

Unter den Ministranten sind Jakob, Leo und Luise Baumgartner. Für die Geschwister ist dieser Gottesdienst quasi die Generalprobe für die "schönste Messe des Kirchenjahres", wie sie sagen. Denn die drei dürfen in der Christmette in der Nacht des Heiligen Abends ministrieren. "Da ist die Stimmung einfach besonders feierlich", erklärt der 15-jährige Leo, der mittlerweile seit sechs Jahren am Altar dient. Er und sein 17-jähriger Bruder Jakob haben schon die vergangenen vier Jahre an der Christmette teilgenommen, für die zehn Jahre alte Luise ist es heuer das erste Mal. Die ganze Familie verbringt den Heiligen Abend in der Kirche. "Die Geschenke packen wir dann immer erst am nächsten Morgen aus", sagt Leo. Doch das finden die Geschwister überhaupt nicht schlimm, sie freuen sich auf die Messe und auf das Zusammentreffen danach im Pfarrhaus, denn "dann wird gefeiert", so Leo.

Mit etwa acht Jahren können Kinder in Ebersberg anfangen zu ministrieren. Einzige Voraussetzung: Sie müssen die heilige Kommunion empfangen haben, was für katholisch getaufte Kinder normalerweise im dritten Schuljahr erfolgt. Zwei Monate dauert der Probeunterricht normalerweise. "Die reichen aber bei weitem nicht aus", davon ist Isidor Perstorfer überzeugt. Der 54-Jährige ist der Mesner der Kirche und war selbst 30 Jahre lang Ministrant. "Bei den meisten dauert es sehr lange, bis sie den Ablauf kapieren. Wenn sie nur zweimal im Monat ministrieren, kann das schon bis zu zwei Jahre dauern." Vor allem mit dem Stillsitzen hätten die Jüngsten Probleme. "Ich hab' letztens wieder einen zamputzt, der sich einfach nicht stad halten konnte. Das ist für die Kirchenbesucher sehr störend, wenn da vorne Halligalli ist", erzählt Perstorfer. Für den erfahrenen Mesner - immerhin ist er schon seit 19 Jahren im Dienst - stellt das Ministrieren aber auch eine wichtige Bereicherung für das zukünftige Leben dar, denn die Kinder erlangen ein starkes Selbstbewusstsein. "Thomas Gottschalk war zum Beispiel auch mal Ministrant, das hat ihm bestimmt geholfen, später sicherer auftreten zu können", sagt Perstorfer. Er weiß aber auch, dass es für Kinder nicht einfach ist, sich eine Stunde lang zu konzentrieren. Den heutigen Gottesdienst bringen Luise und die anderen Neulinge jedenfalls gut über die Bühne. Und sie sind ja auch nicht auf sich allein gestellt, Pfarrer Riedl hilft gelegentlich. Vor der Kommunion gibt er ihnen ein kurzes Handzeichen: Wie zuvor besprochen sollen die sechs Jüngsten in die Sakristei gehen und ausgestattet mit Fackeln zur richtigen Zeit - nämlich wenn die Verteilung der Gaben beginnt - wieder heraustreten. Was dem Gottesdienstbesucher verborgen bleibt, ist das hektische Gewusel hinter der Tür der Sakristei. "Wo sind die Fackeln?" "Brennen sie schon?" "Wie müssen wir uns aufstellen?" Perstorfer ist gleich zur Stelle, hilft den Ministranten und sorgt für Ordnung - und vor allem für Ruhe.

Mit 125 Messdienern ist die Ebersberger Kirchengemeinde sehr gut ausgestattet. Trotzdem möchte Riedl jedem einzelnen so oft es geht die Möglichkeit geben, zu ministrieren. "Wenn der Altarraum gefüllt ist, das macht natürlich auch optisch etwas her", so Perstorfer. Aber nicht nur das ist der Grund dafür, warum so viele Ministranten bei den Gottesdiensten dabei sind. "Es geht auch um die aktive Teilnahme am Geschehen in der Gemeinde. Für viele ist es etwas Besonderes und es macht ihnen einfach Spaß." Besonders beliebt ist die Christmette. 26 Ministranten werden in diesem Jahr die Geburt Jesu Christi mit den Kirchenbesuchern feiern. "Der Pfarrer hat sich gesagt, wenn wir schon so viele Ministranten haben, warum sollen sie nicht auch ministrieren", so Perstorfer. Früher sei das aber anders gewesen, erinnert er sich. An der Christmette nahmen sehr viel weniger teil, denn es war eine besondere Ehre, die nur wohlverdienten Ministranten zustand. "Heute würden wir niemals sagen: Du darfst nicht ministrieren", erklärt der Mesner.

Das ist nicht das einzige, was sich geändert hat. Auch der Anteil der Mädchen ist in den vergangenen Jahren stark angestiegen. Weil es Mitte der 90er Jahre Nachwuchsprobleme gab, wurde der Dienst für weibliche Ministranten geöffnet. "Wir haben im Moment etwa zwei Drittel Mädchen. Das hätte ich mir zu meiner Zeit nicht vorstellen können", erzählt Perstorfer. Außerdem ist heute nicht mehr der Kaplan für die Ministranten zuständig, sondern sie verwalten sich selbst. Ein Team an älteren Mitgliedern, zu denen auch Jakob gehört, organisiert zahlreiche Freizeitaktivitäten. Luise gefallen besonders die Ausflüge, die sie mit der Gruppe unternehmen und das Ferienlager an Pfingsten. Dass andere in ihrem Alter den Kirchendienst uncool finden, stört Jakob und Leo nicht. "Man muss sich schon mal den ein oder anderen blöden Spruch anhören, oder die Kirche wird ins Lächerliche gezogen", erklärt Jakob. "Aber das nehmen wir nicht so ernst", fügt Leo hinzu. Denn Ministrieren bedeutet für sie auch sehr viel Spaß. Alle drei freuen sich sehr auf das Weihnachtsfest und die Christmette. Gut vorbereitet sind sie nun auf jeden Fall: Der Übungsgottesdienst hat geklappt.

Nach jeder Messe markiert die Verneigung vor dem Kreuz Christi das Ende des liturgischen Dienstes für den Pfarrer und die Ministranten. "Jetzt geht das Gewusel wieder los", sagt Perstorfer und lacht, denn zwölf Ministranten ziehen sich nun wieder um.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: