Landkreis Ebersberg:Zwischen Gasbrenner und Skelett

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Ihre Heimatlosigkeit zwingt die Grafinger Musikschule dazu, viele Kompromisse einzugehen. Asyl gewähren unter anderem Mittelschule und Seniorenhaus.

Von Anja Blum

Klappern im Takt: Musiklehrer Martin Danes probt mit dem Chor im sogenannten PBC-Raum, in dem normalerweise der naturwissenschaftliche Unterricht der Grafinger Mittelschule stattfindet. Foto: Christian Endt (Foto: Christian Endt, Fotografie & Lic)

"Bitte alle Fenster schließen, den Instrumenten zuliebe", steht in schöner Kinderhandschrift auf einem Zettel an der Tür. Drei kleine Harfen sind es, um die sich die Verfasserin offenbar sorgt. Sie stehen in einem Mehrzweckraum im Keller des Grafinger Seniorenhauses, einem von neun Gebäuden, in denen die Musikschule in der Stadt derzeit unterrichtet. Seit vor fünf Jahren ihr Domizil in der Rotter Straße aus brandschutztechnischen Gründen geschlossen wurde, hangelt sich die Einrichtung von einem Provisorium zum nächsten. Gut 500 Schülerstunden pro Woche wollen organisiert werden.

Im Keller des Seniorenhauses zum Beispiel gibt an diesem Mittwochnachmittag Thomas Pfeiffer Klavierunterricht, gerade erhält die Darbietung der zwölfjährigen Daniela den letzten Schliff vor dem Klassenvorspiel. "Hier ein bisschen piano, also auf die Bremse treten, weil das doch das Echo ist", erinnert der Lehrer an die Eigenheit des Stücks. Doch es geht in dieser Stunde nicht nur darum, der Komposition Ausdruck zu verleihen, sondern auch ums Menschliche: "Wenn du nervös bist, weil so viele Leute im Publikum sitzen, hilft es, durch die Finger zu atmen", erklärt Pfeiffer und macht die Übung gleich vor: Hände auf die Oberschenkel, Lippen spitzen, Augen schließen - und ganz langsam ausatmen. Bei der Wiederholung macht Daniela gleich mit, dann wird sie, so gestärkt, in den heißen Nachmittag entlassen.

Das ist auch gut so, denn in ihrem dünnen Trägershirt wäre ihr hier unten sicher bald ziemlich kalt geworden. "Heute geht es ja noch", sagt Pfeiffer, dessen Wollpullover schon griffbereit liegt, "aber normalerweise hat es hier drin höchstens 18 Grad". Da gleiche man nach sechs Stunden Unterricht schon mal einem Eiszapfen. In dem Keller gibt es keine Heizung, nur ein kleiner Radiator steht für Notfälle neben dem Klavier. Doch dass dieser den ganzen großen Raum erwärmen kann, muss bezweifelt werden. Auch sonst ist der Ort eher unwirtlich: Durch die kleinen Fenster fällt kaum Licht, die Einrichtung beschränkt sich auf zwei große Schränke, daneben sind Bühnenteile, Gymnastikmatten und Stühle übereinandergestapelt, dazwischen stehen vereinzelt Instrumente und fahrbare Kleiderstangen. "Der Raum wird immer mehr zum Möbellager", sagt Pfeiffer achselzuckend, "aber er ist alternativlos". Da kommen schon die nächsten zwei Schülerinnen lachend durch die Tür.

Wenige Kilometer weiter, in der Grafinger Mittelschule, wird ebenfalls im Keller musiziert. Drei Räume stehen der Musikschule hier zur Verfügung: ein winziges Klassenzimmer, ein Musikraum und ein sogenannter PBC-Raum, in dem normalerweise naturwissenschaftlicher Unterricht stattfindet. An diesem Nachmittag probt Martin Danes hier mit der Chorstufe drei, das sind Kinder im Alter von acht bis 14 Jahren. Doch bevor es mit dem Singen überhaupt losgehen kann, muss erst einmal der äußere Rahmen dafür geschaffen werden. Danes und seine jungen Sänger schieben Tische weg, räumen Stühle um und bauen ein E-Piano auf. Am Ende sitzen die Kinder in einem zweireihigen Halbkreis, der "Chorbanane", dicht gedrängt um den Chorleiter am Keyboard herum. Neben Danes mahnt ein Skelett ungerührt zur Ordnung, hinter den Sängern sitzt eine ausgestopfte Eule. Auf den Tischen stehen und liegen alle möglichen Utensilien für chemische und physikalische Versuche: Glasgefäße, Schläuche, Linsen, Gasbrenner und vieles mehr. "Da müssen wir immer aufpassen, aber es ist Gott sei Dank noch nichts kaputt gegangen", sagt der Chorleiter. Der Schule seien er und seine Kollegen freilich sehr dankbar für das Asyl, betont er, doch die Situation alles andere als optimal. "Die Räume haben einfach die falsche Ausstattung für unsere Bedürfnisse." Das fange schon bei der Luft an, die manchmal noch von den Chemieversuchen geschwängert sei. "Gerade die jüngeren Kinder nehmen das sehr stark wahr und reagieren dementsprechend", sagt Sebastian Maier, der an diesem Tag in der Mittelschule ebenfalls Chor und Geige unterrichtet. "Die klagen dann über Bauchweh." Weiter geht es mit der Einrichtung, die jedes Mal erst zur Seite geschafft und nach dem Unterricht wieder zurückgebaut werden muss. "Außerdem sind die Räume so voll, dass kein Platz bleibt für Bewegungsspiele oder Tanz - was für die Chorkinder aber ganz wichtig wäre", erklärt Danes. Ganz zu schweigen von der schlechten Akustik: Maier erzählt von einer Probe mit dem Vororchester, bestehend aus zwanzig kleinen Geigern, im Musikraum - das sei ein unvorstellbarer Lärm gewesen. "Das ist für die Kinder und uns einfach nur anstrengend."

