SZ-Serie: Was bleibt?, Folge 3:Das Erbe der Verlorenen

Die Bilder von Joseph Loher und seiner Frau Gretel Loher-Schmeck galten unter den Nationalsozialisten als "entartet", nach dem Krieg als unmodern. Sohn Martin Loher hat es sich nach dem Tod der Eltern zur Aufgabe gemacht, deren Werke und das Haus der Familie für die Nachwelt zu erhalten

Von Rita Baedeker

Wenn Martin Loher vom September vor 14 Jahren, als seine Mutter starb, erzählt, wird seine Stimme leise und brüchig. "Ich war tieftraurig, vor allem im November. Doch von der Sonnenwende an im Dezember ging es auch bei mir seelisch aufwärts", sagt der Sohn, der sich von jeher eng verbunden fühlt mit dem Werden und Sterben in der Natur, den Jahreszeiten und ihren Stimmungen.

Auf zahlreichen Porträts hat Joseph Loher ihn verewigt, einen schmalen Buben, lesend, Ellenbogen aufgestützt. Gerade diese Porträts offenbaren eine besondere Stärke des Vaters: alltägliche Momente sensibel und mit einfachen, reduzierten, aber dennoch ausdrucksstarken Pinselstrichen einzufangen.

Joseph Loher und seine Frau Gretel Loher-Schmeck zählen zur Gruppe jener expressionistischen Künstler, die man heute die "verlorene Generation" nennt. Von den Nazis verfemt und verfolgt, bevor sie sich einen Namen machen konnten, galt ihr Stil nach Ende des Krieges als überholt. Radikalle Abstraktion war angesagt.

Werk und Persönlichkeit der Eltern dem Vergessen zu entreißen, ist zu einem erheblichen Teil ihm, dem heute 79 Jahre alten einzigen Sohn, zu verdanken. Und wie man sieht, hat es durchaus Vorteile, wenn Kinder aus der Art schlagen und, wie in diesem Fall, eher handwerkliche als künstlerische Talente entwickeln.

Im Anzinger Ortsteil Frotzhofen, noch heute ein Fleckchen Erde fern vom Weltgetriebe, hat die kleine Familie von 1940 bis zum Tod der Eltern in den Jahren 2002 und 2003 in einem 200 Jahre alten Bauernhaus gelebt, dort fand das Paar Zuflucht vor der Gestapo. Weil die Lohers sich mit ihrem von den Nazis seines Amtes enthobenen Lehrer an der Münchner Kunstakademie, Karl Caspar, solidarisch erklärt hatten, waren sie in Gefahr. Es drohten Verhör und Internierung im KZ Dachau. Auf elektrisches Licht und fließendes Wasser musste die Familie anfangs verzichten, man lebte von den Früchten des Gartens, hielt Stallhasen, Gänse, Hühner, Ziegen. Es habe immer sehr viel zu tun gegeben, erinnert der Sohn sich. Ab und zu seien Kollegen von der Akademie zu Besuch gekommen, ansonsten war die Münchner Boheme unendlich weit weg.

Das einfache Leben auf dem Land hielt Loher in zahlreichen Stillleben, Porträts und Landschaftsimpressionen fest. Seinem Stil blieb er treu. Ganz abgemeldet als Maler war er in der Nachkriegszeit dennoch nicht, war vertreten bei Jahresausstellungen im Haus der Kunst, im Lenbachhaus und anderswo. Auch in Weimar, in Rom, im Waldmuseum Ebersberg, im Heimatmuseum Grafing, bei der Landesbank und im Wirtschaftsministerium gab es Ausstellungen. Die sei aber nicht sehr erfolgreich gewesen, sagt Martin Loher und lächelt hintergründig. "Beamte kaufen offenbar nicht gerne", fügt er hinzu.

Ein Jahr nach dem Tod der Mutter traf er einen Entschluss. "Ich sagte mir, jetzt musst was machen!" Das Elternhaus, in dem auch er wohnte, war renovierungsbedürftig und bis an die Dachsparren angefüllt mit Bildern, den Ölgemälden des Vaters und den fröhlichen Zeichnungen und Gemälden der Mutter, die er niemals verkaufen wird. Doch wie ein solch umfangreiches Werk ordnen und für die Nachwelt bewahren? Ein Vermächtnis gab es nicht. Also plante er einen Neubau gleich nebenan mit großem Keller und Fußbodenheizung. "Ich habe mir genau überlegt, wie man einen Raum, in dem Gemälde gelagert werden, gegen Wasser und andere schädliche Einflüsse sichern muss."

Schon 1999 hatte der Anzinger Schreinermeister und Künstler Peter Böhm, ein Freund der Lohers, und Andreas Ley, ehemaliger Leiter des Modemuseums im Münchner Stadtmuseum, zusammen mit der Familie ein Archiv angelegt. Die Bilder, ein paar hundert, wurden fotografiert, mit einer Nummer und einem Titel versehen. "Das war eine Riesenarbeit", erinnert Loher junior sich. "Es war Januar und sehr kalt." Doch habe die Durchforstung der Gemälde keinen Tag zu früh stattgefunden. Ein Jahr später habe der Vater bereits an Gedächtnislücken gelitten.

