Markt Schwaben:Die Stäbe der Buche

Markt Schwaben: Über die Entwicklung der Schrift referierte Carola Blod-Reigl anlässlich der Woche der Büchereien.

Über die Entwicklung der Schrift referierte Carola Blod-Reigl anlässlich der Woche der Büchereien.

(Foto: Christian Endt)

Vortrag über die Ursprünge der Schrift

Von Friedhelm Buchenhorst, Markt Schwaben

Sprache ist wertvoll. Ohne Sprache gäbe es buchstäblich keinen Geist, von uns selbst wüssten wir nichts. Deshalb kann ihre Darstellung als Schrift seit den mesopotamisch-sumerischen Piktogrammen im vierten vorchristlichen Jahrtausend als paradiesisch-kulturrevolutiver Urknall aufgefasst werden. Ein interessantes Panorama über Entstehung, Entwicklung und künstlerische Möglichkeiten der Schrift wurde am Samstag in Markt Schwaben anlässlich der Ebersberger "Woche der Büchereien" geboten. Unter dem Titel "Stäbe der Buche - Skurriles und Wissenswertes aus der Welt der Buchstaben" referierte die Literatur- und Theaterwissenschaftlerin Carola Blod-Reigl in der Gemeindebücherei vor etwa 30 Gästen über allerlei Besonderheiten aus dem Kosmos der Schrift. Für virtuose musikalische Begleitung sorgten Marc Dohrendorf an der e-Gitarre, Jürgen Fehlner am Keyboard und Roland Pohle am e-Bass unter anderem mit Stücken von Eric Clapton, Elton John und Michael Jackson.

Der historische Überblick setzte mit der altägyptischen Hieroglyphenschrift ein, die, so Blod-Reigl, nicht von den Ägyptern selbst, sondern von deren Sklaven für Verwaltungszwecke entscheidend weiterentwickelt wurde. Bereits hier wurde deutlich, dass es der Referentin auch um politische Hintergründe und die damit verbundene interethnisch-kulturelle Bereicherung ging. Des weiteren bedeutete Schrift auch schon immer Geheimschrift: Botschaften wurden in erlegten und als Geschenk übergebenen Hasen übertragen oder auf rasierte Schädel von Botengängern geschrieben und erst übermittelt, wenn deren Haare schon nachgewachsen waren. Ein Beispiel für Geheimschriften ist auch der im Zweiten Weltkrieg vom englischen Mathematiker Alan Turing entzifferte deutsche Enigma-Nachrichtencode.

Vom altgermanischen Runenalphabet erfuhren die Zuhörer, dass diese "Schrift" zunächst magisch-rituelle Funktionen besaß. Die Runen wurden in der Regel auf Stäbe aus Buchenholz eingeritzt - daher unser Wort "Buchstabe" - und nach dem Hinwerfen der "Buchstaben" von den Druiden beim "Auflesen" - daher unser Wort "lesen" - zur Zukunftsdeutung verwendet.

Die bewusste Gestaltung von Drucklettern begann mit der Erfindung der Druckerpresse durch Johannes Gutenberg. Insbesondere auch Albrecht Dürer hinterließ entsprechende Illustrationen. Die vom "Sonnenkönig" Ludwig XIV Ende des 17. Jahrhunderts in Auftrag gegebene und nach strengem Rastersystem konstruierte Frakturschrift wurde später als "Old English" in England verwendet und danach von nationalistischen Kreisen als "deutsche" Schrifttype in Deutschland eingeführt. Dies ist ein interessanter und aufschlussreicher Hinweis auf das historische Reflexionsvermögen der Nationalsozialisten, die offenbar weitgehend ahnungslos eine "ausländische" Schrift propagierten.

Schrift und Kunst gingen immer schon gemeinsame Wege. "Fisches Nachtgesang" von Christian Morgenstern besteht nur aus rhythmischen Hebungs- und Senkungszeichen, Paul Klee malte sein Buchstabenbild "Einst dem Grau der Nacht enttaucht", das in Blod-Reigls Deutung das Rätsel der Sphinx wiedergibt, und Johann Wolfgang von Goethes Gedicht "Hingesunken alten Träumen..." wird als Rebus unter vielen andern Beispielen herausgestellt.

In der Pause war mit Kaffee, Punsch und Bier sowie süßen und deftigen Häppchen üppig für das leibliche Wohl der Besucher gesorgt, ein Bücherflohmarkt diente zusätzlich dem seelischen Wohl. Nach der Pause wurde ein Videoausschnitt des wunderbar herzerfrischenden und unvergessenen Heinz Erhardt gezeigt. Der tautogrammatische Sketch "Alles mit g" ("...gut gezielt, Gesäß getroffen...") entlockte den Besuchern uriges Gelächter. Es folgten in rollenverteilter Lesung Auszüge aus dem ebenfalls tautogrammatischen "Waldwärts. Ein Reiseroman von A bis Z erlogen" von Jens Sparschuh.

Insgesamt wurde dem Publikum in Markt Schwaben ein breites und ausgesprochen informatives Spektrum rund um das freilich sehr umfängliche Thema der "Buchstaben" geboten, und so mancher der Besucher dürfte anschließend mit anregenden Gedanken und einem bunten Buchstabensalat im Kopf nach Hause gegangen sein.

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