Lesung:Das Leben nach der "Zornedinger Tragödie"

Pfarrer Olivier Ndjimbi-Tshiende

Der frühere Zornedinger Pfarrer Olivier Ndjimbi-Tshiende hat in Bad Tölz aus seinem Buch gelesen, in dem er sich auch mit Rassismus auseinandersetzt.

(Foto: Manfred Neubauer)

Vor zwei Jahren war Olivier Ndjimbi-Tshiende als katholischer Pfarrer rassistischen Anfeindungen und Morddrohungen ausgesetzt. Nun las er in Bad Tölz aus seinem Buch, in dem er seine Erfahrungen verarbeitet hat und den Zustand der katholischen Kirche analysiert

Von Klaus Schieder, Zorneding/Bad Tölz

In seinem Briefkasten fand er ein weißes Pulver, von dem er nicht wusste, was es war. Dann erhielt er eine schockierende Postkarte, auf der zu lesen stand: "Wir schicken Dich, Du Arschloch, nach Auschwitz."Und gleich noch eine mit dem abstoßenden Inhalt: "Hau ab, Du stinkender Neger." Was er vor gut zwei Jahren als katholischer Priester erlebt hat, nennt Olivier Ndjimbi-Tshiende seine "Zornedinger Tragödie". Der unverhohlene Rassismus, der ihm damals entgegenschlug und in fünf Morddrohungen gipfelte, führte am Ende dazu, dass er sein Amt als Gemeindepfarrer von Sankt Martin abgab und ging. Was diesem unsäglichen Kapitel in seinem Leben folgte, war "eine tiefe Meditation, die viel aufleuchten ließ", sagt der 68-jährige Seelsorger. Seine Erkenntnisse mündeten in das Buch "Und wenn Gott schwarz wäre ... Mein Glaube ist bunt!". Daraus las er vor etwa 30 Zuhörern nun im Kleinen Kursaal von Bad Tölz vor. Eingeladen hatte das Katholische Kreisbildungswerk.

Eine Abrechnung mit dem Rechtsradikalismus ist es nicht

Das Erstaunliche an dem Werk: Der promovierte Theologe und Professor für Moralphilosophie, der im Kongo geboren wurde und deutscher Staatsbürger ist, rechnet nicht mit dem Rassismus und dem Rechtsradikalismus in der Gesellschaft ab, nicht mit der AfD, auch nicht mit dem damaligen CSU-Vorstand von Zorneding, den er mitten in der Flüchtlingskrise wegen fremdenfeindlicher Äußerungen kritisiert hatte.

Selbst über den 74-jährigen Münchner, der ihm zwei Drohbriefe geschrieben hatte und wegen Volksverhetzung verurteilt wurde, sagt er beinahe nichts. In dem Prozess musste Ndjimbi-Tshiende als Opfer aussagen und hörte nur, wie der Rentner mit Blick auf ihn zu seiner Frau bemerkte: "Den kenne ich gar nicht." Sein Werk ist vielmehr eine Art Generalangriff auf die katholische Amtskirche, auf ihre Dogmen, auf ihre verkrusteten Strukturen.

Er übt Kritik am "rigiden Dogmatismus" der Kirche

Das überrascht zunächst. Immerhin hatte ihn die Erzdiözese von München und Freising nach den rassistischen Ausbrüchen in Schutz genommen. Aber Ndjimbi-Tshiende grübelte darüber nach, warum es etlichen Menschen hierzulande nicht gelinge, "die Gleichheit von Gottes Schöpfung zu erkennen und zu akzeptieren". Er sieht sie als entfremdet von christlichen Werten, entfremdet von sich selbst und durch eine Globalisierung, die lediglich als Auftrag zu einer grenzenlosen Bereicherung verstanden werde. Umso mehr wäre für ihn eine Kirche notwendig, die der Liebe zum Nächsten genügend Raum lässt. Sie müsste "eine wahre, eine wertschätzende Gemeinschaft" sein, sagt er.

Das ist sie in seinen Augen nicht. Immer wieder stellt er in seinem Vortrag die Bergpredigt Jesu mit ihren Seligpreisungen einer in Riten und Hierarchien erstarrten Kirche gegenüber, die sich mit ihren Eminenzen und Exzellenzen, ihrer lieblosen und verbietenden Glaubenskongregation weit davon entfernt habe. Für den Gläubigen komme es doch nicht darauf an, im Leben soundso viele Sonntagsmessen besucht zu haben, sondern "bewusst in der Beziehung zu Gott zu bleiben", sagt er.

Als Beispiel für den "rigiden Dogmatismus" der katholischen Kirche führt er das Zölibat an, das lediglich eine menschliche Erfindung sei, "Gott hat darauf kein Patent angemeldet". Es sei an der Zeit, die Ehelosigkeit für Priester abzuschaffen, denn "die Kirche gehört nicht einem Klub älterer Männer". Ebenso fordert Ndjimbi-Tshiende die Freigabe des Priesteramts für Frauen, da sie mehr Empathie und Mitgefühl als Männer mit ihrem Konkurrenzdenken besäßen, außerdem von Jesus selbst "in unerhörter Weise beschützt und geschätzt" worden seien. Seine Schlussfolgerung: Gott selbst sei wie ein Chamäleon, jemand, der alle Hautfarben, alle Geschlechter in sich trage.

Inzwischen arbeitet Ndjimbi-Tshiende in Eichstätt

Auch wenn seine Thesen gelegentlich eher plakativ als zu Ende gedacht wirkten, bekam er viel Beifall dafür. "Wenn Sie Papst wären, hätten wir eine gute Zukunft, eine offene und für die Menschen sehr lebendige Kirche", sagte Pastoralreferent Herbert Konrad vom Kreisbildungswerk. Ndjimbi-Tshiende, dem nach den rassistischen Auswüchsen 3000 Menschen in einer Lichterkette ihre Solidarität in Zorneding bekundet hatten, arbeitet inzwischen an der Katholischen Universität Eichstätt für ein Forschungsprojekt über Migration. Sein Buch hat er an den dortigen Bischof geschickt, ebenso an Reinhard Kardinal Marx in München. "Eine Antwort habe ich noch nicht bekommen", sagt er.

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