Markt Schwaben:Mehr als Unterricht

Markt Schwaben: Heinrich Mayer hat von 1981 bis 2014 Geschichte und Politik am Franz-Marc-Gymnasium unterrichtet und die Ausstellung "Vergessener Widerstand" initiiert

Heinrich Mayer hat von 1981 bis 2014 Geschichte und Politik am Franz-Marc-Gymnasium unterrichtet und die Ausstellung "Vergessener Widerstand" initiiert

(Foto: Christian Endt)

Lehrer Heinrich Mayer hat die lokale NS-Geschichte erforscht

Von Gianna Niewel, Markt Schwaben

Am Anfang waren die Fragen. Was passierte kurz vor Kriegsende in Poing? Wer waren die Männer, die im späten April 1945 durch die Straßen hetzten wie der Tod auf Stelzen? Was wussten die Großeltern? Heinrich Mayer kam 1981 als Lehrer nach Markt Schwaben, bis 2014 unterrichtete er nicht nur Geschichte am Franz-Marc-Gymnasium. Er leitete auch den Arbeitskreis Politik und Zeitgeschichte. Seit mehr als 20 Jahren treffen sich am Freitagnachmittag dort Schüler, um Antworten rund um den Mühldorfer Todeszug zu finden.

"Wir wollen die NS-Geschichte vor Ort aufarbeiten", sagt Mayer. Die Schüler sollten begreifen, dass der Nationalsozialismus nichts ist, was sich im fernen Berlin abgespielt hat, sondern auch in Bayern: in Markt Schwaben, in Dorfen, in Erding. Sicher hätten die Jugendlichen es zunächst befremdlich gewunden, zu erfahren, dass sie jeden Tag auf einer Zugstrecke pendelten, auf der vor 70 Jahren KZ-Häftlinge gekarrt wurden. "Das Gefühl darf beklemmen, aber wir müssen es überwinden." Als der Arbeitskreis erstmals zusammenkam, war lediglich klar, dass Ende April 1945 Häftlinge durch die Gegend geirrt waren. Die Schüler sollten hierzu ihre Großeltern befragen. Mayer hat die Berichte gesammelt, es ist ein dicker Stapel Erinnerungen, fein säuberlich gelocht und abgeheftet. Eine Großmutter erzählte, wie sie als 30-Jährige den Todeszug beobachtet hat. Ihre Enkelin notierte: "Die Menschen in diesen Wagen schrien entsetzlich, so daß mein Sohn Angst bekam . . . Er meinte, daß wir uns in den Bunkern an der Straßenseite verstecken sollten."

Gemeinsam mit etwa 15 Schülern hat Mayer im Anschluss an diese Befragungen Ortsarchive durchforstet und Lokalzeitungen gewälzt. Die Recherche bestätigte, was nahe lag: Der Zug kam aus Mühldorf. 3600 Häftlinge waren in den mehr als sechzig Güterwaggons eingepfercht, sie hatten in einer unterirdischen Flugzeugfabrik geschuftet. Der Zug hielt in Dorfen und auf einem Nebengleis in Poing. Das war am 27. April 1945. Wohin er unterwegs war, ist noch immer unklar. "Möglich ist als Ziel eine Alpenfestung", sagt Mayer. Denkbar sei auch, dass sie nach Dachau hätten transportiert werden sollen - oder in die Schweiz. Unsicher ist ebenso, was die Verwirrung unter den SS-Männern auslöste, als der Zug aufgrund eines Maschinenschadens in Poing hielt.

Einen Teil der zusammengetragenen Ergebnisse präsentierten die Schüler 1995 in einer Ausstellung. Nach jeder Veranstaltung, sagt Mayer, lieferten Besucher weitere Hinweise. Zwischen 2003 und 2005 erstellte der Arbeitskreis eine Ausstellung zum Thema "Das Massaker von Poing". 2005 besucht Max Mannheimer die Schülergruppe - er fuhr schwer erkrankt im Todeszug mit. "Die Schüler entwickeln durch solche Treffen noch größeren Respekt." Gleichzeitig zeige ihr Interesse den Opfern, dass eine Generation heranwachse, die sich der Vergangenheit stellt. Seit ein paar Jahren unterstützt die Weiße-Rose-Stiftung den Arbeitskreis, der 2012 bei einem Film des Bayerischen Rundfunks mitgearbeitet hat. "Der Mühldorfer Todeszug" dauert 44 Minuten und erzählt die Geschichte des Überlebenden Leslie Schwartz.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: