"Massenanfall von Verletzten":Alarm im Landratsamt

Weil mehrere Mitarbeiter über Atemwegsbeschwerden, Übelkeit und Kopfweh klagen, wird die Behörde am Donnerstagmorgen evakuiert. Die Suche nach den Ursachen dauert aber noch an

Von Barbara Mooser, Ebersberg

Es sei ein seltsamer Geruch gewesen, erzählen diejenigen, die dabei waren. Ganz sicher kein typischer Toilettengeruch und auch nicht der durchdringende chemische Geruch von Desinfektions- oder Putzmitteln. "Sonderbar, einfach sonderbar", beschreibt ihn Brigitte Keller. Sie ist an normalen Tagen die Finanzmanagerin des Landkreises, an diesem Tag aber eine der Krisenmanagerinnen, denn normal war dieser Donnerstag wirklich nicht. Sondern merkwürdig und beunruhigend: Mehrere Mitarbeiter hatten am Morgen - wie auch schon am Abend zuvor - über gesundheitliche Probleme geklagt: Atemwegsbeschwerden, Übelkeit und Kopfschmerzen. Die Verantwortlichen informierten Feuerwehr und Polizei, innerhalb weniger Minuten evakuierten die Einsatzkräfte gegen zehn Uhr vormittags das Gebäude an der Eichthalstraße.

Welche Substanz für die Symptome verantwortlich war, war allerdings auch später am Nachmittag noch unklar, wie auch überhaupt noch einiges an diesem Tag den Beteiligten Rätsel aufgibt. Fest stehen eigentlich nur zwei Dinge: Besonders betroffen waren von den Beschwerden die Mitarbeiter im dritten Stock der Behörde, wo unter anderem das Jugendamt untergebracht ist, und diejenigen, die eine öffentlich zugängliche Herrentoilette im Erdgeschoss genutzt haben. In dieser Toilette haben einige der Beschäftigten auch den merkwürdigen Geruch wahrgenommen, eine eingetrocknete Flüssigkeit im Sanitärraum wurde als mögliche Ursache des Reizstoffes ausgemacht. Ärzte und Feuerwehrleute hatten die Vermutung geäußert, dass es sich um Pfefferspray handeln könnte, das hätte auch zu den Symptomen gepasst. Doch erste Untersuchungen des ABC-Zugs München-Land, der zur Unterstützung angefordert worden war, bestätigen den Verdacht nicht: Weder eine Feststoffanalyse der Rückstände der Flüssigkeit, noch eine Untersuchung der Luft brachten auffällige Befunde, wie Uli Proske, Kommandant der Ebersberger Feuerwehr und Einsatzleiter berichtet. Auch Verbindungen der Räume im Erdgeschoss mit denen im dritten Stock - etwa durch eine Lüftung - gebe es nicht.

Großeinsatz Landratsamt Ebersberg

Kurz vor zehn Uhr müssen alle Landratsamtsmitarbeiter ihre Büros verlassen.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Zunächst waren die Verantwortlichen im Landratsamt ohnehin nicht davon ausgegangen, dass es sich um ein gravierenderes Problem handeln könnte. Am späten Mittwochnachmittag seien die ersten Fälle aufgetreten, erklärt Sprecherin Evelyn Schwaiger; nach einer Rundmail an die Mitarbeiter im Haus hätten sich weitere Betroffene mit den selben Symptomen gemeldet. Nachdem die Beschwerden sich aber schnell wieder gebessert hätten, so Brigitte Keller, habe man zu diesem Zeitpunkt keinen Grund gesehen, das Landratsamt am nächsten Tag nicht wie gewohnt zu öffnen. Als dann aber am Morgen die Symptome erneut aufgetreten seien, habe man die Rettungsleitstelle informiert.

Was danach folgte, ist genau festgelegt und erprobt, "Massenanfall von Verletzten" nennt sich so etwas in der Fachsprache: An die 80 Feuerwehrkräfte der Feuerwehren Ebersberg, Eglharting, Kirchseeon, Forstinning und Oberndorf kümmerten sich darum, dass die Räumung der Behörde schnell und unaufgeregt funktionierte, Rettungskräfte untersuchten die insgesamt etwa 30 Betroffenen in einer provisorischen Sanitätsstation im Alten Speicher. Eine Behandlung im Krankenhaus war bei keinem von ihnen nötig. Die Mitarbeiter, die keine Symptome zeigten, durften schon am Vormittag heimgehen; die Unglücklichen, die Schlüssel oder Portemonnaie in ihren Büros vergessen hatten, warteten im Alten Speicher, bis die Rückkehr in die Räume kurz nach 14 Uhr wieder möglich war - nachdem die Feuerwehr mit einem Überdruckgerät gründlich belüftet hatte.

Großeinsatz Landratsamt

80 Einsatzkräfte der Feuerwehr regeln die Evakuierung des Gebäudes, im Alten Speicher wird eine Sanitätsstation improvisiert.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Am Abend bedankten sich Landrat Robert Niedergesäß und seine Mitarbeiter für den "hoch professionellen Einsatz aller Blaulichteinheiten". Es sei ein gutes Gefühl, zu sehen, wie schnell und umfassend die Hilfskräfte vor Ort einsatzbereit waren und ihre Arbeit verrichteten. "Wir sind sehr erleichtert, dass von den Mitarbeitern und Besuchern im Landratsamt niemand ernsthaft verletzt wurde", so der Landrat.

Am Freitag soll der Betrieb im Landratsamt wieder wie gewohnt laufen. Abgeschlossen ist der Fall damit aber nicht, die Kriminalpolizei Erding hat die Ermittlungen aufgenommen. Und auch die Beschäftigten fragen sich, was wohl hinter diesem beunruhigenden Donnerstag steckt. Man habe sich etwa durchaus Gedanken darüber gemacht, erzählen Norbert Neugebauer, der Leiter des Landratsbüros, und Brigitte Keller, ob vielleicht ein Klient des Landratsamts aus Wut oder Frust Reizgas oder Pfefferspray in den Räumen versprüht haben könnte. Doch letztlich habe man das wieder ausgeschlossen. Denn einen Streit oder eine Auseinandersetzung, die eine solche Reaktion ausgelöst haben könnten, habe es nicht gegeben.

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