Landkreis Ebersberg:Provokationen aus dem Verborgenen

Rechtsradikale treten im Landkreis Ebersberg durch Aktionen immer wieder in den Vordergrund. Eine organisierte Gruppe scheint es aber noch nicht zu geben.

Wieland Bögel

Dass im Landkreis Ebersberg rechtsextremes Gedankengut nach Aufmerksamkeit heischt, ist unübersehbar: Im vergangenen November überziehen Unbekannte Grafinger Schulen mit ausländerfeindlichen und antisemitischen Parolen, im Dezember muss dort das Gymnasium nach einer Bombendrohung geräumt werden.

Landkreis Ebersberg: Einen rechtsextremen Täter vermutet die Polizei hinter der Bombendrohung am Grafing Gymnasium im Dezember. Einen Monat zuvor hatten die Schüler Nazi-Parolen nicht nur übersprüht. Sie antworteten auf die nächtliche Untat mit einer Demo durch die Stadt.

Einen rechtsextremen Täter vermutet die Polizei hinter der Bombendrohung am Grafing Gymnasium im Dezember. Einen Monat zuvor hatten die Schüler Nazi-Parolen nicht nur übersprüht. Sie antworteten auf die nächtliche Untat mit einer Demo durch die Stadt.

(Foto: EBE)

Und nun wird ein junger Ebersberger auf einer Neonazidemo in München wegen offenkundiger Sympathiebezeugung für die Zwickauer Terrorzelle festgenommen. Diese Häufung erschreckt vor allem jene Menschen, die sich im Landkreis in Initiativen wie "Bunt statt braun" gegen den Rechtsextremismus engagieren. Wie groß und wie aktiv eine vermeintliche rechtsradikale Szene im Landkreis aber ist, darüber haben Ermittler wie Insider indes wenig Erkenntnisse.

Der junger Mann aus dem Landkreis spielte auf der Demo das sogenannte "Paulchen-Panther-Lied" ab, das auch die Zwickauer Naziterroristen in ihren Bekennervideos verwendeten. Daraufhin wurde der 22-Jährige von der Polizei wegen "Billigung einer Straftat" festgenommen. Nähere Angaben wollte man zu dem Verhafteten nicht machen. Zumindest scheint der Mann aber über einen gewissen Einfluss im rechtsradikalen "Freien Netz Süd" zu verfügen, vermutet der Leiter der Beratungsstelle gegen Rechtsextremismus beim Kreisjugendring, Stephan Neidhardt. Denn wer bei einer Demo für die Musik verantwortlich ist, müsse gute Kontakte zu den Organisatoren haben.

Dass der 22-Jährige in München und nicht im Landkreis Ebersberg auffällig wurde, passt nach Einschätzung von Neidhardt zur Struktur der hiesigen Neonaziszene. Denn derzeit gebe es im Landkreis keine große Gruppe von Personen, "die öffentlichkeitswirksame rechtsradikale Aktionen" wie Aufmärsche oder Demonstrationen veranstalteten. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Ewald Schurer, einer der Gründer des Bündnisses "Bunt statt braun", sieht das ähnlich. Im Landkreis gebe es "vereinzelt Leute aus dem rechten Spektrum, aber keine manifesten Gruppen".

Auch eine Kameradschaft Ebersberg gebe es nicht, so Angela Warg-Portenlänger vom KJR. Stattdessen würden die Ebersberger Neonazis von den Kameradschaften in den Nachbarlandkreisen Erding oder Rosenheim "mitbetreut" oder sie würden sich nach München orientieren. Dabei komme dem "Freien Netz Süd" eine besondere Bedeutung zu, meint Schurer. Der Organisationsgrad der Rechtsradikalen in und um Ebersberg sei derzeit allerdings "nicht so extrem wie in anderen Landkreisen", so Warg-Portenlänger. Auch Neidhardt bestätigt, dass es hier "keine organisierte Neonazi-Szene" gebe.

Dies bedeute aber nicht, "dass man hier keine Rechtsradikalen hätte", betont Warg Portenlänger. Dies zeigten die Schmierereien und Drohungen in Grafing oder das im vorvergangenen Jahr in ein Maisfeld getrampelte Hakenkreuz bei Aßling. Auch würden im Landkreis des öfteren Flugblätter mit rechtsradikalem Inhalt und NPD-Werbung verteilt, sagt Neidhardt. Warg-Portenlänger ist auch zu Ohren gekommen, dass sich Grüppchen von Rechtsradikalen in verschiedenen Gaststätten träfen und dort auch Naziparolen äußerten oder den Hitlergruß zeigten. Dass es einen festen Treffpunkt der Rechten gebe, sei ihr allerdings nicht bekannt.

