Markt Schwaben:Bis zur letzten Schicht

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Depressionen, und Ängste waren im Leben von Frieda P. ständige Begleiter. Mittlerweile leidet die 66-Jährige an Demenz und lebt von der Grundsicherung - das reicht oft nicht einmal für das Nötigste

Von Viktoria Spinrad, Markt Schwaben

Die Hand von Frieda P. zittert, als sie sich Saft in ihr Glas einschenkt. Ihre Vergangenheit wühlt die 66-Jährige, die eigentlich anders heißt, bis heute auf. Die Frau mit den weißen Haaren ist auf Grundsicherung angewiesen, sie lebt am Existenzminimum - und leidet seit zehn Jahren an Demenz. Zudem sind Depressionen ihr ständiger Begleiter, um ihre Gefühlswelt zu stabilisieren, nimmt sie Psychopharmaka. Um die Situation der Frau, ihr Leiden und ihre Abwärtsspirale zu verstehen, muss man ihre Lebensgeschichte kennen.

Ein Nachmittag im Wohnzimmer ihrer Sozialwohnung in Markt Schwaben. Frieda P. trägt eine graue Strickjacke vom Discounter, über die ihre langen Haare fallen - für einen Frisörbesuch reicht das Geld nicht. Ihre Falten zeugen von einem anstrengenden Leben. "Und jetzt möchte ich das alles für immer begraben", wird sie am Ende des Gesprächs sagen. Als ältestes von fünf Geschwistern wuchs Frieda P. am Bodensee auf. Der Vater sei gut zu den Kindern gewesen, von der Mutter hingegen erfuhr sie vor allem eines: Gewalt. "Du bist morgens aufgestanden und es gab erst einmal Prügel. Ohne Grund, einfach so. Das habe ich bis heute nicht vergessen", sagt sie. "Als ich meine Tage bekommen habe, auch da habe ich erst mal über's Kreuz bekommen." Frieda P. deutet nach hinten in Richtung Tür. "Im Flur hat mich meine Mutter immer stundenlang eingesperrt", erzählt sie und bleibt dann lange still. Manchmal bekomme sie in engen Räumen heute noch Angstzustände.

Frieda P. heiratete jung, arbeitete bei einer Elektronikfirma in Freiburg. Doch die verwundete Seele ließ sie nicht in Frieden, sagt sie, ihren Mann erlebte sie als desinteressiert und egoistisch. Und dann begann sie zu trinken. Und auch die Arbeit mit den Säuren setzte ihrer Gesundheit zu. So sehr, dass sie eines Tages zusammenbrach. Frieda P. starrt auf den Tisch, schüttelt den Kopf. "Und dann war mit Anfang 30 auf einmal Feierabend." Fristlos entlassen nach 13 Jahren in der Firma. Ohne eine feste Ausbildung blieb ihr nur noch das Putzen, "mehr konnte ich ja nicht", sagt sie.

Sie trennte sich, heiratete einen anderen Mann. Ein Überbleibsel aus der Ehe prangt als tiefe Narbe auf ihrer Nase. Der Mann war gewalttätig, warf sie eines Tages die Treppe runter - er war ebenfalls alkoholkrank. Gemeinsam landeten sie schließlich auf der Straße, schlugen sich mit Betteln durch. Da war die Alkoholkrankheit von Frieda P. so weit fortgeschritten, dass sie an Wahnvorstellungen litt, riesige Spinnen und Monster sah. "Ich habe wirklich nur noch gesoffen", schildert sie und breitet ihre Arme aus: "Es hat mich damals selber schockiert, dass ich so geworden war. Ich war am Ende, wollte einfach nur noch Schluss machen."

Über Umwege landete sie in einem Frauenheim in Wuppertal, schließlich in Bayern, wo sich die Wege des Paars endgültig trennten. Sie suchte Hilfe bei einem Beratungsdienst, nahm Therapiestunden, wurde abstinent. "Wenn ich heute Alkohol rieche, dann schaudert's mich", sagt sie und reibt sich am Arm. Seit 14 Jahren hat sie eine gesetzliche Betreuerin, die ihre Finanzen regelt. Zu ihren beiden Kindern, die in Pflegefamilien aufwuchsen, hat sie keinen Kontakt.

Mittlerweile versucht Frieda P. den kleinen Freuden des Lebens etwas abzugewinnen, soweit es die schmale Grundsicherung zulässt. Ihre Krankheiten, der Kampf gegen die Depressionen ließen sie ohne Ersparnisse. "Manchmal ist das Geld schon vor dem Monatsende aus", schildert sie. Was ihr bleibt, was ihre Lebensqualität heute ausmacht, sind die Aktivierungsgruppen für Demenzkranke und Gruppenspiele, die sie besucht. Wenn sie davon erzählt, hellt sich ihr Gesicht auf. Zu ihren Höhepunkten gehören Ausflüge mit der Gruppe - und gemeinsames Nudel-Essen mit ihrem Betreuer. "Mal einen Espresso oder Spaghetti, das ist mein Lebenselexir", sagt sie lächelnd, "jetzt kann ich ein paar schöne Dinge nachholen". Alle anderen Träume seien ausgeträumt.

Ihr selbstbestimmtes Leben will sie, solang es ihre Demenz zulässt, aber nicht so schnell aufgeben. "Noch habe ich meine fünf Sinne zusammen, Gott sei Dank." In ihrer Sozialwohnung bräuchte es zwei Neuanschaffungen, die sie von ihrer Grundsicherung nicht stemmen kann: Der kleine Kühlschrank fällt praktisch auseinander; das Sofa ist so durchgesessen, dass man die Federn spürt.

© SZ vom 18.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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