Kunstprojekt:Ein Saustall dank Paul Klee

Buben und Mädchen des Ebersberger Kindergartens Kraxelbaum befassen sich ein Jahr lang mit einem Künstler

Von Anja Blum, Ebersberg

Ein Jahr - ein Künstler. So intensiv beschäftigen sich wahrscheinlich nicht einmal Studenten mit einem gestalterischen Oeuvre. Die Kinder im Ebersberger Kindergarten Kraxelbaum aber tun genau dies. Sie setzen sich in einem außergewöhnlichen Kunstprojekt Woche für Woche mit einem der ganz Großen auseinander - auf ihre eigene, kindlich-intuitive Weise. Den Anfang machte vor drei Jahren Friedensreich Hundertwasser, gefolgt von Franz Marc, heuer ist Paul Klee an der Reihe. "Gerade in unserer schnelllebigen Zeit finde ich es wunderbar, wenn sich die Kinder irgendetwas mit solcher Muße und Hingabe widmen", schwärmt Irene Fabrici, die Leiterin der BRK-Einrichtung.

Tatsächlich: Die Kinder sind im Kunstraum mit Eifer bei der Sache. An diesem Nachmittag steht - wie in den vergangenen zehn Monaten auch - Klee auf dem Programm. "Kunst hat so viele Facetten, das bleibt immer spannend", sagt Veronika Fuchs, die das Projekt ersonnen hat und leitet. "Burg und Sonne" heißt das Ölgemälde von Klee, dem sich die Gruppe an diesem Tag widmet. Allerdings malen die Kinder nicht, sondern schneiden aus Papier, das sie in der vorherigen Stunde selbst koloriert haben, mehr oder weniger geometrische Formen aus und kleben diese dann im Stile Klees auf ein braun marmoriertes Blatt. Dass Fuchs die Originalvorlage jedoch gerade nicht finden kann, stört die jungen Künstler kein bisschen: Sie scheinen schon sehr genau zu wissen, wie das Motiv aussieht. Dass die Ergebnisse trotzdem sehr unterschiedlich ausfallen - sie reichen von wilden bunten Gebilden bis hin zu akkurat symmetrischen Kompositionen - liegt vielmehr an der künstlerischen Freiheit, die Fuchs den Kindern lässt. "Bei uns gibt es keinen Leistungsdruck." Sehen die Bilder anders aus als das Original, ist das völlig in Ordnung. "Meine Sonne ist schon fast untergegangen", erklärt ein Junge, dessen Himmelskörper eher die Form eines Halbkreises hat, denn auch ganz selbstbewusst.

"Wieso den Kindern nicht die echte Kunst näherbringen?", fragte sich Veronika Fuchs, als sie das Projekt vor drei Jahren übernahm. Und so ersann die Erzieherin ein eigenes Konzept, das aus der intensiven Auseinandersetzung mit berühmten Malern besteht. Als Grundlage dient eine etwa zehn Zentimeter dicke "Inspirationsmappe", die Fuchs für jedes Kindergartenjahr vorbereitet. Darin finden sich unzählige Werke des ausgewählten Künstlers samt Ideen, wie die Kinder diese umsetzen, nachempfinden, sich zu eigen machen können. Anregung dafür findet Fuchs in einschlägigen Büchern, die jedoch meist auf ältere Kinder ausgerichtet seien. "Insofern muss ich die Vorschläge meist auf den Kindergarten ummünzen."

Doch Fuchs setzt nicht nur auf die pädagogische Theorie - nein, die Erzieherin probiert alle Ideen selbst daheim aus. Zeugnis davon geben zahllose Bilder in ihrer Mappe. "Sonst weiß ich ja nicht, was funktioniert und was nicht", sagt Fuchs lächelnd. "Und mir macht das selber richtig Spaß." Mit Informationen über Maler, Stil und Epoche geht Fuchs sehr sparsam um. Viel mehr als den Namen des Künstlers, seine Herkunft und ein, zwei biografische Besonderheiten vermittelt sie den Kindern nicht. "Mehr käme in dem Alter auch gar nicht an", sagt die Erzieherin.

