Kulturraum:Patient mit Überlebenschancen

Die Benefiz-Gala des Kulturraums Grafing im Kleinen Theater Haar mit vielen heimischen Künstlern beginnt mit einer bedenklichen Diagnose - einem an die Wand des Hauses in der Rotter Straße projizierten Elektrokardiogramm

Von Claus Regnault

Kulturraum: Zwei von der Genossenschaft Kulturraum in Grafing bestellte Ärzte sind damit beschäftigt, das Haus Rotterstraße 8 zu reanimieren. Das an die Hauswand projizierte EKG steht für den derzeit schwachen Herzschlag des Patienten.

Zwei von der Genossenschaft Kulturraum in Grafing bestellte Ärzte sind damit beschäftigt, das Haus Rotterstraße 8 zu reanimieren. Das an die Hauswand projizierte EKG steht für den derzeit schwachen Herzschlag des Patienten.

(Foto: Photographie Peter Hinz-Rosin)

In der Rotter Straße 8 in Grafing steht ein Haus, ein mächtiger Bau, der jedoch, seit vor 19 Jahren Fachleute entweder Sanierung oder den baldigen Abriss vorausgesagt hatten, zu neunzig Prozent leer steht. Man könnte ihn retten, wenn seine Eigentümerin, die Stadt Grafing, statt ihn in seinem bedauernswerten Zustand zu belassen, zu der damit verbundenen Investition bereit wäre.

Die Benefiz-Gala des Kulturraums Grafing, einer Genossenschaft kulturbewusster Grafinger Bürger, die sich die Rettung dieses Gebäudes zum Ziel gemacht hat, begann letzten Samstag auf der Rückseite des Hauses, an dessen Wand eine Bedenken erregende Herzkurve als EKG-Bild projiziert wurde. Vom Kulturraum gestellte "Jungärzte" brachten den Herzschlag des Patienten mit Defibrillatoren wieder in Gang, und so konnte die inzwischen beachtliche Zahl der Benefizgäste den Gang nach Haar ins Exil antreten (mit Hilfe eines Partybusses), wo ihnen sozusagen aushäusig in Nirit Sommerfelds Kleinem Theater gezeigt werden sollte, was sich mit Kultur in Grafing alles anstellen lässt, wenn es dafür das geeignete Haus gibt.

Das Haus Rotter Straße 8 soll nicht nur den Grafinger Kulturschaffenden dienen, es soll nach Einrichtung eines geeigneten Saales auch für Gastspiele und Performances von überall her zur Verfügung stehen, darüber hinaus ein Platz zum Lernen und Erholen, ein Heim für Kunst, Musik und Theater werden. Dieser Zielsetzung entsprach auch das Programm des Abends, eingeleitet von der Nicht-Grafingerin und kabarettistischen Urbayerngewalt Gabi Lodermeier, die ihr im Werden begriffenes Programm einer saukomischen Pilgerfahrt auf dem Jakobsweg zum Besten gab, mit zarten spanischen Gitarrenklängen eingerahmt von Laurenz Schoon. Danach folgte ein gleichfalls urbayerisches Ereignis mit dem Tubaspieler Andreas Martin Hofmeir, Mitglied der "La Brass Banda", in dessen übrigens klassisch gebildeter Person sich zwei bayerische Grundtugenden, die Musikalität und der Humor, ideal vereinigen. Er kann für sich in Anspruch nehmen, dass zumindest sein Bruder in Grafing-Bahnhof lebt.

Nach der Pause las ein in Grafing geborener und hier den Friseur aufsuchender Zeitgenosse und Kulturraumförderer, Michael Skasa, dessen unvergessliche "Sonntagsbeilage" einen vorzeitig aus dem Schlaf holte. Er, der Literaturkenner, las dem gerade vergangenen Valentinstag gewidmete Liebeslyrik von Wedekind, Lautensack und den zum jüngsten Schweizer Wahlergebnis passenden Valentin-Sketch "In der Fremde ist der Fremde fremd" und schloss ganz unbayerisch mit Kurt Schwitters' (Hannover!) dadaistischer Hymne an Anna Blume, die mit "Anna Blume, du tropfes Tier, ich liebe dir!" endet.

Mitreißend der offizielle Schluss der Veranstaltung, das Septett der rührigen "Jazz-Initiative Grafing" mit Joachim Jann, Chriss Naleppa, Josef Schmöz, Peter Sigel, Thomas März, Jo Ametsbichler und Frank Haschler. Und als Zuckerl die Moosacher "Leihgabe" Nina Plotzki. Sie brachte den Saal, was vorher das Programm nicht zuließ, zu andachtsvollem Lauschen, vor allem mit ihrer schlechthin überwältigenden Wiedergabe der Charlie-Mingus-Ballade "Goodbye Porkpie Hat", die dieser zum Andenken an seinen 1959 verstorbenen Kollegen Lester Young komponiert hatte. Nur begleitet von Jo Ametsbichler, der mit seinem Bass den großen Bassisten Mingus wieder auferstehen ließ, und von Chris Naleppa, der als Tenorsaxofonist dem Vorbild Lester Young in einer in sich geschlossenen Improvisation Ehre erwies.

Schließlich brachte die Grafinger Flamenco-Tänzerin Beatriz La Emperaora, begleitet von Frank Haschler und Tola Sholana, das Publikum tatsächlich zum Tanzen. Auch diese Show ein Anreiz, das künftige Kulturhaus zu unterstützen, damit Grafinger Kultur bald nicht auf dem Umweg über Haar vermittelt werden muss.

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