Im Ebersberger Klosterbauhof hingegen könne man mit dieser Streichergruppe sehr gut arbeiten. Viele Kleinigkeiten sind es, die den Musiklehrern das Leben schwer machen. Die Stühle etwa sind entweder zu klein oder zu beweglich, so dass die Kinder damit ständig rauf und runter fahren oder sich um die eigene Achse drehen. "Das lenkt sie alles ab", klagt der Chorleiter, genauso wie die naturwissenschaftlichen Plakate an der Wand und die Gerätschaften auf den Tischen. "Es ist ein Provisorium, in dem einfach keine professionelle Arbeitsatmosphäre herrscht", fasst Maier die Situation zusammen.

"Musik benötigt Konzentration", sagt Erich Beschorner, der seinen Sohn Michael gerade zum Geigenunterricht gebracht hat. Er gehört zu all den Grafinger Eltern, die die Heimatlosigkeit der Musikschule laut Maier "ganz toll mittragen". Die Beschorners sind bereits ein Jahr lang für die Musik nach Glonn gependelt, auch im Grafinger Gymnasium hat Michael schon Unterricht gehabt. "Aber dort ist die Situation noch schlimmer als hier", sagt der Vater, der sich in der Initiative "Kulturraum" für ein neues Musikschuldomizil stark macht. Stand der Dinge ist, dass anstelle des bisherigen Gebäudes in der Rotter Straße 8 ein Neubau entstehen soll, in dem wie bislang Musikschule, VHS und Jugendzentrum unterkommen. Die Kommune möchte dies mit einem Investorenmodell umsetzen, die Ausschreibung dafür wird wohl im Herbst stattfinden. Ob dieser Plan des Stadtrats jedoch aufgeht, ist ungewiss. Sicher ist nur, dass sich alle Kinder, Eltern und Lehrer der Musikschule in Grafing noch geraume Zeit gedulden müssen.

So lange wird die Musikschule an den verschiedenen Orten "nur Gast" sein - mit all den Einschränkungen, die das mit sich bringt. "Wir müssen eben viele Kompromisse eingehen und oft improvisieren", sagt Danes. Dazu gehört auch, dass die Lehrer viele Ortswechsel bewältigen müssen. Danes zum Beispiel war an diesem Mittwoch bereits für Stimmbildung im Gymnasium, danach in Ebersberg für Instrumentalunterricht - von Grafinger Schülern. Nach der Mittelschule muss er noch für eine Chorprobe nach Glonn. All das sei zusätzliche Arbeit, die ermüde und leider das pädagogische Wirken oftmals erschwere, sagt er. Im Fall der Chorkinder sei das besonders tragisch, weil dieses Angebot gerade in Grafing ein enormer Zulauf erfahre. "Da ist so viel Bedarf - und den will ich auch hier vor Ort decken", sagt der Musiklehrer.

"Wenn man etwas bewegen will, muss man positiv denken", sagt Musikschulleiter Peter Pfaff. Es gebe so viel gute Energie und Ideen in Grafing, dass die Gemeinde gar nicht anders könne, als das Problem langfristig zu lösen, davon sei er überzeugt. Eine Haltung, die sich auch im Unterricht widerspiegelt: "Jetzt ist Sommer, egal ob man schwitzt oder friert, Sommer ist, was in deinem Kopf passiert, es ist Sommer, ich hab das klar gemacht, Sommer ist wenn man trotzdem lacht", singen die Chorkinder voller Elan, während es draußen ausnahmsweise mal in Strömen regnet.

© SZ vom 27.07.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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