Markt Schwaben:Der menschliche Umgang

Markt Schwaben: Tobias Vorburg merkt, wenn ihm der Job zu viel wird: "Ich schlafe schlechter, bin grantiger." Dann ist es Zeit für ein paar Urlaubstage.

Tobias Vorburg merkt, wenn ihm der Job zu viel wird: "Ich schlafe schlechter, bin grantiger." Dann ist es Zeit für ein paar Urlaubstage.

(Foto: Christian Endt)

Rettungsassistent Tobias Vorburg aus Markt Schwaben kümmert sich im Ankunftszentrum im Münchner Norden um die Erstuntersuchung von Flüchtlingen - eine Aufgabe, die ihn auch psychisch fordert

Von Christian Endt, Markt Schwaben

"Menschlich behandelt zu werden, das kennen viele Flüchtlinge gar nicht mehr", sagt Tobias Vorburg. Als Rettungsassistent in der Erstuntersuchung gehört er zu den ersten Deutschen, mit denen neu angekommene Asylbewerber am Ende ihrer langen Reise zu tun haben. Die Begegnung dauere oft nur ein paar Minuten, sagt der 26-Jährige aus Markt Schwaben, "und trotzdem kann das sehr intensiv sein".

In einem Ankunftszentrum registrieren Behördenmitarbeiter zuerst jeden Neuzugang. Anschließend steht die Untersuchung an. Meistens arbeitet Vorburg in einem Dreier-Team. Zusammen mit einem Arzt und einem weiteren Kollegen untersucht er männliche Asylbewerber. Für Frauen und Mädchen gibt es ein eigenes, rein weiblich besetztes Team. Der Schwerpunkt liegt auf der Erkennung von akuten und ansteckenden Krankheiten. "Wir schauen den Patienten genau an, messen die Körpertemperatur, untersuchen die Haut", erzählt Vorburg. Teil der Untersuchung sei außerdem eine Kurzanamnese, also ein kurzes Gespräch zu Vor- und Leidensgeschichte des Patienten.

Eigentlich arbeitet der 26-Jährige bei der Münchner Firma Aicher Ambulanz im Rettungsdienst. Im Auftrag der Regierung von Oberbayern übernimmt Aicher allerdings auch die Erstversorgung der in der Landeshauptstadt angekommenen Flüchtlinge. Seit Januar beteiligt sich Vorburg an dieser Aufgabe. Etwa eine Woche im Monat arbeitet er im Ankunftszentrum in Euro-Industriepark im Münchner Norden. Nach ihrer Registrierung und Untersuchung ziehen die Flüchtlinge in eine andere Unterkunft, häufig in die nahe Bayern-Kaserne.

Wenn nichts gefunden wird - und das sei die Regel, sagt Vorburg - ist die Untersuchung meistens nach fünf bis zehn Minuten vorbei. Es muss auch schnell gehen, vor der Tür warten immer schon die nächsten. Zuletzt kamen an manchen Tagen viele Tausend Flüchtlinge in München an. Später, nach der Verlegung, bekommen die Menschen einen gründlicheren Gesundheitscheck samt Blutbild, damit hat Vorburg aber nichts zu tun. Er sieht die Patienten nach der kurzen Untersuchung meist nie wieder.

Körperlich seien die meisten Flüchtlinge, die Vorburg untersucht, "gesund und fit". Sonst würden sie die Reise gar nicht erst bewältigen: "Das braucht Unmengen an Kraft, da musst du den entsprechenden Ausgangszustand mitbringen." Trotzdem merke er, dass viele aus Ländern mit unterentwickeltem Gesundheitssystem kämen: "Manche Flüchtlinge haben zum Beispiel Organ-Anomalien, die man hier sehr früh operieren würde. Letztens kam ein Mädchen, das war gelb in den Augen und hatte Wasser im Bauch - klassische Anzeichen von Leberversagen. So was passiert 17-Jährigen in Deutschland normalerweise nicht." Solche Fälle schickt das Aicher-Team ins Krankenhaus.

Die Verständigung mit seinen Patienten ist für Vorburg häufig schwierig. Syrer würden häufig Englisch sprechen, Afghanen, Pakistanis und Schwarzafrikaner hingegen eher selten. "Da muss man flexibel sein, zur Not geht es mit Hand und Fuß", sagt Vorburg. Ein paar Brocken Arabisch habe er sich angeeignet, das Wort für Juckreiz beispielsweise. Die Flüchtlinge sind froh, wenn sie Worte in ihrer eigenen Sprache hören: "Damit schmilzt das Eis auch schneller." Am Anfang würden viele Flüchtlinge nämlich ängstlich wirken: "Die sehen mich ja als Behörde. Und damit haben sie schlechte Erfahrungen gemacht." Mit einem lockeren Spruch lasse sich die Situation aber entspannen. Was auch immer funktioniere, sei Fußball. "Ich habe seit 15 Jahren eine Dauerkarte bei den Bayern, für die Südkurve. Bei dem Thema bin ich also verhandlungssicher", sagt Vorburg und lacht laut.

Über Smalltalk gehen die Gespräche meistens nicht hinaus, was nicht nur an der kurzen Zeit liegt. "Ich frage generell nicht nach persönlichen Dingen", ist Vorburgs Politik. "Die Leute sind häufig traumatisiert, da will ich kein Loch aufreißen, das ich nicht wieder zumachen kann." Auch wenn er manchmal Patienten treffe, die extrovertiert seien und von sich aus erzählen würden.

Oft braucht es ohnehin keine großen Worte, um sich zu verständigen. "Wenn ich einem Kind ein gespendetes Kuscheltier weitergebe und plötzlich das Grinsen zurückkommt", sagt er, "das sind berührende Momente." Für ihn sei es das Schönste, jemand zum Lächeln zu bringen. Vorburg weiß, dass das ein bisschen nach Klischee klingt: "Aber es ist wirklich so." Die Arbeit in der Flüchtlingsaufnahme besteht freilich nicht nur aus diesen schönen Erlebnissen. Schließlich bekommt Vorburg die oft dramatischen Schicksale der Menschen unmittelbar mit. Er merke ganz gut, wenn es ihm zu viel werde: "Ich merke das an Kleinigkeiten im Alltag: Ich schlafe schlechter, bin grantiger. Da muss ich dann auch die Reißleine ziehen, Überstunden abbauen oder Urlaub nehmen." Von der psychischen Belastung sei die Arbeit mit der im Rettungsdienst, wo er seit fünf Jahren arbeitet, vergleichbar. "Ich habe mir Strategien angeeignet, wie ich mit belastenden Situationen umgehen kann. Manchmal hilft reden, manchmal möchte ich lieber nicht reden."

Neben dem Job engagiert sich Vorburg neuerdings auch ehrenamtlich in der Flüchtlingsarbeit: Er gehört zu den Initiatoren des Aktivkreises in seinem Heimatort Markt Schwaben. Dort sitzt er auch im Gemeinderat, für die Grünen. "Politiker aller Parteien sollten viel häufiger Einrichtungen für Flüchtlinge besuchen", findet Vorburg.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: