Kunstprojekt im Abrisshaus:Erschaffen, um zu zerstören

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Mit "Shelter in Transition" wird in Bad Tölz ein Haus verabschiedet. Daran beteiligt ist auch der Kirchseeoner Grafiker und Produktdesigner Peter Fischer

Von Rita Baedeker, Kirchseeon/Bad Tölz

In Häusern mit Vergangenheit kann man manchmal noch etwas spüren vom gelebten Leben der Bewohner. Glück, Leid und Erinnerungen scheinen auf geheimnisvolle Weise im Mauerwerk gespeichert zu sein. Vielleicht sind solch betagte Häuser sogar von Geistern bewohnt.

Schaut man sich die Ausstellung "Shelter in Transition" an, die kommenden Samstag in einem zum Abriss bestimmten Haus in Bad Tölz eröffnet wird, dann gewinnen die "Hausgeister" in den mit Hilfe von Bohrhammer und Meißel in die Wände geschlagenen Reliefs eine an archaische Kunst erinnernde plastische Gestalt, so als sollten sie zum ersten und einzigen Mal heraustreten aus dem Schatten der Fantasie. Peter Fischer aus Kirchseeon, einer der an dem Projekt beteiligten Künstler, lacht und sagt: "Ja, man könnte in den Formen und Konturen geisterhafte Gestalten erkennen, aber die Reliefs sind spontan entstanden, das war nicht geplant." Zu sehen gibt es neben den plastischen Wandarbeiten Malerei, Bilder, Objekte, Licht-Projektionen sowie Fundstücke aus der Geschichte des Hauses. Im Juni wird das in den 1960er Jahren im Maisonette-Stil mit Schwimmbad auf einem Hanggrundstück in Bad Tölz errichtete Einfamilienhaus des Goldschmieds und Restaurators Gebhard Zieher abgerissen, um einem Neubau Platz zu machen. Diesen Schritt von der Vergangenheit in die Zukunft würdig zu vollziehen, ist Ziel des Projekts.

Häuser sind ein Lebensprojekt. Sie bieten Schutz, Geborgenheit und Wärme, Schutz auch vor den Zumutungen der Welt da draußen. Das heißt aber auch: Ein Haus abzureißen, bedeutet Abschied nehmen von einem schützenden Kokon, mit dem man mit den Jahren verwachsen ist. Unendlich traurig ist es zu sehen, wie Schaufelbagger irgendwann diesen Hort aus den Angeln heben, Fassaden einreißen bis auf ein Gerippe aus Beton, Eisen und zerbröselnden Ziegelsteinen. Warum also nicht den Abriss ebenso würdig zelebrieren wie einst den Bau. Und sich gleichzeitig auf einen Neubeginn freuen?

Der Kirchseeoner Grafiker und Produktdesigner Peter Fischer, der Kunstmaler Helmut Zunhammer, dem das Haus gehört, und Wolf Jaenecke, Ingenieur, der nach Ende seines Berufslebens für sich die Malerei entdeckt hat, haben sich vor einiger Zeit über das Thema Gedanken gemacht. "In diesem Kontext entstand die Idee, eine künstlerische Auseinandersetzung über Sinn und Zweck menschlicher Behausung im Wandel der Zeit am konkreten Beispiel zu versuchen und einen würdevollen Akt des Abschieds zu inszenieren", schreibt Peter Fischer in dem Flyer zum Projekt. Die Ergebnisse dieser Inszenierung sind in der Einliegerwohnung des Hauses zu sehen. Diese ist nun für einige wenige Stunden "Bühne einer vorwiegend spontan bildnerisch subjektiv umgesetzten Gedankenwelt zum Thema", erklärt Fischer weiter. Die gezeigten Fundstücke auch aus der einstigen Goldschmiedewerkstatt wurden von Helmut und Susi Zunhammer zusammengestellt.

Die Lichtprojektionen haben Peter Fischer und Kunstmaler Zunhammer konzipiert. Der Dichter und Jazzmusiker Jörn Pfennig wird mit seiner poetischen Kunst die Zeremonie bereichern. Mit dem Abriss im Juni endet die Geschichte des Hauses. Und damit die Ausstellung. Etwas Schönes erschaffen, um es gleich wieder zu zerstören: Das ist eine radikale Idee, letztlich aber ein Gleichnis für den Lauf des Lebens.

Vernissage der Ausstellung "Shelter in Transition" im Haus am Höhenbergweg 27 in Bad Tölz ist am Samstag, 21. April. Die "Midissage" findet am Samstag, 5. Mai, statt, die Finissage am Samstag, 26. Mai, Beginn ist jeweils um 19 Uhr.

Zu den Terminen wird Jörn Pfennig "poetische Hand- und Fußnoten" präsentieren. Öffnungszeiten der Ausstellung in der Einliegerwohnung sind bis 9. Juni jeweils sonntags, 19 bis 20 Uhr, außer an Feiertagen.

© SZ vom 18.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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