Böhm war es auch, der im Todesjahr der Mutter eine Ausstellung von Loher-Bildern im Ebersberger Grundbuchamt organisierte. Kurz darauf erarbeiteten Kristina Kargl und die Kunsthistorikerin Natascha Niemeyer-Wasserer eine Biografie. Und wenig später wurde ein Förderverein gegründet mit dem Ziel, aus dem Loher-Haus ein Museum zu machen. Realisiert werden sollte dies mit Fördermitteln aus staatlicher und privater Hand. Damit die Mittel bewilligt werden, hätte jedoch eine Stiftung gegründet werden müssen. Martin Loher hätte reguläre Öffnungszeiten, Parkplätze, Personal und einiges mehr organisieren müssen. "Das war mir alles zu viel", räumt er ein, finanziell und auch sonst. "Die Idee mit der Stiftung habe ich dann schlagartig beendet." Und verwaltet seither den Nachlass seiner Eltern nach seinen Vorstellungen.

In den vergangenen Jahren hat der Sohn aus dem 200 Jahre alten, "Matheis-Hof" genannten Elternhaus ein Kleinod gemacht, ein schöneres und liebevolleres Andenken kann man sich nicht wünschen. In Eigenregie und mit eigenen Mitteln, nur mit Hilfe von Bekannten, hat er das Erdgeschoss mit den beiden Atelierräumen renoviert, Toiletten, eine Teeküche und Öfen eingebaut. Seither ist das Loher-Haus eine lebendige, von einem idyllischen Gemüsegarten umgebene Galerie, in der mehrmals im Jahr Ausstellungen stattfinden.

Widerstand_Folge2/10, Markt Schwaben, Loher

Das Künstlerpaar Gretel Loher-Schmeck und Joseph Loher.

(Foto: Privat)

Als das neue Haus bezugsfertig war, baute er im Keller riesige solide Regale aus Holz und Metall. "Das ist eben meine Kunst", sagt er stolz. Eine wichtige obendrein, bietet sie doch den verwundbaren Leinwänden ein stabiles Zuhause. "Ich bin zwar kein großer Ordnungsliebhaber, aber einige Anweisungen meines Vaters habe ich befolgt, etwa Ölbilder größenmäßig zu ordnen, damit nicht die Kante eines Bildes gegen die Leinwand eines anderen drückt und sie beschädigt.

Im Werkverzeichnis, bei dessen Erstellung Martin Loher viel Unterstützung von Freunden erfuhr, sind die Bilder nach Motivgruppen geordnet - unter Stichworten wie Gebirgslandschaften, Christentum, Mühlen, Interieur - und nummeriert. Daneben ist die jeweilige Nummer des Regals, in dem die Leinwände stehen, vermerkt. So fällt die Orientierung leicht. Für das 43 Bilder umfassende Werk der Mutter - überwiegend Zeichnungen - kaufte er bei seinem ehemaligen Arbeitgeber, dem Amt für Ländliche Entwicklung, für ein paar Euro Planschränke aus Stahl mit breiten und flachen Schubladen, die nach Einführung des PC nicht mehr gebraucht wurden. "Für Zeichnungen ideal", sagt Loher.

Zahlreiche Arbeiten befinden sich im Besitz von Museen und Privatleuten. Unter anderem die Stadt München, die Bayerische Staatsgemäldesammlung, der BR haben Bilder von Joseph Loher gekauft. Sepp Maier, einst Torwart des FC Bayern, bekam zur gewonnenen WM 1974 von der Gemeinde Anzing eines geschenkt. "Er wählte ein Blumenbild", berichtet Loher. Willi Daume, von 1961 bis 1992 Präsident des Nationalen Olympischen Komitees Deutschland, besaß ebenfalls eines. Ein Gemälde seiner Mutter, es zeigt Maria mit dem Kind und zwei Engeln, hat der Sohn erst vor einem Jahr auf dem Dachboden des alten Hauses entdeckt. "Es lag unter Holzplatten und altem Mobiliar verborgen." Ein ähnliches Bild wurde in einem Haus in Anzing gefunden, wo seine Mutter es einem Brautpaar geschenkt hatte.

Martin Loher, der sein Erbe mehr aus Liebe zu den Eltern denn aus Liebe zur Kunst pflegt, hat sich inzwischen zum Kurator und Kunstkenner entwickelt. "Ich sehe das als meine Pflicht", sagt er. Ebenso sehr liegen ihm jedoch auch Tomaten, Gurken und Zucchini am Herzen, die er in selbst gebauten Unterständen zieht. Auch darin bewahrt er das Erbe der Eltern, die in den Jahren nach dem Krieg ihr Land bebauten, um zu überleben.

Da Martin Loher keine Nachkommen hat, hat auch er längst Vorsorge getroffen, damit das großartige Ouevre erhalten bleibt. Zu Lebzeiten des Paars wollte von der Malerei des Expressionismus kaum mehr jemand etwas wissen. Doch ihre Kunst kann jederzeit neu erblühen, so wie die Bäume, Beete und Äcker, wie das Land rund um den Hof, in dem sich Natur und Malerei zu einem außergewöhnlichen, ertragreichen Leben verbunden haben.

Die nächste Ausstellung im Loher-Haus in Frotzhofen, Kirchenweg 11, wird am Freitag, 20.Oktober, um 19 Uhr eröffnet. "110 Jahre Joseph Loher & Gretel Loher-Schmeck" lautet der Titel. Geöffnet ist jeweils Samstag und Sonntag, 21. und 22. sowie 28. und 29. Oktober, 14 bis 18 Uhr.

Alle bisher erschienenen Folgen der Serie über die Künstlernachlässe im Landkreis Ebersberg gibt es hier.

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