Auch wenn es nur wenige sind, sie sind hoch gefährlich", meint Schurer. Dies zeige beispielsweise die Bombendrohung am Grafinger Gymnasium oder die Drohbriefe, die er selbst gelegentlich erhalte. Über das Gewaltpotenzial könne man aber nur spekulieren, so Warg-Portenlänger. Offiziell habe es in den vergangenen Jahren keine Übergriffe im Landkreis durch Rechtsradikale gegeben. Dies wird auch durch den Verfassungsschutzbericht gedeckt, der für das Jahr 2010 in Ebersberg überhaupt keine rechtsradikalen Umtriebe vermeldet. Warg-Portenlänger gibt aber auch zu bedenken, dass Opfer rechtsradikaler Gewalt diese Angriffe aus Angst möglicherweise nicht anzeigen oder dass die Polizei lediglich eine Schlägerei zu Protokoll nimmt, ohne einen möglichen politischen Hintergrund der Gewalt zu beleuchten.

Da die Rechtsradikalen also eher im Verborgenen agierten, sei es sehr schwer einzuschätzen, wie groß die Nazi-Szene im Landkreis sei, so Neidhardt. "Bei 130 000 Bürgern im Landkreis, kann man davon ausgehen, dass eine Handvoll Rechtsradikale dabei sind", meint auch Schurer: "Es reicht schon, wenn es nur fünf oder sechs sind." Man könne annehmen, dass es in jeder Gemeinde einige Jugendliche gebe, die mit rechtem Gedankengut sympathisierten, meint der Aßlinger Jugendpfleger Erwin Mehl.

Das bestätigt auch sein Anzinger Kollege Felix Aschauer. In seiner Gemeinde gebe es einen kleinen Kreis von etwa fünf Jugendlichen, die er als rechts einschätzt. Aschauer gibt aber auch zu bedenken, dass die Übergänge sehr unscharf seien. Oftmals beginne das Abdriften in die rechte Szene zunächst ganz unpolitisch, als Protest oder über ältere Freunde.

Doch auch wenn es sich um einen pubertären Protest handle, müsse man das unbedingt ernst nehmen, sagt Aschauer, und versuchen, die Jugendlichen "frühzeitig von diesem Umfeld zu lösen, bevor sich die Ideologie verfestigt". Dies geschieht seiner Meinung nach am Besten durch Aufklärung über Extremismus wie es auch die Initiative Grass 21 unter dem Motto "Toleranz fördern, Kompetenz stärken" versucht. Dabei arbeitet Aschauer mit dem Aussteigerprojekt "Exit" zusammen. "Wir müssen dagegen anstinken und die Leute bilden", fasst Mehl zusammen.

In seiner Gemeinde gab es in der Vergangenheit große Probleme mit Neonazis, aber das sei zum Glück vorbei. Derzeit erkennt er in Aßling "keinerlei auffällige Rechte, die in Erscheinung treten". Dies habe sich auch bei der Anne-Frank-Ausstellung im Herbst gezeigt, so Mehl: "Ich war darauf eingestellt, dass was passiert." Doch alles blieb ruhig. Entwarnung möchte Mehl aber trotzdem nicht geben: Das rechte Gedankengut "kommt in manchen Köpfen schon noch vor".

Für Horst Schmidt von der Friedrich-Ebert-Stiftung in München ist es nicht verwunderlich, dass es so wenige Erkenntnisse über die rechte Szene im Landkreis gibt. Denn im Verborgenen zu agieren, "das gehört zur Strategie der Rechten". Statt offen in Erscheinung zu treten, würden die Neonazis durch gezielte Provokationen, etwa die Schmierereien und die Drohungen in Grafing, "ausloten, wie weit sie gehen können". Bessere Erkenntnisse über die Rechten könne deshalb eigentlich nur die Arbeit von Staats- und Verfassungsschutz liefern, diese müssten "besser eruieren und genauer hinschauen". Denn "die Beobachtung gefährlicher Gruppen, muss man als saatliche Aufgabe sehen".

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