Doch welche Voraussetzungen muss ein Maler mitbringen, um Eingang in dieses Kunstprojekt zu finden? Vor allem sollte er fleißig gewesen sein, sagt Fuchs, es müsse viele Werke geben. Diese Bilder wiederum sollten Strukturen besitzen, die Kinder gut erkennen und umsetzen können: Gegenständliches, sich wiederholende Symbole, geometrische Formen. Und bunte Farben seien natürlich auch immer schön. So wie Hundertwassers Spiralen oder Marcs Tiere. Der eine inspirierte die Kinder zu bunten Latten, die nun den Zaun des Kraxelbaums zieren, der andere zu einem Bilderbuch. "Außerdem ist es gut, wenn sich ein deutlicher Stil durch das ganze Werk hindurchzieht", sagt Fuchs, "weil die Kinder das durchaus wahrnehmen." Bilder wie die von van Gogh etwa, die stark von einer bestimmten Malweise geprägt sind, eigneten sich allerdings nicht so gut: "Da täten die Kinder sich mit der Umsetzung schwer", sagt sie. Voraussetzung auf Seiten der Kinder ist ein gewisses Interesse und eine Anmeldung durch die Eltern. Das Projekt nämlich ist eines von mehreren vertiefenden Nachmittagsangeboten im Kraxelbaum. Mitmachen können Mädchen und Buben ab dem zweiten Kindergartenjahr, Fuchs' Kunstschüler sind also zwischen vier und sechs Jahre alt. Gearbeitet wird einmal pro Woche in Kleingruppen mit bis zu zwölf Kindern, jeweils eine Dreiviertelstunde lang.

Wichtiger Bestandteil von Fuchs' Konzept ist die Bildbetrachtung: Jedes neue Werk wird zunächst ausgiebig studiert. Die Kinder dürfen sagen, was ihnen auffällt, und spekulieren, welchen Titel das Bild trägt. "Dabei bin ich oft perplex, was sie alles sehen", sagt Fuchs, "letztes Mal hat ein Mädchen sofort eine ganz kleine rote Brücke entdeckt, ein Motiv, das wir schon von einem anderen Bild kannten." So schult das Kunstprojekt nicht nur Fähigkeiten wie Feinmotorik oder Konzentration, sondern auch Wahrnehmung und Sprachvermögen.

Die Zahl der Techniken, welche die Kinder bei Fuchs ausprobieren, ist schier endlos. Sie mischen selbst Farben, malen mit Fingern und Pinseln, verwischen Ölpastellkreiden, zaubern mit Aquarellstiften, kratzen Formen in Wachsmalfarbe, drucken mit Schwämmen oder Stempeln, spritzen mit Zahnbürsten, pusten mit Strohhalmen auf mit Wasserfarben geschwängertes Papier, fügen Formen aus diversen Materialien aneinander oder stehen wie die Profis an der Staffelei. Klees düsteren "Blüten der Nacht" zum Beispiel haben die Kinder auf zwei verschiedene Weisen nachempfunden: mit verwischbarer Kreide auf schwarzem Tonpapier, aber auch mit Wachsmalkreiden und schwarzer Wasserfarbe, die von den zuvor bemalten Stellen abgeperlt ist. "Wachs widersteht Wasser", erklärt Fuchs. Klees abstrahiertes Gesicht "Senecio" haben die Jungen und Mädchen sogar mit noch viel mehr verschiedenen Techniken bearbeitet.

"Die Umsetzung muss den Kindern einfach Spaß machen", sagt Fuchs, wie zum Beispiel auch die Seifenblasentechnik: Dazu mische man Farbe mit Wasser sowie Spülmittel und lasse das Ganze dann auf dem Papier überquellen. "Die reinste Gaudi - aber auch ein Riesen-Saustall", erinnert sich Fabrici.

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